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Thursday Oct 26, 2023
082 – Smart Communities, ein Gespräch mit Ulrich Ahle
Thursday Oct 26, 2023
Thursday Oct 26, 2023
Mein heutiger Gast ist Ulrich Ahle, und diese Episode hat einen für mich sehr spannenden Hintergrund: Ich war zu Beginn des Jahres auf der LEAP-Konferenz in Riad, Saudi-Arabien, und das war ein in vielerlei Hinsicht äußerst eindrucksvolles Erlebnis. Eine der Reisen, wo fast alle meine Vorurteile auf den Prüfstand gestellt wurden.
Auf dieser Konferenz hat Ulrich einen Vortrag zu Smart Cities gehalten, und dieser Vortrag war einer der interessantesten, die ich auf dieser Konferenz gehört habe. Daher freut es mich besonders, dass sich Ulrich für ein Podcast-Gespräch zum Thema Smart Cities, oder besser: Smart Communities zur Verfügung gestellt hat.
Ulrich hat eine lange und erfolgreiche Karriere in der Fertigungsindustrie und Industrie 4.0 hinter sich und gründet 2016 die FIWARE-Foundation, deren deren CEO er wird. In dieser Rolle hat Ulrich eine entscheidende Rolle beim Ausbau der FIWARE Foundation gespielt, die heute auf allen Kontinenten vertreten ist und mehr als 600 Mitglieder zählt. FIWare ist eine der führenden Lösungen für SmartCity/Community-Projekte, und noch dazu eine Open-Source. Warum das wichtig ist, werden wir im Gespräch diskutieren. Ulrich wird nun CEO von Gaia X, einer europäischen Initiative, deren Ziel es ist, , ein Ökosystem zu schaffen, in dem Daten gemeinsam genutzt und in einer vertrauenswürdigen Umgebung zur Verfügung gestellt werden.
Ich wünsche Ulrich bei dieser neuen und sehr wichtigen Herausforderung viel Erfolg. Wenn FIWare als Maßstab gelten darf, können wir von Gaia X in den nächsten Jahren viel erwarten!
In dieser Episode beginnen wir mit der Frage, was eine Stadt oder Gemeinde eigentlich »smart« macht? Ist der Begriff überhaupt sinnvoll? Der Begriff Smart Communities wird als Oberbegriff für Projekte in Städten aber auch ländliche Regionen verwendet. Dies ist im Gespräch auch insofern relevant, als Ulrich auch Ortsvorsteher der Gemeinde Etteln ist und in dieser Gemeinde ebenfalls zahlreiche Smart Community Projekte umgesetzt wurden und werden.
Wer sind primäre Gruppen, die von Smart Communities profitieren? Ist Industrie und Tourismus Teil der Smart City? Was ist mit Industrie 4.0?
Was ist der Unterschied zwischen Digitalisierung in der Verwaltung und Smart City?
Die führenden »digitalen Gesellschaften« in Europa sind Estland, Finnland, Malta, Niederlande, Spanien? Was passiert in diesen Nationen und was können wir davon lernen?
Beispiele für Smart City Anwendungen über die wir in der Episode sprechen sind:
- Parkraumbewirtschaftung
- Beleuchtung
- Müll-Management, Abfallbewirtschaftung
- dynamische City-Maut
- intelligente Wasserwirtschaft
- Hochwasserfrühwarnsystem
- autonom fliegende Drohnen zur Unterstützung der Feuerwehr im Dorf
- Predictive Maintenance vs. vorbeugende Wartung
- Stabilisierung des Energienetzes
Wie sieht es mit systemischen Effekten (auch unerwünschten Nebeneffekten) aus, z.B. beim Smart Parking? Führt dies nicht letztlich zu mehr Verkehr?
Wie Skalieren die Smart Community Konzepte auf mehreren Ebenen — vom Dorf bis zur Großstadt wie Berlin —, aber auch innerhalb einer Stadt, vom Kiez/Viertel bis zur gesamten Stadt und dies sowohl technisch wie funktional und politisch?
Welche Formen der Datenvisualisierung und Dashboards gibt es für Verwaltung und politische Entscheidungsträger?
In den letzten Jahren wird häufig von digitalen Zwillingen gesprochen. Was ist das und wird das im Smast City Umfeld genutzt? Wie ist das Wechselspiel zwischen digitaler und realer Welt abgebildet?
Wie geht man einen solchen digitalen Transformationsprozess am besten an? Top Down? Bottom Up? Middle In? Unterschiedliche Zielkonflikte können drohen, vom Überdesign, das die Menschen am Weg verliert, bis zum Gegenteil, digitalen Silos und Insellösungen, die nicht miteinander kommunizieren, weil zu wenig strukturiert wurde.
Wie gehen wir mit den Daten um? Daten haben in einer digitalen Welt ökonomischen und politischen Wert, gleichzeitig bedroht Digitalisierung die Privatsphäre, lässt sich das unter einen Hut bringen oder bekommen wir Smart Big Brother statt Smart Community? Was ist das Once Only Principle, das in Estland zur Anwendung kommt?
Es gibt nicht nur erfolgreiche Projekte, die Stadt Toronto hat ein großes Smart City Projekt abgebrochen, was kann man daraus lernen?
Welche Abhängigkeiten gibt es bei Smart Community Projekten — ökonomisch, politisch, technisch — und führen diese zu einer höheren Fragilität der Gesellschaft oder gar zu höherer Resilienz?
Wie sieht es mit Smart Communities rund um die Welt aus, von Saudi Arabien bis Indien? Können diese Projekte Menschen helfen (etwa in Afrika) aus der Armut zu kommen?
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 77: Freie Privatstädte, ein Gespräch mit Dr. Titus Gebel
-
Episode 70: Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
-
Episode 61: Digitaler Humanismus, ein Gespräch mit Erich Prem
-
Episode 58: Verwaltung und staatliche Strukturen — ein Gespräch mit Veronika Lévesque
-
Data Science und Machine Learning, Hype und Realität: Episode 53 und Episode 54
-
Episode 40: Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
-
Episode 35: Innovation oder: Alle Existenz ist Wartung?
-
Episode 31: Software in der modernen Gesellschaft – Gespräch mit Tom Konrad
-
Offene Systeme: Gespräch mit Lukas Lang und Christoph Derndorfer: Episode 19 und Episode 20
Ulrich Ahle
Fachliche Referenzen
Friday Oct 13, 2023
081 — Energie und Ressourcen, ein Gespräch mit Dr. Lars Schernikau
Friday Oct 13, 2023
Friday Oct 13, 2023
Der Gast der heutigen Episode ist Dr. Lars Schernikau. Er ist Energieökonom und Rohstoffhändler und befasst sich seit vielen Jahren mit Energiethemen. Er veröffentlichte in diesem Jahr ein wichtiges Buch mit dem Titel: Unbequeme Wahrheiten: über Strom und die Energie der Zukunft veröffentlicht.
Energie und Energiewende wurde in früheren Episoden schon thematisiert. In dieser Episode fokussieren wir uns neben Energiethemen auch auf die Frage der Abhängigkeit von Energie und Ressourcen, die unsere Gesellschaft am laufen halten.
Was sind die vier Säulen der modernen Gesellschaft nach Vaclav Smil und wie stehen diese in Zusammenhang mit Energie? Werden wir in den nächsten Jahrzehnt weniger oder gar drastisch mehr Energie benötigen? Welchen Einfluss hat die Bevölkerungsentwicklung in unterschiedlichen Regionen und das Betreben der Ärmsten Menschen aus der Armut zu gelangen?
"Armut und Energie stehen in einem sehr engen Zusammenhang."
Das sehen wir am Beispiel des Haber-Bosch-Verfahrens, das moderne Landwirtschaft und auch die Grüne Revolution in den 1960er Jahren ermöglicht und Milliarden Menschen das Leben gerettet hat.
Wie viel Material entnehmen die Menschen jährlich der Erde und wofür? Wie hoch ist der Rohstoffeinsatz pro erzeugter Energieeinheit?
Wo steht sich die deutsche Energiewende aktuell, i.B. auch hinsichtlich der selbst-gesteckten Ziele? Welcher Energie- und Rohstoffeinsatz ist mit »erneuerbaren« Energien verbunden? Was ist der EROEI (Energy Returned on Energy Invested) und warum ist diese Maßzahl fundamental wichtig in der Beurteilung von Energieformen.
Die Geschichte der Menschheit kann als Energiegeschichte geschrieben werden. Der Wechsel zu stetig Energie-dichteren Energieträgern ermöglicht erst unseren Fortschritt:
- Römer: 2:1 (menschliche und tierische Arbeitskraft); Holz und Essens-Nachschub (EROEI) begrenzt Stadtgröße auf ca. 1 Mio Menschen. Schernikau: »Wir haben 5 von 7 Tagen damit verbracht uns am Leben zu erhalten.«
- Kohle 15-30:1
- Gas ähnlich wie Kohle
- Kernkraft 70-90:1
- Wind/Solar im einstelligen Bereich
- Biomasse im geringen einstelligen Bereich
Energiedichten unter 10:1 werden sehr kritisch für die moderne Gesellschaft!
Was ineffizient ist, ist auch eine teure (und meist nicht-ökologische) Form der Energieproduktion. Daher sind Wind und Solar teurer als alle anderen Energieformen (Kohle, Gas, Öl, Kernkraft, Wasserkraft) und sie werden umso teurer je mehr man davon zum Einsatz bringt. Die Energiekrise hat daher in Deutschland auch schon vor dem Ukraine-Krieg angefangen und wurde durch den Krieg nur verstärkt.
Commodities werden weltweit gehandelt. Wenn Deutschland aufgrund der gescheiterten Energiewende Gas (und Kohle) am Weltmarkt zu immer höheren Preisen kauft, können sich etwa Bangladesch und Pakistan diese Preise nicht mehr leisten. Was sind die Konsequenzen für diese Nationen?
»Wir nehmen den Entwicklungländern Jahre in ihrer Entwicklung weg wenn wir sie zwingen, auf ineffiziente Wind- und Solaranlagen für die Stromerzeugung umzusteigen. Hunderte Millionen Menschen bleiben dadurch länger arm.«
Dazu kommt eine geopolitische Perspektive: wo kommen die Ressourcen her und wo werden sie verarbeitet? Der Flächenbedarf, der mit Energieproduktion verbunden ist, gehört zu einer der wesentlichsten ökologischen Größen und ist natürlich durch die Energiedichte bestimmt.
Wie kann es sein, dass in den meisten Medien und von einigen einflussreichen Experten immer noch behauptet wird, Wind und Solar wären die billigsten Formen der Stromproduktion? Was ist der Unterschied zwischen Grenzkosten und Gesamtkosten einer Energieform? Warum ist das häufig zitierte LCOE-Maß (Levelised Cost of Electricity) irreführend? Relevant sind letztlich nur die Gesamtkosten. Was macht den Unterschied aus?
Gibt es eine Economy of Scale bei Wind und Solar? Gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Produktion der Solarzellen/Windräder und der Produktion von Strom?
Schernikau: »Jede kWh die aus Solar und Wind kommt, hat einen geringeren Wert als die vorherige kWh.«
Aber Wasserstoff als Speicher wird dieses Problem lösen (wie schon vor ca. 25 Jahren versprochen), oder? Es stellt sich heraus, dass ca. 65-80 % der Energie über den Umweg des Wasserstoffes verloren gehen. Und das nach der Nutzung von bereits wenig effizienter Produktion. Hat das eine Zukunft?
Schernikau: »Wasserstoff zur Strom-Speicherung ist ein energieökonomisches Disaster.«
Warum macht es einen wesentlichen Unterschied ob man Energiedichte pro Volumen oder pro Gewicht rechnet?
Außerdem: Strom ist nicht gleich Energie, denn Strom macht nur einen Teil der Gesamtenergie aus, die wir als Menschheit für unser Leben benötigen. Was bedeutet dies für eine »Energiewende«?
Vom Prototypen zur wirkungsvollen Technologie vergehen in der Regel Jahrzehnte, sofern es sich überhaupt skalieren lässt. Was bedeutet diese Erkenntnis für die »Elektrifizierung« der Industrie? Fast 90 % der Gesamtenergie kommen weltweit aus Kohle, Gas, Öl und Kernkraft.
Schernikau: »Der Kohleverbrauch steigt trotz Energiewende weiter, weltweit.«
»fast 60% des Energiewachstums kamen im starken Wachstumsjahr 2021 (laut IEA) aus Kohle.«
Welche Rolle spielt Kernkraft in dieser Gemengelage? Es scheint einen politischen Richtungswechsel zu geben, etwa in Ontario Kanada, Polen, Frankreich, Schweden, Finnland, Japan, Südkorea, China und zahlreichen anderen Nationen.
Schernikau: »Energiepreiserhöhung kostet Menschenleben«
Spielt es überhaupt eine Rolle, was wir in Deutschland, Frankreich, Großbritannien machen, wenn in den nächsten Jahrzehnten Nationen mit Milliarden Menschen dramatisch mehr Energie benötigen werden als heute (China, Indien, Afrika, ...) und hunderte Millionen Menschen noch gar keinen Strom haben?
Während aber Deutschland Südafrika erklärt, wie man aus Kohle aussteigt, gibt es in Südafrika Blackouts und Deutschland importiert Kohle aus Südafrika:
Schernikau: »Deutschland könnte vielleicht von Südafrika lernen, wie man mit Stromabschaltungen umgeht.«
Wie können uns eine Menge wünschen, aber die Physik lässt sich durch Wünsche und Träume einfach nicht aus den Angeln heben.
»Ich bin optimistisch dahingehend, dass wir in den nächsten Jahren unsere Energiepolitik ändern werden und wieder auf den richtigen Weg bringen.«
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters
-
Episode 70: Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
-
Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
-
Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
-
Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
-
Episode 46: Activism, a Conversation with Zion Lights
-
Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg
-
Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
Lars Schernikau
- Lars Schernikau auf X/Twitter, YouTube, LinkedIn, Instagram
- Lars Schernikau auf Unpopular Truth
- Lars Schernikau, The Unpopular Truth about Electricity and the Future of Energy: Website
- Lars Schernikau, William Hayden Smith, Unbequeme Wahrheiten: über Strom und die Energie der Zukunft (2022)
- Tom Nelson, Lars Schernikau: “The Unpopular Truth..about Electricity & Future of Energy”
- Auswahl wissenschaftlicher Artikel
Fachliche Referenzen
- Vaclav Smil, Wie die Welt wirklich funktioniert: Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit, C.H.Beck (2023)
- Vaclav Smil, Innovationen und Erfindungen: Eine kurze Geschichte des Hypes und des Scheiterns, FinanzBuch Verlag (2023)
- Tim Morgan, Life after Growth, Harriman House (2013)
- Robert Bryce, The Power Of Power Density
- Expensive energy may have killed more Europeans than covid-19 last winter, Economist May 10th 2023
Tuesday Sep 12, 2023
079 — Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
Tuesday Sep 12, 2023
Tuesday Sep 12, 2023
Todays guest is Dr. Erica Thompson who wrote the excellent book "Escape from Model Land", which I strongly recommend for reading.
Dr. Thompson is Associate Professor of Modelling for Decision Making at UCL’s Department of Science, Technology, Engineering and Public Policy. She is also a Fellow of the London Mathematical Laboratory, where she leads the research programme on Inference from Models, and a Visiting Senior Fellow at the LSE Data Science Institute.
She is working on the appropriate application of mathematical modelling in supporting real-world decisions, including ethical and methodological questions. For instance, what is the best use of models in climate change, public health and economics.
Making and using models in the real world is — as it turns out — quite a tricky business and in our conversation we go deep into the question: what constitutes model land and how can we escape model land to achieve good results for our society from what we learned in model land.
I covered similar topics in other podcast episodes, because this question can be tackled from a number of different perspectives.
The first question I ask Dr. Thompson is the obvious one: What is model land?
“Nobody actually cares at all about what happens in your model. […] unless you make a claim that what happens within that model land has some relationship to what happens in the real world. So, how to transfer your judgement about the model to the judgement about the real world, is the key question?”
What does Steven Wolfram mean with irreducibility of nature? Why do we have to treat different types of models differently?
What is the difference between interpolation and extrapolation, and why is this crucially important? Many models of complex systems incorporate significant amounts of expert judgement, especially when models are extrapolating. How should we deal with such models?
“All of these decisions about model construction imply value judgements about what we think to be important.”
Value judgements per se are not the problem — but are they shared by the people affected by the model? How did you get to those judegements? Are the transparent enough? Do the decision makers know and agree with these judgements?
Under what conditions can we assess the reliability of a model? In which category do models that are discussed in public fall, for instance climate models? What are the butterfly and hawkmoth effect? What is the difference between data driven vs. “expert driven” models and what role does data quality play in practice?
Most models also are partial models. What is incorporated in a model? What is left out? What conclusions are we allowed to draw from complex models? Do they highly successful data driven models distort our expections in the more assumption driven ones?
“The model is then very much part of the story. It is not just a prediction engine.”
There are models that influence the world and the world feeds back opposed to models that “just” describe the world, and performative models that actually create the reality they describe and counter-performative models. Why is it important to distinguish among these different types?
“Those [counter-performative models] were not made with the aim to be accurate models and correctly predicting the future. They were made with the aim of showing what could happen if we didn't action which would then avoid these worst case scenarios.”
What is the difference between a (conditional or unconditional) prediction and a scenario?
Models are tools and cannot replace judgement. But did we use these tools accordingly? Or did models in the recent past (e.g. Covid) inflict more harm than good on our society?
“This is exactly what models are for—to serve as working hypotheses for further research.”, Ludwig von Bertalanffy
and
“Build a society that is resistant to model errors”, Nassim Taleb
Is this true?
Models as narrative generating devices and communication tools and collective thinking — do we want that? Under what conditions — like flatten the curve? And, how to avoid group think and be captured by models?
“Plans are worthless but planning is everything”, Dwight D. Eisenhower
“Kein Plan überlebt die erste Feindberührung”, Helmuth Graf von Moltke
So, there is a significant amount of expert judgement in building models, but do people know that and which expert do we trust?
“Trust is a social process and expertise is socially determined. […]
You must follow the science is saying you must agree with my value judgements.[…]A decision can never be science based.”
Thus, science is never value free.
Finally we talk about regulation in complex systems and how those relate to models, the long and short term perspectives and what skin in the game means. Is Niall Ferguson right when he says:
“Surely, once we have written a regulation for every possible misdeed, then good behaviour will ensue. This is just an amazing illustration of our ability as human beeings to keep doing the wrong thing in the face of all experience. […] the big players are actually protected by complex regulation. […]
Regulation is the disease of which it pretends to be the cure.”
Then, how should we regulate complex systems? Should every politician be a scientist in the Platonic sense?
»Ultimately the definition of an expert is somebody who's judegements you are willing to accept as your own.«
References
Other Episodes
-
Episode 68: Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr. Andreas Windisch
-
Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
- Episode 53: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität — Teil 1
-
Episode 54: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität — Teil 2
-
Episode 39: Follow the Science?
-
Episode 37: Probleme und Lösungen
-
Episode 2: Was wissen wir?
- Personal Website of Dr. Thompson
- UCL’s Department of Science, Technology, Engineering and Public Policy
- London Mathematical Laboratory
- LSE Data Science Institute
Other References
- Erica Thompson, Escape from Model Land, Basic Books (2022)
- Lex Fridman #376 in conversation with Steven Wolfram (2023)
- Ludwig von Bertalanffy, General Systems Theory (1969)
- Cathy O’Neil, Weapons of Math Destruction: How Big Data Increases Inequality and Threatens Democracy, Penguin (2017)
- Niall Ferguson on Regulation in conversation with John Anderson (2023)
Tuesday Aug 08, 2023
077 — Freie Privatstädte, ein Gespräch mit Dr. Titus Gebel
Tuesday Aug 08, 2023
Tuesday Aug 08, 2023
In der heutigen Episode freue ich mich Dr. Titus Gebel begrüßen zu dürfen. Wir sprechen über sein Konzept der »Freien Privatstädte«.
Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Er war Mitgründer der Deutsche Rohstoff Gruppe sowie des Startups Dual Fluid, deren CFO Björn Peters, in Episode 73 zu Gast war. Dr. Gebel spielt auch eine wesentliche Rolle in der Etablierung einer ambitionierten Sonderentwicklungszone mit dem Namen Prospera in Honduras und berät andere Sonderwirtschaftszonen weltweit.
Aber das Thema des Gesprächs ist breiter: wir beginnen mit der Frage, was modernes Staatswesen ausmacht, was Freiheit bedeutet, was die Rolle von Bürger und Staat sind, wo die Ursprünge und philosophischen Ideen liegen und was bis zum heutigen Zeitpunkt in verschiedenen Nationen daraus geworden ist.
Wir beginnen mit einem Blick in die Geschichte, was ist die Rolle des Staates nach Thomas Hobbes und John Stuart Mill? Was ist der Begriff der Freiheit?
»Struggle between Liberty and Authority«
»By liberty, was meant protection against the tyranny of the political rulers.«, John Stuart Mill
Wie hat sich die Rolle des Staates verändert?
»Der moderne Staat hat sich etabliert, um seinen Bürgern vor allem zwei Grundpfeiler des Lebens zu garantieren: Freiheit und Sicherheit.«, K. P. Liessmann
Wie kommt es zu einem Mehr an Freiheit? Aus philosophischen Überlegungen und Ideen, oder aus pragmatischeren Aspekten? Führt der Weg von der göttlichen Bestimmung zur Freiheit? Wie wird der Wille des Volkes überhaupt bestimmt und was bedeutet dies für Minderheiten?
Wir beide stimmen darin überein, dass wir eine beginnende, schwere Krise in den westlichen Demokratien, beziehungsweise Verwaltung erkennen. Die Frage ist: wie ist diese zu erklären und wie könnten Wege heraus aussehen?
»Heute haben wir es mit einer Überdehnung des modernen Staates zu tun, und zwar sowohl wohlfahrtsstaatlich wie ökologisch. Mit dem Wohlfahrtsstaat, der eigentlich schon in der traditionellen Gemeinwohlformel angelegt ist, kehrt das summum bonum zurück: das größte Glück der größten Zahl; der gehobene Lebensstandard wird als politisches Recht definiert.«, Norbert Bolz
Bismarck gilt als Erfinder des Sozialstaats, was war die damalige Motivation? Wie hat sich der Sozialstaat seit damals entwickelt? Führen falsche Anreizsysteme für Politiker in die Krise, denn Gratisleistungen des Staates erscheinen nur gratis, sind es aber natürlich nicht?
»Es gibt in westlichen Demokratien keine klassisch liberalen Parteien mehr, das sind alles Umverteilungsparteien geworden«
»Die Gruppe der Menschen, die tatsächlich produktiv und wertschöpfend tätig ist, wird immer kleiner.«
Dazu passt auch der Gedanke des mittlerweile 93 jährigen Thomas Sowell:
»You have people making [political] decisions, for which they pay no price when they are wrong. No matter how high a price other people pay.«
Dr. Gebel hat ein Konzept entwickelt, das er Freie Privatstädte nennt und wir diskutieren über das Konzept, welche Rolle Verwaltung und Regierung einnehmen sollen, wie Anreizsysteme verbessert werden können und vergleichbare andere Ansätze, die in eine ähnliche Richtung gehen. Kann es so etwas wie Verwaltung als Dienstleistung geben?
» Der Staat sollte aus meiner Sicht theoretisch kein Monopol auf das Staatsgebiet haben. In Liechtenstein haben wir das verwirklicht. So zwingt man den Staat, ein guter Dienstleister zu sein.«, Hans Adam II von Liechtenstein
Wir sprechen dann über die zwiespältige Entwicklungen des 19. Jahrhundert, Engels und den Manchester-Kapitalismus. Welche Rolle spielt Solidarität, Menschwenwürde? Wer soll diese Gewährleisten, und in welcher Form? Welche Rolle spielt Selbstorganisation (bottom up) im Gegensatz zu staatlichen Top Down Mechanismen?
Ab wann gleitet ein Sozialstaat in einen »Nanny-State« ab, ganz nach dem alten sozialistischen Motto »Von der Wiege bis zur Bahre« in der Hand des Staates? Gibt es in Deutschland nur mehr vier Grüne und eine rechte Partei, und sind letztlich alle auf dem Pfad des »Rent Seeking«?
»Aus dem Recht der Bürger, nach ihrem Glück zu streben, wurde längst die Pflicht des Staates, für dieses Glück zu sorgen. Dass in einer Demokratie die Bürger diesen Staat ausmachen und deshalb solche Forderungen an sich selbst adressieren müssten, wird gerne vergessen«, Konrad Paul Liessmann
Machen wir den Fehler einen vermeintlichen Idealzustand mit dem Ist-Zustand zu vergleichen? Warum gelingt es auch nicht mehr — nach Cicero — dass die Begabtesten in die Politik gehen, sondern wir heute eher eine negative Auslese erleben?
»Wenn man merkt, dass man ein totes Pferd reitet, sollte man absteigen.«
Titus Gebel erklärt dann sein Konzept der freien Privatstädte genauer, auch die Abgrenzungen zu Charter Cities und Sonderwirtschaftszonen im Allgemeinen. Warum sind seiner Ansicht nach die Anreizsysteme in diesen Konzepten besser?
Welche Rolle spielt der Markt — als Entdeckungsverfahren — und wie können wir evolutionäre Prinzipien auch in Verwaltung und Staatswesen etablieren mit Mutation, Nachahmung, Reproduktion, beziehungsweise dem »Seed, Select, Amplify« (Meyer, Davis) Prinzip? Probieren und Scheitern sollte wieder möglich werden, sonst gibt es auch weiterhin keinen Fortschritt.
»Es wäre besser, wir würden in einer Welt von 2.000 Liechtensteins leben, die alle ein veschiedenes System haben als in 200 Staaten.«
Aber ist es realistisch, dass sich Koordination von viele kleine Einheiten global bei wesentlichen Fragen umsetzen lässt?
Wie könnte ein solches System überhaupt umgesetzt werden, wo doch alle Landflächen von existierenden Nationen kontrolliert werden? Gibt es eine reale Chance der Umsetzung? Oder gibt es schon exisitierende Beispiele? Dr. Gebel spricht über Beispiele in China, dem Nahen Osten, Saudi Arabien und Südamerika?
Sind diese Ansätze nicht nur Gated Communities für die Elite? Was macht ein Gemeinwesen? Ich fühle ja auch keine Gemeinschaft zu anderen Gästen in einem Hotel?
»Es gibt zwei Arten von Menschen: die einen, die ihre Meinungen anderen aufzwingen wollen, und die anderen, die das nicht wollen und die sagen, Leben und Leben lassen. Die erste Gruppe strebt natürlich in die Politik.«
Findet der wirkliche politische Konflikt heute nicht, wie so oft behauptet, zwischen links und rechts, sondern vielmehr zwischen autoritär und (klassisch) liberal statt?
»Leben und Leben lassen in unterschiedlichsten Formen des Zusammenlebens.«
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters
-
Episode 58: Verwaltung und staatliche Strukturen — ein Gespräch mit Veronika Lévesque
-
Episode 57: Konservativ und Progressiv
-
Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
-
Episode 26: Was kann Politik (noch) leisten? Ein Gespräch mit Christoph Chorherr
-
Episode 17: Kooperation
Titus Gebel
Fachliche Referenzen
- Honduran ZEDEs: Their Past and Future
- Reason TV: A private libertarian city in Honduras (2023)
- Franz Oppenheimer, Der Staat (1907)
- Austrian Institute, „Der Staat soll nicht nur einer privilegierten Schicht dienen, sondern allen Menschen“ – Interview mit Fürst Hans-Adam II. von Liechtenstein (2017)
- Thomas Sowell im Gespräch mit Peter Robinson, Uncommon Knowledge(7.9.2023)
- Christopher Meyer, Stan Davis, It's Alive, Texere Publishing (2004)
- Karl Popper - Ein Gespräch (1974)
-
Friday Jun 30, 2023
075 — Gott und die Welt, ein Gespräch mit Werner Gruber und Erich Eder
Friday Jun 30, 2023
Friday Jun 30, 2023
In der heutigen Episode freue ich mich einerseits, dass mein Haus und Hof Biologie Prof. Erich Eder sich wieder die Zeit für ein Gespräch nimmt, und nicht nur das, er bringt den Physiker Werner Gruber mit — wie man früher gesagt hat: bekannt (unter anderem) aus Rundfunk und Fernsehen, Kabarett sowie Autor mehrerer Bücher.
Der Titel der heutigen Episode ergibt sich gleich daraus, dass wir nur ca. ein bis zwei der von mir überlegten Fragen überhaupt angegangen sind: »Gott und die Welt«. Ich beginne das Gespräch mit einem Zitat des britischen Philosophen Roger Scruton:
»The Enlightenment had replaced mystery with mastery.«, Roger Scruton?
Was ist Aufklärung? Wer ist Verantwortlich für Fortschritt und Rückschritt? Was ist die Aufgabe der Wissenschaft, welche Rolle spielt Galileo bei der Frage nach dem Warum und nach dem Wie? Welche epistemologische Rolle spielt das Messgerät, die Technik in Wechselwirkung mit Wissenschaft?
Was ist der Unterschied zwischen Wissenschaftern und Technikern? Und... ist die Medizin eine Wissenschaft? Erich hat da in der Ansprache zu Medizinstudenten einen pragmatischen Zugang:
»Ihr seid eh auch irgendwie Biologen, ihr beschäftigt euch halt nur mit einer Affenart. und da nur mit den Krankheiten und wie man sie heilen kann«
In diesem Zusammenhang gibt Werner Gruber auch einen wesentlichen Tipp: was sollten Sie tun, wenn Sie von Außerirdischen entführt werden und auf dieser Reise erkranken?
Welche Rolle spielt der Nobelpreis für die Wissenschaft und was ist notwendig um einen Nobelpreis zu gewinnen? Der Österreicher Anton Zeilinger hat zuletzt den Nobelpreis für Physik erhalten, was steckt da fachlich und methodisch dahinter?
Ohne die Freiheit, "Sachen zu machen die nicht Mainstream waren", sei seine Forschungsarbeit nicht möglich gewesen, Anton Zeilinger
Der in Österreich geborene Physiker Max Perutz, der in den 1930er Jahren vor den Nazis nach England fliehen musste und dort im berühmten Cavendish Laboratorium arbeiten könnte, erhielt einen Nobelpreis mit John Kendrew für seine Arbeiten am Haemoglobin.
Später leitete er selbst das Labor und in dieser Zeit erhielten neun (!) seiner Mitarbeiter ebenfalls Nobelpreise. Auf die Frage, wie er das Labor führt und diesen Erfolg ermöglicht hat:
»no politics, no committees, no reports, no referees, no interviews; just gifted, highly motivated people, picked by a few men of good judgement.«
Sind wir an unseren Universitäten für Forschung und Lehre richtig aufgestellt? Was könnten und sollten wir verändern? Welche Rolle spielen schräge Vögeln in der Forschung und erlauben wir diese überhaupt noch an den Unis und Forschungseinrichtungen?
»Quantität in der Wissenschaft hat massiv zugenommen, aber nicht die Qualität«
Welche Rolle spielt die Ruhe und Nachdenken in Bildung und Wissenschaft? Schule kommt immerhin vom griechischen σχολή (scholē) was Muße bedeutet. Nutzen wir die Strukturen, die wir eingeführt haben (Universität, Fachhochschule) richtig?
»Ich würde heute nicht mehr studieren wollen«
Was ist die wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts?
Wie grenzen sich Wissenschaft und Aktivismus ab, und welche Rolle spielt Wissenschaft und Expertise in politischen Entscheidungsprozessen? Warum halten sich so viele Menschen heute für Experten einer Sache (z.B. der Physik) ohne auch nur die relevanten Grundkenntnisse zu besitzen — wer ist nun ein Experte? In den Medien ist jeder Wissenschafter (oder jemand der wie ein solcher wirkt) Experte (für eh alles)?
»Wir forcieren in der Politik nicht die Personen, die auch Mut zum Versagen haben«
Gefühl oder Zahlen? Wie ein Statistiker die Küche des Schweizerhauses optimiert.
Wie haben wir die Covid-Pandemie bewältigt? Was den Bürgermeister von Rostock geleitet hat und welche Kritik aktuelle Cochran Studie aufwerfen.
Was hat es mit Plagiatsjägern und Betrug in der Ausbildung auf sich? Hat die höhere Bildung überhaupt den Wert den wir ihr zuschreiben, oder ist sie im Wesentlichen Signalisierung?
»Es ist eigentlich wurscht wo es hinführt, ich persönlich will es wissen.«
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
-
Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
-
Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Erich Eder
-
Episode 47: Große Worte
-
Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
-
Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von Bertrand Russel und der Eugenik lernen können
-
Episode 38: Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
-
Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
-
Episode 2: Was wissen wir?
Werner Gruber
Erich Eder
fachliche Referenzen
- Roger Scruton, Fools, Frauds and Firebrands, Bloomsbury (2019)
- Max Perutz: Geoffrey West, Scale: The Universal Laws of Life and Death in Organisms, Cities and Companies, W&N (2018)
- Mark Alan Smith, Masking Uncertainty in Public Health, Quintette (2023)
- Bryan Caplan, The Case against Education — Why the Education System Is a Waste of Time and Money, Princeton University Press (2019)
- »Plagiatsjäger« Stefan Weber
Wednesday May 17, 2023
073 — Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters
Wednesday May 17, 2023
Wednesday May 17, 2023
In dieser Episode führe ich ein Gespräch mit Dr. Björn Peters über ökologischen Realismus:
Björn ist Physiker und hat seine Karriere als Management-Berater bei McKinsey begonnen. Er war dann im Management verschiedener DAX-Konzerne im Finanzbereich tätig, und hat wirtschaftliche und strategische Bewertungsmethoden entwickelt. Eine besondere Expertise ist dabei die Speicherfinanzierung, die er in vielen internationalen Konferenzen präsentierte. Weiters fungierte er als Vorsitzender des Energy Storage World Forums.
2016 hat er ein privates Forschungs- und Beratungsunternehmen gegründet, das sich auf Rohstoff-, Finanz- und Energiemärkte spezialisiert hat. Er berät Politiker in Fragen von Nachhaltigkeit und Energie-Strategie und ist seit 2021 Finanzchef beim kerntechnischen Startup Dual Fluid Energy Inc. in Vancouver / Kanada.
In diesem Gespräch schlagen wir einen weiten Bogen, beginnend von den großen Herausforderungen der Zeit und wie wir als Gesellschaft mit ökologische Probleme konstruktiv und faktenbasiert umgehen sollten. Dabei sprechen wir über Energieversorgung, Kybernetik, politische Strategien, sowie geopolitische Aspekte dieser Themen.
Was ist vom immer wieder aufflammenden Malthusianismus zu halten? Welche Rolle spielen globale Stoffkreisläufe? Mit einem Blick nach China, Indien, Afrika: welche Rolle können Nationen wie Deutschland bei Fragen des Klimawandels überhaupt spielen?
»Wir tragen unsere Energieproblem auf dem Rücken der Hungernden der Welt aus.«
Wie kommen wir von einer »Gartenzwerperspektive« zu wirksamen Strategien? Welche Rolle spielt Technologie? Finden wir einen Weg, der keinen komplexen Plan benötigt, sondern sich selbst ergibt?
Dann sprechen wir über die Problematik der »erneuerbaren« Energie: aus dem Versprechen einer dezentralen Energieversorgung wird in der Realität eine dezentrale Energieerzeugung mit enormen Folgekosten für die Integration, denn keine Technologie ist zentraler als »Erneuerbare«.
Kybernetik ist ein Begriff, der in den 1980er Jahren langsam an Bedeutung verloren hat —sollten wir ihm nicht wieder mehr Aufmerksamkeit schenken? Z.B. bei der Frage, ob komplexe Herausforderungen besser top-down oder bottom-up angegangen werden sollten? Oder über die Rolle des Staats etwa bei Technologieentscheidungen?
Aktuell steht es um Forschung und Entwicklung in vielen Bereichen nicht sehr gut: Wissenschaft wird eingeengt um »Lösungen« zu finden, die die Politik bereits vorgegeben hat.
Zuletzt interessieren mich die Möglichkeiten, die in der Renaissance der Kernkraft mit fast 100 neuen Startups liegt. Hat die Kerntechnik aufgrund des Aktivismus der 1970er und 1980er Jahre Jahrzehnte der Pause eingelegt? Wo stehen wir heute? Was hat sich bei bestehenden Anlagen verändert? Wie sieht es mit der Sicherheit aus und welche Rolle können diese neuen Startups in den nächsten Jahren spielen? Und natürlich muss ich die Frage stellen: wie gehen wir mit dem Atommüll um, der in der öffentlichen Wahrnehmung wie ein apokalyptisches Problem wirkt?
Welche Rolle kann Serienproduktion und Skaleneffekte für Kosten, Geschwindigkeit und Qualität spielen? Was bedeutet Dekarbonisierung der Energieversorgung wirklich, vor allem wenn man nicht nur das 1/5 Elektrizität sondern auch die 4/5 der restlichen Energie betrachtet?
»Auf globaler Ebene ist die Offenheit für Kernkraft enorm.«
Björn ist bei diesen Zukunftsfragen, wie sich herausstellen wird, aus einer globalen Perspektive optimistisch:
»Global bin ich sehr optimistisch, lokal — für Deutschland und Österreich — wird noch ein sehr tiefes Tal der Tränen vor uns liegen, bis die Leute merken, dass man eine zuverlässige Energieversorgung braucht, die auch günstig ist.«
Die Physik (oder allgemeiner: die Realität) gewinnt am Ende immer, gegen jede noch so gut gemeinte, aber sachlich falsche Idee.
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 70: Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
- Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
- Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
- Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
- Episode 57: Konservativ UND Progressiv
- Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
- Episode 46: Activism, a Conversation with Zion Lights
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
- Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
Björn Peters
Monday Apr 24, 2023
Monday Apr 24, 2023
Das Thema der heutigen Episiode ist: »Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft«
Covid, Klimawandel, Energiewende oder geopolitische Krisen sind komplexe Herausforderungen. Herausforderungen, in denen sich verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse mit politischen und gesellschaftlichen Interessen überschneiden. Unterschiedliche Meinungen, und damit Konflikt ist geradezu eine natürliche Folge solcher Probleme.
Und immer öfter scheinen wir an diesen Herausforderungen zu scheitern, und nicht nur das: wir Polarisieren dabei zunehmend unsere Gesellschaft, drohen liberale und demokratische Werte zu gefährden und beschädigen Wissenschaft und Politik auf dem Weg.
So erleben wir auch eine Renaissance von Paternalismus und Autoritarismus — und dies nicht unbedingt von der politischen Seite, von der es von vielen erwartet wurde. Wollen wir die Entscheidung über wesentliche gesellschaftliche Entscheidungen wenigen Auserwählten überlassen oder doch eine breite und informierte gesellschaftlichen Legitimierung anstreben?
Stecken wir fest? Was geschieht, gerade und welche Rolle spielt Sprache und Diskurs?
Diese Folge jongliert mit einer Reihe von politisch und gesellschaftlich heißen Themen und gerade darum freue ich mich sehr, dieses Gespräch mit Jan David Zimmermann führen zu können.
Jan ist Autor, Journalist und Wissenschaftsforscher, hat auch gerade ein neues und äußerst empfehlenswertes Buch herausgebracht.
Ich möchte nochmals betonen, daß wir Covid, Klimawandel und andere Krisen ansprechen, aber es geht in keinem dieser Fälle darum, konkrete sachliche Fragen der Krisen zu diskutieren oder zu beurteilen.
Vielmehr interessiert uns eine Meta-Frage: wie diskutieren wir aktuell und wie sollten wir derartig schwierige und komplexe Fragestellungen in der Gesellschaft diskutieren, wo schwerwiegende und langfristig wirksame Entscheidungen unserer Ansicht nach demokratisch legitimiert sein müssen.
Wir beziehen keine sachliche Position zu Covid- oder Klimawandel - Fragen, sondern diskutieren auf der Meta-Ebene, wie wir gesellschaftlich und wissenschaftlich mit diesen Themen umgehen, beziehungsweise umgegangen sind, und welche zum Teil erheblichen Fehler aus unserer Sicht hier gemacht wurden. Wie funktionieren — oder funktionieren eben nicht — wesentliche gesellschaftliche Diskurse
»Wissenschaft ist eine tolle Sache um die materielle Welt zu verstehen, aber es dauert Zeit. Es bedarf Debatten und Diskussionen. Das Problem ist dabei nicht so sehr Wissenschaft: sondern wir haben einige hochrangige Bürokraten in die Position eines Papsts erhoben«, Jay Bhattacharya
»Wenn Kritiker ihre Kugeln auf Tony Fauci abfeuern, dann erkenne die Menschen, da ist eine Person. So ist es einfach zu kritisieren, aber sie kritisieren tatsächlich Wissenschaft. Denn ich repräsentiere Wissenschaft.«, Dr. Anthony Fauci
Ist Fauci Wissenschaft? Wer repräsentiert Wissenschaft? Was ist Wissenschaft, vor allem auch hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Wirkung?
Sollten wir Wissenschaft nicht als ständigen Diskurs und Selbstreflexion auch mit einer wesentlichen historischen Dimension begreifen und behandeln? Wissenschaft nach Bourdieu als soziales System sehen?
"Wenn es darum geht, Menschenleben zu retten, mache ich keine Kompromisse.", Wolfgang Mückstein
und
»Aber ich sage Ihnen auch ganz offen, dass der Maßstab nicht das ist, was wir glauben, was wir jetzt machen wollen, sondern der Maßstab ist, was uns die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Thema sagen.«, Angela Merkel (2020)
Was bedeutet das? Wer entscheidet was der Maßstab ist. Welcher Wissenschafter ist überhaupt in der Lage eine relevante Aussage in einer komplexen Systemlage zu geben?
Haben wir — besonders deutlich in der Covid-Krise —Entkontextualisierung und Enthhistorisierung sowie eine deutliche Verengung von Diskurs erlebt? Mit welchen Folgen? Der Mediziner Martin Sprenger spricht von einem virologischen Tunnelblick.
Aber das Problem ist nicht alleine auf den vermeintlichen Extremfall Covid begrenzt. In Deutschland wurde etwa eine Meldestelle für ideologische Abweichung eingerichtet. Dies könnte man als deutliches Beispiel für den Versuch einer autoritären Verengung des Diskurses und Zensur, sehen. Aber auch Framing ist ein wichtiges Mittel der Verzerrung medialer Diskurse Beispiel Ivermectin — haben Joe Rogan und zahlreiche andere Prominente »Pferdewurmmittel« genommen — oder ist das ein Framing um den Diskurs zu vermeiden und sie lächerlich zu machen?
Was ist vom Begriff der »Verschwörungstheorie« zu halten? Natürlich gibt es solche, aber wurde der Begriff möglicherweise inflationär, gar als Kampfbegriff verwendet? In zahlreichen Medienkommentaren erleben wir einen stärker werdenden Paternalismus. Wir wissen, was gut für euch ist — Narrative treiben die Berichterstattung und teilen die Bevölkerung sowie die Ansichten in »Gut« und »Böse« ein.
Vielen scheint es schwer zu fallen zu sehen, dass auch gegensätzlich scheinende Dinge gleichzeitig zutreffen können: Pfizer hat sich einerseits äußerst fragwürdiger Praktiken bedient und wurde dafür in den USA zur höchsten Strafe verurteilt, die das Justizministerium je verhängt hat und kann gleichzeitig auch lebenswichtige Pharmazeutika produzieren. Kritisches Hinterfragen von Großunternehmen wie Pfizer ist dringen notwendig, ohne gleich das Kind mit dem Bad ausschütten zu müssen.
Auch die Frage, ob Forschung einen immer stärker ideologischen Einschlag hat, im besonderen bei politisch wesentlichen Fragestellungen, darf kein Tabuthema sein. Zu viel hängt von den Ergebnissen der Forschung ab, und zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Qualität der Forschung in verschiedener Disziplinen sehr schlecht ist.
Wissenschafter selbst sind wie alle Menschen vielschichtig. Sie können in einer Sache recht und in anderen völlig unrecht haben. Billiges canceln (siehe z.B. David Hume) ist infantil und nicht zielführend. Ein genauer Blick immer notwendig und nicht nur ein blinder Fokus auf das Jetzt und das Ich und die eigene Meinung. Auf die Pandemie gemünzt hat Johannes Lehmann vom »Bann der pandemischen Gegenwart« gesprochen.
Zahlreiche Paradoxien tauchen auf und wir diskutieren einige beispielhaft. Aber auch die Wirkmacht der Krise als politisches Mittel wird Thema; Giorgio Agampen spricht vom Ausnahmezustand als politischem Instrument beziehungsweise Herrschaftsmittel, Naomi Klein hat schon vor vielen Jahren vor einer »Schock Doktrin« gewarnt.
Wir erleben das regelmäßig bei heutigen Aktivisten: Aufgrund der Krise X gibt es angeblich gar keine Zeit mehr für Widerspruch, für Diskurs! Demokratie ist ein Hindernis und wir sollten alleine den Aktivisten folgen. Ist das eine gute Idee?
»Die Sprache der Öffentlichkeit ist eskaliert und gleichzeitig hat sich der Diskurs verengt.«
Wir nennen Beispiele für diese Eskalation und Radikalisierung in ehemals linksliberalen Medien wie etwa dem Standard oder dem Falter in Österreich, der Zeit in Deutschland.
»Ich wünsche mir einen totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine«, Eva Illousz, die Zeit
klingt bedrückend ähnlich zu
»Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen, totalen Sieg der deutschen Waffen?«, Joseph Goebbels, Sportpalast Rede (1943)
Und dies sind keine Einzelfälle. Sarah Bosetti etwa entgleist und vergleicht Menschen mit einem Blinddarm der entfernt werden kann.
Wie hängt das alles mit der immer stärker werdenden Identitätspolitik zusammen? Definiert Identität Freibrief von Sprache und Handlung? Sind etablierte Prinzipien eines Rechtsstaat nichts mehr wert, wenn ich nur die richtige Identität behaupte?
Wir haben erheblichenSchaden an wesentlichen gesellschaftlichen Strukturen angerichtet, und dies gepaart mit einem Vertrauensverlust. Waren dies unvermeidbare Fehler oder eher Ungeschicklichkeit und Überheblichkeit von Eliten, die ihre eigenen Fähigkeiten bei weitem überschätzt haben. Ist Paternalismus und moralische Überhöhung in Ordnung um die Bevölkerung nicht zu verwirren, oder zerstört das den Zusammenhalt in einer modernen Gesllschaft?
“The trust we have in each other and in our institutions is a measure of social health around the world.”, Todd Rose
Die Kompetenz heutiger (wissenschaftlicher) Eliten waren ebenfalls in früheren Episoden ein Thema. So gibt eine Asymmetrie des Vertrauens (in Medien und Menschen): nicht der Durchschnitt zählt, sondern der Ausreißer, der »Betrug«.
»Komplexe Themen brauchen komplexe Diskussionen«
Entgegen der heutigen Schlagwort-Diversität am Oberflächlichen orientiert, gibt es tatsächlich in Institutionen und an Unis immer weniger relevante Diversität, das heißt intellektuelle Diversität — Unterschiede in Meinung und Weltanschauung.
Bei komplexen Fragestellungen können einzelne Personen nie »die Wahrheit« finden. Das bedeutet, der Diskurs muss im Zentrum stehen. Aber wie können wir konstruktiven Diskurs von Ablenkung durch Esoterik und Pseudowissenschaft unterscheiden?
Brauchen wir eine zweite Aufklärung, und wie könnte diese Aussehen?
Umsetzung komplexer Maßnahmen erfordert Vertrauen und Legitimation durch große Teile der Bevölkerung. Paternalistisch und autoritär verordnete Ideen führen spätestens mittelfristig zu starken Gegenreaktionen, die das möglicherweise richtige Ziel erst recht beschädigen. Wie damit umgehen?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 11: Ethik, oder: Warum wir Wissenschaft nicht den Wissenschaftern überlassen sollten!
-
Episode 13: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 1
-
Episode 14: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 2
-
Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
-
Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
-
Episode 32: Überleben in der Datenflut – oder: warum das Buch wichtiger ist als je zuvor
-
Episode 38: Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
-
Episode 39: Follow the Science?
-
Episode 47: Große Worte
-
Episode 57: Konservativ UND Progressiv
-
Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
Jan David Zimmermann
- Homepage
- Facebook: Jan D. Zimmermann
- Instagram: j._zimmermann
- Buch: Lethe. Vom Vergessen des Totalitären (Webseite, Amazon)
Fachliche Referenzen
- Interview mit Rossana Segretto, Tiroler Tageszeitung (2021)
- Drosten und Fauci: Das Versagen von Wissenschaft und Ethik, Cicero (2023)
- Peter Daszak, Christian Drosten et al, Statement in support of the scientists, public health professionals, and medical professionals of China combatting COVID-19, The Lancet (March 2020)
- Tony Fauci:
- Fox News 1
- Fox News 2
- CBN News
- Jacqueline Howard, Dr. Anthony Fauci says publicly released email about lab leak is being misconstrued, CNN (2021)
- Fauci representing science: Megyn Kelly (2022)
- Former CDC Director Redfield at hearing
- Megan K. Stack, Dr. Fauci Could Have Said a Lot More, New York Times Opinion (2023)
- Wiesendanger-Studie, Uni Hamburg (2021)
- Jan David Zimmermann, Frankensteins Erbe, Wissenschaft zwischen Gut und Böse, Cicero (2022)
- Todd Rose, Collective Illusions: Conformity, Complicity and the Science of Why We Make Bad Decisions, Hachette (2023)
- Wolfgang Mückstein Zitat, Kleine Zeitung (2021)
- Angela Merkel, Pressekonferenz (2020)
- Jay Bhattacharya im Triggernometry Podcast (2023)
- Meldestelle Antifeminismus (Deutschland): Nele Pollatschek, Vielleicht sind wir kollektiv ein bisschen drüber, Süddeutsche Zeitung (2023)
- Der totale Sieg
- Eva Illousz, die Zeit 16.2.2023 (Print); 18.2.2023 (online)
- Joseph Goebbels, Sportpalastrede (Wikipedia)
- Jan David Zimmermann über den Illousz Kommentar: Der Wunsch nach dem totalen Sieg, Stichpunkt (2023)
- Christoph Zielinski, Warum diese Angriffe auf die Wissenschaft? Der Standard (2023)
- Sarah Bosetti »Blinddarm« Tweet (2021)
- Sweden, Covid and 'excess deaths': a look at the data, Spectator (2023)
- John Tierney, COVID-19, Lessons we should have learned (2022)
- Great Barrington Declaration
- Bret Stephens, The Mask Mandates Did Nothing. Will Any Lessons Be Learned?, NYT (2023), und der Cochrane Bericht
- Long Covid, Masks, Equipoise, RCTs, Lockdown & More, ID Ethicist
- Lab Leak Hypothesis:
- Klimawandel
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . hurricanes
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . Drought in Western and Central Europe
- Paul S. Kench et al, Patterns of island change and persistence offer alternate adaptation pathways for atoll nations, Nature (2018)
- Thomas Stocker (Vorsitzender des fünften UN-Klimareports) über Kipppunkte und Klima-Berichterstattung: "Eigentlich brauchen wir die Drohkulisse der Kipppunkte nicht", Die Zeit (2022)
- Justice Department Announces Largest Health Care Fraud Settlement in Its History — Pfizer to Pay $2.3 Billion for Fraudulent Marketing (2009)
- ORF Artikel über »geringe psychische Folgen der Pandemie« (2023)
- Pierre Bourdieu, Homo Academicus, Suhrkamp (1992)
- Johannes F. Lehmann, Aus dem pandemischen Jetzt (2022)
- CNN Business, FDA on Ivermectin “You are not a horse, you are not a cow” (2021)
- Joe Rogan und Sanjay Gupta über CNN / Ivermectin
- Kenan Malik, David Hume was a complex man. Erasing his name is too simplistic a gesture, The Guardian (2020)
- Giorgio Agampen, An welchem Punkt stehen wir?: Die Epidemie als Politik, Turia + Kant (2021)
- Naomi Klein, The Shock Doctrine, Penguin (2008)
Tuesday Mar 07, 2023
070 – Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
Tuesday Mar 07, 2023
Tuesday Mar 07, 2023
Today's topic is future of farming. Farming is a bedrock of our society and culture, and at the same time one of the largest contributors to environmental degradation. So, how we can feed the population of the world in the future sustainably is a subject I wanted to cover already for some time. But it was important to find an expert who can bring together theoretical knowledge and real business application and experience.
I am very happy that Pádraic Flood agreed to join me for this conversation. He is currently team lead for crop genetics at Infarm, a vertical farming company.
Before he joined Infarm, Pádraic served as a research scientist at Wageningen University, one of the world’s top agricultural research institutions, where he also completed his Ph.D. Before that, Pádraic held an appointment at the Max Planck Institute for Plant Breeding Research.
Over the past decade, Pádraic has worked in universities using genetics to understand key scientific questions ranging from photosynthesis to how plants adapt to extreme environments.
Pádraic is not only an excellent scientist, but deeply passionate about tackling the challenge of feeding the world without destroying the environment. In addition to breeding and improving crops currently cultivated by infarm, he is pursuing ways to make staple crops viable in indoor farming which, if successful, could free up vast areas of land for nature and biodiversity restoration and go a long way towards achieving food security.
As farming as bedrock of our society we start with a look into our past. What is domestication and breeding? What are we eating today? Old species, e.g. maize are unrecognisable in the original form compared with our modern ones. Breeding was an intergenerational project of humanity. So, what is natural? Unnatural? Is unatural, what is created by humans — which seems to be a rather strange idea?
Also, farming was independently discovered seven times around the world — what does that tell us? What is convergent evolution?
Then we discuss the impacts of farming on nature and environment. How can we reduce the impact of farming while at the same time producing enough food for humanity.
What are GMOs and how is genetic modification different from older breeding technologies?
Then we talk about the 20th century. Were the Malthusian warning voices correct? How did Paul Ehrlichs “population bomb” play out and what did the green revolution with Norman Borlaugh achieve?
“rising food production reduced the malnutrition rate from 2 in 3 people in 1950 to 1 in 11 by 2019. This impressive achievement is even more noteworthy if expressed in a way that accounts for the intervening large-scale increase of the global population, from about 2.5 billion people in 1950 to 7.7 billion in 2019. […] we could not harvest such abundance, and in such a highly predictable manner, without the still-rising inputs of fossil fuels and electricity.”, Vaclav Smil
Modern technology and energy production managed to reduce the labor needed to produce a kilogram of grain by more than 98 percent between 1800 and 2020.
“Growing the grain, milling it, and baking a 1-kilogram sourdough loaf thus requires an energy input equivalent of at least 250 milliliters of diesel fuel.” (150-500ml Diesel per kg tomatoes in Spain (unheated / heated) — ~ same amount like chicken), ibid
Which role do agricultural chemicals role such as herbicides and fertilisers play?
Agriculture is not only about carbon emissions. Purely looking at it through a “carbon lense” is misleading, more relevant seems the planetary boundaries framework. For instance the role of biodiversity, land use and other impacts are of huge importance. Land use is one of the major concerns, considering thet 50% of habitable land mass is used by agriculture.
Carbon tunnel vision is a real issue today and leads to significant mistakes in politics and activism, as I have discussed in other podcast episodes already.
Planetary Boundaries, J. Lokrantz/Azote based on Steffen et al. 2015
What about organic farming? It turns out, it is by far not such a good idea as often promoted. Pádraic explains what the problems are. One serious issue are externalities, where other nations pay the price for our “organic” greenwashing.
One of the major challenges is to manage energy and matter flows better on a global level. As energy plays a significant role in agriculture we discuss the important role of nuclear energy in a green economy, escpecially considering land use in comparison with wind and solar energy.
Risk perception is often not aligned with actual risks.
As one recent example, we discuss the Sri Lanka organic farming disaster, food security and national security:
“In the end, for most crops, organic farming is not net beneficial. It is actually worse for the environment than conventional food production. And people spend even extra money, thinking they do something good., when in many respects they probably are causing more harm.”
Organic food has a large international lobby with a vested interest to promote a green narration, preserve the well functioning but misleading marketing claims, despite of the realities on the planet. On top of that, some organic farming practices leave the realm of rationality and incorporate a number of esoteric ideas that contribute nothing to the environment or to human health, such as biodynamic practices.
“What is allowed in organic is not necessarily allowed because it is safer but just because we done it like that for a long time.”
One example is copper sulfate or organic insectisides, as Pádraic explains in this episode.
What we need going forward, is evidence based agriculture, not dogmatic organic / naturalistic ideas, that are stuck in the past and do more harm than good to nature and humanity.
“Dogma is not adaptive” and
“Silver bullets are only good for killing magical creatures”
What about meat and what role has carneval to play here? Where is science and technology standing in terms of lab grown meat? Evidently, in some countries lab grown chicken nuggets are already a thing?!
One of the major recent innovations seems to be precision fermentation, which could become one of the most exiting new tools in our future farming toolbelt.
“Currently, we are eating our planet”
Now, looking into the future: how could we achieve decoupling food prodcution from ecosystem destruction. How can we feed 9-11 billion people well without eating the planet and create food resilience along the way? Some practices we talk about are
- indoor farming
- precision fermentation
- lab meat
- biotechnology, GMO, Crispr/CAS
Also “doing nothing has risks”
Especially the new bio technologies, synthetic biology seems to offer a lot of opportunities for the future of farming, but also opens up significant new risks. We see a democratisation of bio-technology and synthetic biology — can this be a good thing?
And finally I ask Pádraic: if young people would want to work in these important fields, what could they do instead of glueing themselves to paintings and bridges?
References
Previous Episodes
- Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
- Episode 59 und 60: Wissenschaft und Umwelt 1 & 2
- Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Prof. Erich Eder
- Episode 45: Mit Reboot oder Rebellion aus der Krise?
- Episode 46: Activism, a conversation with Zion Lights
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
- Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
- Episode 22: Biodiversität und komplexe Wechselwirkungen – Gespräch mit Prof. Franz Essl
Padraic Flood
- Twitter: @PdraicFlood
- Padraic Flood on LinkedIn
Literature and Links
Monday Jan 30, 2023
068 — Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr. Andreas Windisch
Monday Jan 30, 2023
Monday Jan 30, 2023
Das Thema der heutigen Episode ist »Modelle«. Was ist ein Modell in Bezug zur Realität, welche Art vom Modellen gibt es und wie sollten wir als Gesellschaft mit Modellen umgehen, im besonderen bei Fragen, die das Verhalten komplexer Systeme in die Zukunft projeziert, wie etwa Klimamodelle.
Mein heutiger Gesprächspartner ist, und das freut mich besonders, ein wiederkehrender Experte, Dr. Andreas Windisch. Andreas ist ein theoretischer Physiker, der 2014 an der Universität Graz sub auspiciis praesidentis promoviert hat. Nach mehreren Jahren als PostDoc an der Washington University in St. Lous in den USA (Schrödinger Fellow des öst. Wissenschaftsfonds) kehrte er nach Österreich zurück, und übernahm die Rolle eines Forschungsteamleiters bei 'Know-Center', einem Forschungszentrum für KI.
Andreas ist Mitbegründer und Leader der Reinforcement Learning Community, einer eigenständigen Arbeitsgruppe, die Teil des unabhängigen Think Tanks 'AI AUSTRIA' ist. Zudem ist Andreas Honorary Research Scientist der Washington University in St. Louis, er betreut Start-Ups bei dem European Space Agency Inkubator Science Park Graz und lehrt KI an der FH-Joanneum. Seit März 2022 hält er auch eine Stelle an der TU-Graz.
Was ist ein Modell? Wie verhält sich ein Modell zur Realität, zur Natur? Welche Rolle spielen Variable und Freiheitsgrade? Andreas erklärt zunächst fundamentale Modelle — am Beispiel des Standardmodell der Teilchenphysik.
»Der Natur ist unsere persönliche Sichtweise natürlich egal.«
Damit ist die Suche nach der Abweichung vom Modell ein wesentlicher Aspekt der Modellierung. Was hat es mit der Filterung durch unsere Sinne und durch unsere Instrumente auf sich? Können wir überhaupt ohne Modell und Theorie Beobachtungen machen?
Warum ist Platons Höhlengleichnis ein gutes Beispiel für Modell und Realität?
Welche Arten der Modellierung gibt es? Vom bottom up / fundamentalen Modell zur Welt im Großen, zu effektiven Modellen? Damit stellt sich die Frage: kann ich die Welt im Großen aus dem fundamentalen Verständnis des Kleinstes modellieren? Also: kann ich mit dem Standardmodell der Teilchenphysik etwa das Klima modellieren? Sollte es nicht nur ein Modell der Welt geben?
Andreas erklärt, warum dies nicht möglich ist. Damit stellt sich die Frage: was ist eine Skala? Was sind Hierarchien von Modellen nach Skala und Fragestellung? Wir diskutieren Beispiele von der Quantenmechanik über die klassische Mechanik bis zur Relativitätstheorie und wieder zurück.
Wie verhält es sich im Übergang von einem Modell einer Skala oder Anwendungsbereich zu einem Modell einer andere Skala? Wo liegen die Grenzen und wie sieht es in den Übergangsbereichen aus? Wie weit kann Extrapolation gehen? Wenn ich Modelle außerhalb des Gültigkeitsbereiches »befrage«, bekomme ich Antworten, aber was ist von diesen zu halten?
Gilt die heute häufig formulierte Annahme: je mehr Daten desto besser (für die Entscheidungsfindung)? Die richtige Information und Abstraktion zur richtigen Zeit ist essentiell!
Wir sprechen weiters über mathematische Symmetrien, »Schönheit« und Qualität von Modellen, datengetriebenem (machine learning) vs. Modell-Zugang. Sind wir am Ende der Theorie angelangt, wie vor einiger Zeit behauptet wurde, oder war das ein Irrtum?
Wie repräsentativ sind die Daten mit denen modelliert wird im Bezug auf die Daten, die in der Realität zu erwarten sind? Ändert sich das über die Zeit der Modell-Nutzung?
Wir kehren dann wieder an den Anfang zurück und diskutieren ein fundamentales historisches Beispiel, das n-Körper-Problem, beziehungsweise eine vereinfachte Form davon, das Dreikörperproblem, das ja einfach physikalisch zu lösen sein sollte. Oder doch nicht? Warum nicht? Was sind die Erkenntnisse und Folgen dieses historischen Problems, getrieben von König Oskar II und Henri Poincaré?
Es kann doch nicht so schwer sein, die Bahnen von Sonne, Erde und Mond zu berechnen!
Aus diesem Beispiel folgend: Was sind (nicht-lineare) chaotische Systeme und was bedeutet das für Modellierung und Vorhersage, vor allem in Bezug auf die Anfangsbedingungen und die Möglichkeit diese genau zu bestimmen? Wie hängt dies mit den intrinsischen Zeitskalen des Systems zusammen? Liegen hier natürliche Grenzen der Vorhersagbarkeit, die wir auch mit stetig besseren Sensoren, Computern und Algorithmen nicht brechen können?
Was sind Attraktoren komplexer dynamischer Systeme und Tipping Points (auch Kipppunkte,Phasenübergänge oder Regime Shifts genannt)? Kann man vorhersagen, wann sich ein System einem Kipppunkt nähert?
Dann diskutieren wir die Konsequenzen für Risikomanagement, den Unterschied zwischen statistisch gut beschreibbaren und bekannten Systemen, versus komplexen chaotischen Systemen und dem Vorsorgeprinzip. Was können wir daraus für politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse mitnehmen?
Passend zur vorigen Episode disuktieren wir auch das Risiko des »Overselling« wissenschaftlicher Erkenntisse und vor allem von Modell-Ergebnissen als Wissenschafter.
Zum Schluss stellen wir die Frage, wie weit wir als Gesellschaft kritischen Diskurs verlernt haben.
»Alle Experten sagen...« ist keine relevante Aussage, sondern ein rhetorischer Trick um Diskurs zu beenden.
Unterschiedliche Meinungen sind gerade bei komplexen (wicked) Problems von größter Bedeutung. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle der Wahrheit, auch wenn das von manchen politischen Akteuren gerne so dargestellt wird. Was Information und Misinformation ist, stellt sich in der täglichen Praxis als sehr schwieriges Problem heraus. Auch die aktuelle Rolle der »alten« Medien ist stark zu hinterfragen.
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
- Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
- Episode 55: Strukturen der Welt
- Episode 53: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität
- Episode 47: Große Worte
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
Andreas Windisch
- Andreas Windisch auf LinkedIn
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
Fachliche Referenzen
Saturday Dec 31, 2022
067 — Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
Saturday Dec 31, 2022
Saturday Dec 31, 2022
In dieser Episode führe ich ein äußerst interessates Gespräch mich mit Prof. Stephan Schleim. Er ist deutscher Philosoph und Psychologe, Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie Universität Groningen. Seine Spezialgebiete sind die Theorie und praktische Anwendungen der Psychologie und Neurowissenschaften. In seiner Forschung zur Wissenschaftskommunikation untersucht er, wie Darstellungen der Hirnforschung akademische und gesellschaftliche Debatten beeinflussen (z. B. in der Neuroethik oder dem Neurorecht).
Seit 15 Jahren ist er mit seinem Blog Menschen-Bilder bei den SciLogs vertreten, dem Portal für Wissenschaftsblogs des Spektrum-Verlags. Außerdem ist er Autor mehrerer Bücher.
Ich beschäftige mich ja schon länger mit der Frage, ob unser Wissenschaftsbetrieb nicht an einigen Stellen falsch abgebogen ist und was wir tun könnten, ja müssten um diese Situation zu verbessern. Warum ist es für uns wir als Gesellschaft wichtig, diese Problemlage zu verstehen? Denn wesentliche politische Entscheidungen hängen ja von wissenschaftlichen und technischen Aussagen und Möglichkeiten ab.
Wir beginnen unser Gespräch mit der Frage, ob sich die Erwartungen, die in der aus der Gesellschaft aber meist auch aus der Wissenschaft heraus an die Wissenschaft formuliert werden erfüllen? Schreitet Wissenschaft immer schneller voran? Führt dies stetig zu neuen und bahnbrechenden technischen Fortschritten?
Zahlreiche Untersuchungen legen eher das Gegenteil nahe. Wie sieht es nun mit Fortschritt und Qualität wissenschaftlicher Erkenntnis aus? Welche Anreizsysteme herrschen aktuell vor, nach welchen Indikatoren werden Wissenschafter gemessen, welche Definitionen von Produktivität gibt es in der Wissenschaft und was bedeutet dies für Erkenntnis und Innovation?
»Lässt man Kants akademischen Werdegang kurz Revue passieren, muss man zu dem Befund kommen, dass ein Denker wie Kant im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb keine Chance gehabt hätte. Im Gegenteil: Er verkörpert geradezu alles das, was dem Eifer der Universitätsreformer ein Dorn im Auge ist.«, Konrad Paul Liessmann
Es gibt nur noch selten in der modernen Wissenschaft solche positiven Beispiele, etwa den 3D-Atlas des Gehirns, wo das Ergebnis jahrzehntelanger, qualitativ hochwertiger Grundlagenforschung dargestellt werden.
»Die Wissenschaft befindet sich großteils in einem hermeneutisch abgeriegelten, selbstreferentiellen System.«
Was sind Beispiele für die Probleme, die wir beschreiben? Die 90er Jahre waren in den USA die Dekade des Gehirns. Auch Europa hat mit dem Human Brain Project nachgezogen — unter anderem mit dem Ziel, ein Gehirn im Computer zu simulieren. Was ist das Ergebnis dieser Dekade? Wir diskutieren Erwartungen und Versprechungen vom Gedankenlesen bis zum Lügendetektor; was waren die Folgen für die Diskussion des »freien Willen«, für Recht und Medizin?
In den letzten Jahrzehnten waren auch die »bunten Bilder« des Gehirns, die aus statistischen Auswertungen von Kernspintomographen entstehen, ein Hit in wissenschaftlichen Artikeln aber auch in populärwissenschaftlichen Berichten. Man konnte fast sagen: keine Psychologie ohne »Hirnbilder«!
Sind die Ergebnisse, die man mit der Kernspintomographie erhalten hat aber überhaupt vertrauenswürdig und korrekt? Beziehungsweise unter welchen Versuchsbedingungen kann man mit seriösen Ergebnissen rechnen und wurden diese in der Regel erziehlt? Also bleibt letztlich die Frage: können diese Hirnscanner, die richtig viel Geld kosten, überhaupt das Kriterium der Reproduzierbarkeit — als Mindeststandard wissenschaftlicher Qualität — erfüllen? War der Hype gerechtfertigt?
»Es gibt einige gute Studien, aber in der großen Masse sind viele dieser Studien, glaube ich, nicht vertrauenswürdig. […] Diesen Schluss muss man ziehen.«
Aber auch in zahlreichen anderen Bereichen der Psychologie und Psychiatrie erleben wir im Rückblick durchwachsene Ergebnisse, so etwa bei den wenig beeindruckenden Erfolgen der Antidepressiva in der Psychiatrie.
Ich spreche dann auch andere Hype-Themen der Vergangenheit an, und frage, warum wir aus diesen relativen Fehlschlägen so wenig lernen, z.B. Richard Nixon und den Krieg gegen den Krebs, Erik Topol und seine Kritik des Human Genome Projects sowie die mangelhafte Leistung von KI-Systemen in der Covid-Behandlung.
Wir diskutieren dann die Konsequenzen dieser Hypes, denn diese sind nicht einfach nur kurzfristige Irrtümer, sondern in ihnen stecken zum Teil enorme Opportunitätskosten und Kollateralschäden.
Wenn wir über die aktuelle Situation hinausschauen: »Wissenschaft die auch taugt« — was könnten wir die Standards sein? Prof. Schleim bezieht sich auf einen Artikel von Thomas Kuhn: Hartnäckigkeit und Dogmatismus ist manchmal auch ein wesentliches Mittel zum Erfolg in der Wissenschaft.
Die Behandlung von Aids kann als als Erfolgs-Beispiel gelten, auch die Entdeckung der PCR durch Kary Mullis, die psychiatrische Forschung mit Verengung auf Neuro-Wissenschaft allerdings als negatives. Überhaupt ist Kary Mullis ein gutes Beispiel für einen ultra-harnäckigen Wissenschafter gewesen, der in einem engen Bereich hohe Leistung gebracht hat, darüber hinaus aber eher für fragwürdige Ideen bekannt wurde.
Nun stellt sich aber die Frage: was für das Individuum des Wissenschafters gilt, gilt das auch für die Wissenschaft als Ganzes?
Und wo hört die Hartnäckigkeit auf und wird zum (sanften) Betrug? Fake it till you make it — ein wissenschaftliches Erfolgsmodell? Welchen Effekt haben New Public Management, Messen, Optimieren in der Wissenschaft(sverwaltung), Zitationsfaktoren, Impact-Faktor, usw?
»There is no cost to getting things wrong. The cost is not to getting them published.«, Prof. Brian Nosek
Wir erleben aktuell in vielen Bereichen einen Hyperwettbewerb und Bewertung von Forschung — wenn man in kurzen Zeiträumen »Durchbrüche« darstellen muss, um überhaupt überleben zu können — was wird das für Konseqzenzen für Richtung und Qualität und Vermarktung der Forschung haben?
Die Probleme, über die wir sprechen, sind bei weitem keine, die nur in den Interna der Wissenschaft Folgen haben, sondern breiten sich über Wissenschaftskommunikation und Expertenwesen in Gesellschaft und Politik aus? Hier ist auch der Aspekt zu sehen, dass die Verantwortung für diese Hypes auch an den Konsumenten liegt — eine Folge der Konkurrenz um Aufmerksamkeit.
Was ist überhaupt von Wissenschafts-News zu halten? Denn die Taktung wird immer höher — ist das sinnvoll oder sogar schädlich? Wissenschaft ist selten eindeutig, vor allem nicht in komplexen Fragestellungen. Führt das nicht eher zu Verwirrung statt Information bei der Bevölkerung?
Kann mehr Transparenz in den wissenschaftlichen Prozess die Situation verbessern? Können wir vom Rechtswesen lernen — was sind Folgen für wissenschaftliche Freiheit, politische Freiheit und Demokratie? Was können wir aus den Erfahrungen erfolgreicher Wissenschafter lernen?
Ohne die Freiheit, "Sachen zu machen die nicht Mainstream waren", sei seine Forschungsarbeit nicht möglich gewesen, Anton Zeilinger
Max Perutz, der österr. Wissenschafter, der von den Nazis nach England fliehen musste, hatte in seinem Labor neun Nobelpreisträger! Auf die Frage, wie man so erfolgreich wird antwortet er:
»Keine Politik, keine Gremien, keine Berichte, keine Gutachter, keine Interviews, nur begabte, hoch-motivierte junge Menschen, ausgewählt von wenigen Männern mit gutem Blick.«
Und was machen wir im heutigen Wissenschaftsbetrieb?
Einer der Ursachen für die Probleme im aktuellen Wissenschaftsbetrieb ist das Publikations(un)wesen: welche Rolle spielen kommerzielle Verlage, Open Access, Preprint, sind Daten und Prozesse transparent?
Welche Rolle spielt der Antrags-Irrsinn und die damit verbundene Bürokratie? Die bekannte amerikanische Tiefsee-Forscherin Edith Widder bringt den Konflikt zwischen innovativer Forschung und Finanzierung auf den Punkt:
»Die Sache ist die: In der Wissenschaft muss man den Förderstellen erklären, was man entdecken wird, bevor sie einem Geld geben. Und ich wusste nicht was ich entdecken werde. Somit bekam ich keine Unterstützung.«
Wo und in welchem Umfang macht Antragswesen Sinn, in welcher Form, und wo ist es ein Hindernis für gute Wissenschaft und verhindert vor allem auch, dass gute Wissenschafter Karrieren machen. Welcher innovative und kreative Wissenschafter ist Willens 30-40% seines Alltags mit stumpfer Bürokratie und Antragschreiben zu verbringen? Welche Folgen hat dies daher für die Selektion an Universitäten?
Eric Weinstein nennt dies passend: »snap-to-grid intellectualism«
Führen diese Prozesse zu kontroproduktiven Anpassungsprozessen an Indikatoren, Bürokratie, Regeln usw. Lenken wir also die verbleibende Intelligenz der Forscher weg von der Forschung hin zum Übergehen und Ausnutzen von Regeln und Bürokratie?
Einfache Versprechungen und Aussagen treffen in der Realität sehr schnell an ihre Grenzen und so ist es auch nicht einfach Schritte aus der Krise zu finden. Ein erster Ansatzpunkt findet sich etwa in der Magna Charta Univesitatum.
Referenzen
Andere Podcast
- Episode 53 und Episode 54: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität
- Episode 47: Große Worte
- Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
- Episode 39: Follow the Science?
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
- Episode 19 und Episode 20: Offene Systeme
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
Stephan Schleim
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- Stephan Schleim auf Twitter
- Menschen-Bilder Blog
- Stephan Schleim an der Universität Groningen
- Universität Groningen
- Die Neurogesellschaft: Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert, Heise (2010)
- Psyche & psychische Gesundheit: Philosophen, Psychologen und Psychiater im Gespräch, Heise (2020)
- Wissenschaft und Willensfreiheit: Was Max Planck und andere Forschende herausfanden, Springer (2023)
- Stephan Schleim, Sind Hirnscans nur Kaffeesatzleserei?
Fachliche Referenzen
- Nicholas Bloom, Are Ideas Getting Harder to Find? (2020)
- How should medical science change, Lancet (2014)
- Economist: How Science goes wrong
- Trouble at the lab | The Economist
- Rettet die Wissenschaft,Die Zeit (2014)
- Konrad Paul Liessmann, Kant — Dienst ohne Vorschrift, Der Standard (2004)
- Eric Topol, Human genomics vs Clinical genomics — Expectation vs. Facts
- Thomas Kuhn, The Function of Dogma in Scientific Research, 1963
- John P. A. Ioannidis, Why Most Published Research Findings Are False (2005)
- Warum KI-Werkzeuge gegen COVID-19 bislang versagt haben, Heise (2021)
- Physik Nobelpreis für österr. Quantenphysiker Anton Zeilinger (2022)
- Zitat Max Perutz aus Geoffrey West, Scale: The Universal Laws of Life and Death in Organisms, Cities and Companies, W&N (2018)
- Edith Widder, Glowing life in an underwater world, TED-Talk
- Magna Charta Univesitatum