Episodes
Wednesday Aug 04, 2021
045 – Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?
Wednesday Aug 04, 2021
Wednesday Aug 04, 2021
Gerade in Zeiten der Krise liest und hört man immer wieder Geschichten, Phantasien, manchmal auch Schreckens- oder gar Wunschvorstellungen, unsere (globale) Gesellschaft könnte kollabieren und dann einen sogenannten Reboot durchleben. Wie ein Phoenix aus der Asche könnte eine neue, bessere Gesellschaft aus den Ruinen der alten aufstehen.
So wird auch von manchen extremeren Gruppen die Idee in den Raum gestellt, eine solche Disruption bewusst herbeizuführen.
»Traditionelle Strategien wir Petitionen, Lobbying, Wahlen und Proteste haben aufgrund der tief verankerten Interessen von politischen und ökonomischen Kräften nicht funktioniert. Unser Vorgehen ist daher gewaltfreier, disruptiver ziviler Ungehorsam — eine Rebellion um Änderungen herbeizuführen, zumal alle anderen Mittel versagt haben«, Extinction Rebellion global, Website (Hervorhebungen von mir)
Es gibt noch radikalere Vorstellungen und Phantasien in politisch radikalen Strömungen, von Anarchisten bis zu rechts-radikalen und in radikal religiösen Bewegungen wie dem Islamismus oder evangelikalen Bewegungen, etwa in den USA, die ebenfalls glauben über radikale Änderungen eine bessere Welt herbeiführen zu können oder gar über einen Kollaps und Neuaufbau.
Der britische Philosoph John Gray fasst dies so zusammen:
»Der millenaristische Geist glaubt, die menschliche Welt kann komplett und schlagartig transformiert werden […] Zur Zeit des Mittelalters wurde dies durch Gott oder Gottes Vertreter auf Erden erreicht. In modernen Zeiten, gilt als Autor dieser neuen Welt die Humanität oder selbsternannte revolutionäre Avantgarde.«
Nutzen wir doch die Krise, räumen wir das alte Zeug weg, und bauen wir von vorne neu auf! Wir beginnen also von vorne, aber wissen es diesmal besser, machen alles besser und alles wird gut?
In dieser Episode diskutiere ich einerseits die Idee schneller, radikaler Reformen und die Frage, ob es möglich ist, eine moderne Gesellschaft aus den Ruinen der heutigen wieder aufzubauen.
Die kurze Antwort ist: nein. Wir haben die Leitern, auf denen wir auf die heutige gesellschaftliche Komplexität hochgeklettert sind, weggeworfen. Nicht nur würde ein Kollaps unfassbares Leid anrichten, wir wären wohl auch nicht mehr in der Lage eine moderne Gesellschaft wiederherzustellen.
Auch die Phantasien schneller, radikaler Reformen sind aus mehreren Gründen nicht nur unrealistisch sondern wahrscheinlich brandgefährlich. Etwas zerstören ist einfach, etwas funktionierendes Aufbauen ungeheuer schwierig und, wenn es große Teile der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik betrifft, auch nicht planbar.
»Eine Revolution lässt sich nicht als Fortschritt beschreiben«, Christoph Möllers
Die Kunst der Transformation unserer Gesellschaft hin zu einem nachhaltigen Lebensstil ist daher wohl ein ungeheuer komplexer Balanceakt, wo substantielle Veränderung geschehen sollte, dies hochgradig rational und nicht von Ideologien getrieben, aber bei gleichzeitiger Erhaltung bestehender Systeme und Strukturen, bis diese tatsächlich durch funktionierende neue ersetzt wurden.
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 44: Was ist Fortschritt, Gespräch mit Philipp Blom
- Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 17: Kooperation
Fachliche Referenzen
Monday Jun 21, 2021
043 – Deep Fakes: Wer bist du, und – was passiert da eigentlich?
Monday Jun 21, 2021
Monday Jun 21, 2021
Wollte man den Titel dieser Episode etwas gelehrter ausdrücken könnte man vielleicht sagen: Das Fenster der vermittelten Authentizität, das das 20. Jahrhundert geprägt hat, schließt sich gerade. Und es schließt sich in bemerkenswertem Tempo.
Bitte die Referenzen unten ansehen: dort finden sich alle in der Episode genannten Bilder.
Vor Ende des 19. Jahrhunderts gab es keine Mittel technischer Reproduktion der »Wirklichkeit«, also weder Photographie, noch Film noch Tonaufnahmen. Diese analogen Reproduktionstechniken haben einen interessanten »Sweetspot«: sie sind schnell, billig und effektiv genug um die Welt mit Abbildungen von Ereignissen über weite Strecken zu versorgen, aber unflexibel genug, dass Manipulation und Fälschung verhältnismässig aufwändig sind. So haben wir im 20. Jahrhundert natürlich Fälschungen gesehen, aber diese waren im Vergleich zu den authentischen Medien vergleichsweise selten.
Robert Capa, Death of a loylist soldier (Spanischer Bürgerkrieg)
Im Augenblick entstehen technische aber extrem einfach zugängliche technische Mittel (Software, Smartphones), die glaubwürdige Manipulationen oder Fabrikationen beliebiger Medien für Jedermann ermöglichen – auch Deep Fakes genannt.
In dieser Episode bespreche ich den geschichtlichen Hintergrund der technischen Innovationen, wie wesentliche Information vor dem 20. Jahrhundert vermittelt wurde – auch am Beispiel der Schlachtenmalerei – und wo wir uns heute hinbewegen. Ich zeige, wie analoge Medien gefälscht wurden, warum dies aber nur ein vergleichsweise kleines Problem war.
Dann diskutiere ich, was Deep Fakes eigentlich manipulieren und was Authentizität in der vermittelten Abbildung der Welt für uns bedeutet? Wie werden wir (bald) damit umgehen, wenn jeder 14 Jährige auf der ganzen Welt:
- eine Podcast-Episode erstellen kann, in der vermeintlich Joe Rogan mit Donald Trump oder Barack Obama spricht;
- ein YouTube Video, wo ein bekannter Journalist die Bundeskanzlerin interviewt;
- einen Film, in dem Tom Cruise mit Marilyn Monroe gemeinsam auf dem Motorrad fährt;
- oder ein unappetitliches Video anfertigt und online stellt oder über Plattformen teilt, dass eine Klassenkameradin in einer pornographischen Situation zeigt?
All diese Medien werden kaum oder gar nicht von echten Aufnahmen unterscheidbar sein und all diese Medien werden, wie gesagt, mit äußerst geringen Sachkenntnissen und ubiquitär verfügbaren Computern hergestellt werden können.
Können wir diese Entwicklung noch verhindern? Die Effekte eingrenzen? Können wir das Vertrauen in vermittelte Realität wieder zurückgewinnen, sollte es einmal durch einen Tsunami an solchen Deep Fakes zerstört worden sein?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 4 und Episode 5: Was will Technologie?
- Episode 30: (Techno-)Optimismus – ein Gespräch mit Tim Pritlove
- Episode 40: Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
- Episode 15: Innovation oder Fortschritt?
Fachliche Referenzen
- (an)sichten Blog: The Closing Window auf Mediated Authenticity
- Stalin und Photo-Manipulationen
- Die sowjetische Flagge am Berliner Reichstag 1945
- Robert Capa, der fallende Soldat: Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent, dtv (2011)
- Bobby Chesney, Danielle Citron, Deep Fakes: A Looming Challenge for Privacy, Democracy, and National Security (2019)
- Pedro J. Colombo, Der Photograph von Mauthausen, Tahoe books (2021)
- Zu Deep Fakes: keine konkrete Referenz, weil sich hier alles so schnell bewegt. Eine Internet Suche zum Stichwort »Deep Fake« bringt zahlreiche Beispiele (Obama, Trump, Fake Porn, Joe Rogan)
- The Guardian, European MPs targeted by Deep Fake Video Calls Imitating Russian Opposition (2021)
Thursday May 06, 2021
Thursday May 06, 2021
Die Idee zu dieser Episode ist mir gekommen, als mir ein altes Buch von Bertrand Russell in die Hände gefallen ist: Marriage and Morals. Ein heute (wie sich herausstellen wird zum Glück) recht unbekanntes Werk von ihm.
Bertrand Russell war ein Philosoph, Logiker und public intellectual, den ich sehr schätze. Er ist 1872 geboren und 1970 gestorben, war einer der führenden Wissenschafter, Philosophen und Intellektuellen seiner Zeit. Ein Mensch, der in seinen Handlungen über seine Lebenszeit offensichtlich versucht hat die Gesellschaft in eine positive Richtung weiterzuentwickeln.
Er befürwortete früh im 20. Jahrhundert das Frauenwahlrecht, wurde zweimal für seine Friedensbemühungen inhaftiert, war Atheist und unterstützte linke Ideen, obwohl er selbst einem alten Adelsgeschlecht entstammte.
Viele seiner Bücher sind bis heute – aus gutem Grund – gerne gelesen.
So ist die Auseinandersetzung (für mich) mit Marriage and Morals alles andere als einfach. In dieser Episode beschränkte ich mich auf ein Kapitel aus diesem Buch, das sich mit Eugenik beschäftigt. Unter Eugenik versteht man im weiten Sinne die Anwendung technischer oder politische Mittel oder Maßnahmen, mit dem Ziel, die Anteil vermeintlich positiver Erbanlagen in der Bevölkerung zu verbessern. Im Deutschen ist ein Begriff der NS-Zeit, die sogenannte Rassenhygiene, sehr eng damit verwandt.
Russell äußert in diesem Kapitel Ansichten, die – wie in der Episode diskutiert wird – mit einem heutigen Blick auf die Welt in keiner Weise mehr vereinbar sind.
Gerade darum war diese Auseinandersetzung für mich so lehrreich: Wie kann es sein, dass einer der führenden Intellektuellen seiner Zeit auf solche gedanklichen Abwege kommt? Was bedeutet dies über die Dinge die ich oder andere Menschen in der heutigen Zeit vertreten?
Russel war nicht der erste und wird nicht der letzte Intellektuelle bleiben, der sich in einem Thema verirrt. So schreibt etwa Karl Popper über Platon:
»Er war ein großer Philosoph. Er hat die Philosophie begründet und hat viele großartige Ideen gehabt. Aber ich habe versucht zu zeigen, daß ein großer Philosoph auch sehr schlimme Dinge vertreten kann. In einer Zeit, die eine Aufklärungszeit war, in der andere Denker gegen die Sklaverei waren, schrieb Platon wie ein arroganter Sklavenhalter und trat für die Sklaverei ein.«
Zunächst versuche ich in dieser Episode einen Schritt zurück zu machen und den Kontext der Zeit, das Verständnis von Eugenik kurz darzustellen. Menschen sind immer auch Kinder ihrer Zeit – welche Rolle spielt das in ihrem Denken? Dann kehren wir zu Russel und auch in die heutige Zeit zurück: Wie sollen wir Menschen der Vergangenheit beurteilen? Menschen, mit denen wir heute (intellektuelle oder politische) Konflikte haben? Dürfen wir Menschen verurteilen, die sich »Ausrutscher« erlaubt haben? Unter welchen Umständen?
»Wer Eindeutigkeit erstrebt, wird darauf beharren, dass es stets nur eine einzige Wahrheit geben kann und dass diese Wahrheit auch eindeutig erkennbar ist.«, Thomas Bauer
Ich denke, dass wir wesentlich mehr intellektuelle Bescheidenheit fordern müssen, sowohl in dem was wir behaupten, aber auch in dem was wir kritisieren.
Dies ist eine für mich schwierig zu verdauende Folge. Ich hoffe, es ist mir gelungen diesen Themenbereich angemessen zu diskutieren. Ich freue mich daher gerade bei dieser Episode ganz besonders auf Feedback und Kritik.
»Wir dürfen nie vorgeben zu wissen, und dürfen nie große Worte gebrauchen«, Karl Popper
Referenzen
Bertrand Russel
- Bertrand Russell: Biographie in der Encyclopedia Britannica
- Bertrand Russell in der Stanford Encyclopedia of Philosophy
- Das Russell-Einstein Manifest
Bücher von Bertrand Russel
- Eroberung des Glücks: Neue Wege zu einer besseren Lebensgestaltung
- Lob des Müßiggangs
- Warum ich kein Christ bin
- Philosophie des Abendlandes
- Marriage and Morals, H. Liverlight (1929)
fachliche Referenzen
- Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre, dtv (2016)
- Richard David Precht, Sei du selbst, Goldmann (2019)
- Karl Popper, Ich weiß, dass ich nichts weiß, und kaum das, Ullstein
- Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt, Piper (2009)
- Thomas Bauer, Vereindeutigung der Welt, Reclam (2018)
Monday Mar 22, 2021
039 – Follow the Science?
Monday Mar 22, 2021
Monday Mar 22, 2021
»Science does not say you shouldn’t pee on high-voltage lines, it says urine is an excellent conductor.«, Axel Bojanowski, Twitter Header
»Follow the science«, also »Folge der Wissenschaft« ist das Motto oder die Forderung vieler Umweltbewegungen aber auch zunehmend politischer Akteure.
Was ist von dem Slogan zu halten? Was könnte falsch daran sein, den Erkenntnissen der Wissenschaft zu folgen? Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Sache leider (wie so häufig) etwas komplexer dar.
Diese Frage öffnet drei grundsätzliche Ebenen:
- In welchem Umfang können wir Wissenschaft und Erkenntnis vertrauen? Denn Follow the Science setzt natürlich hohe Ansprüche an die Qualität des Wissens.
- Gibt es in komplexen Systemen überhaupt eine klare Beschreibung von Problemen und Lösungen? Oder ist schon diese Betrachtung problematisch?
- Selbst wenn wir diese ersten beiden (schwerwiegenden) Aspekte einmal ignorieren, stellen wir fest, dass es dennoch sehr fundamentale Gründe gibt, warum follow the science in der naiven Form kaum haltbar ist.
In dieser Episode geht es daher alleine um den dritten Aspekt. Die ersten beiden Aspekte wurden in anderen Episoden bereits diskutiert (s.u.).
Anhand von vier Gedankenexperimenten wird die Problemlage deutlich gemacht:
- Welche Rolle spielt die Wissenschaft in der Entscheidungsfindung?
- Kann aus wissenschaftlicher Erkenntnis unmittelbar Aktivitäten abgeleitet werden?
- Wie ist das Zusammenspiel von ethischer Bewertung, gesellschaftlichen Werten und naturwissenschaftlicher Erkenntnis?
In dieser Episode gilt ganz besonders: Teilen Sie Ihre Überlegungen mit mir!
»Es gibt keine bedrohlichere und entwürdigendere Doktrin als die Vorstellung, dass wir die Verantwortung für die Entscheidungen unserer Gesellschaft irgendwie aus der Hand geben können, indem wir sie einigen wenigen, mit einem besonderen Zauber ausgestatteten Wissenschaftlern übertragen.«, Jacob Bronowski (1956)
Referenzen
Andere Episoden: (1) Welcher Erkenntnis können wir trauen
- Episode 13 und Episode 14: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 1 & 2
- Episode 11: Ethik, oder: Warum wir Wissenschaft nicht den Wissenschaftern überlassen sollten!
Andere Episoden: (2) Probleme und Lösungen
- Episode 6: Messen was messbar ist – über die Idee aus Messbarkeit heraus die Welt zu begreifen
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 37: Probleme und Lösungen
Fachliche Referenzen
-
Max Weber, Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904)
- Jacob Bronowksi, Science and Human Values (1956)
Tuesday Feb 02, 2021
037 – Probleme und Lösungen
Tuesday Feb 02, 2021
Tuesday Feb 02, 2021
- dasselbe Problem,
- dieselbe Lösung spricht und
- jeder wüsste und übereinstimmt, wie man vom einem zum anderen gelangt
Sprache und Rhetorik bestimmt auch unser Handeln. In dieser Episode spreche ich über verschiedene Arten von Problemen, und wie diese unterschiedliche Zugänge verlangen. Am Beispiel des Problemschachs wird die einfachste Art von Problemen erklärt.
Thomas Taverner 1889: Weiß setzt Schwarz in zwei Zügen Matt
Wir werden dann aber feststellen, dass fast alle Probleme, die uns im Leben und der Welt begegnen, gerade nicht in diese Kategorie fallen – schon auf die »normale« Schachpartie trifft dies nicht mehr zu.
Probleme in der Welt sind häufig Wicked Problems. Probleme, die sich schwer fassen lassen, die keine klare Lösung und kein klares Ziel haben. Probleme, die sich auch nicht leicht reproduzieren oder studieren lassen.
Wie gehen wir damit um? Sollten wir uns von Wunschdenken und Wunschvorstellungen lösen und in manchen Bereichen auch die Erkenntnis annehmen, dass wir von Problemen umgeben sind, die wir nicht, oder nicht mehr lösen können? Dazu zählt wohl auch der Klimawandel.
»Wenn man sagt, es ist ein Wettlauf mit der Zeit (wir haben noch diese drei Jahre...), dann werden wir diesen Wettlauf verlieren«, Wolfram Eilenberger
Was können wir angesichts solcher, auch existentieller Probleme überhaupt erwarten? Schuldzuweisungen? Können wir in eine erwachsene Diskussion kommen? Wollen wir evolutionäre Transformationsprozesse oder Revolutionen? Was ist die Rolle von Generalisten? Und der Umgang mit dem Scheitern?
»Die rettende Idee besteht schlicht darin, dafür zu sorgen, dass die menschlichen und Berechnungsfehler beschränkt bleiben, und zu verhindern, dass sie sich im System ausbreiten«, Nassim Taleb
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
Fachliche Referenzen
- Jung und Naiv Folge 467 mit Wolfram Eilenberger (20.9.2020)
- ‘A cat in hell’s chance’ – why we’re losing the battle to keep global warming below 2C, The Guardian (19.1.2017)
- Nassim Taleb, Der schwarze Schwan, Konsequenzen aus der Krise
- Kenneth Stanley, Why Greatness Cannot be Planned – The Myth of the Objective (Sep. 2015)
Monday Dec 14, 2020
035 – Innovation oder: Alle Existenz ist Wartung?
Monday Dec 14, 2020
Monday Dec 14, 2020
»Most work is keeping things the same«, David Graeber
Kann nur Innovation unsere Zukunft sichern, oder leben wir gar im Innovations-Wahn?
»Wir springen von einer Klippe und erst auf dem Weg nach unten bauen wir unsere Flügel«, Ray Bradbury
Das scheint in vielerlei Hinsicht die Strategie unserer Gesellschaft zu sein, aber ist das eine kluge Strategie, die wir weiterführen sollten? Welche Technologie ist eigentlich relevant für uns? Wer entscheidet dies? Wer hat welche Interessen? Wie spielen alte und neue Technologien zusammen?
Silicon Valley Speak erklärt im wesentlichen IKT zur Technologie, aber das ist nur ein sehr kleiner Teil des Bildes. Was nehmen wir eigentlich als Technologie wahr?
»Der Faszination des Neuen folgt in der Regel die Phase der Gewöhnung, die so weit geht, dass wir das Technische gar nicht mehr als das Technische wahrnehmen«, Klaus Kornwachs
Wir sind abhängig von lebenswichtiger technischer Infrastruktur und diese ist im ständigen Kampf gegen die Entropie.
Alles ist Wartung:
»Everything, without exception requires additional energy and order to maintain itself. Existence, it seems, is chiefly maintenance«, Kevin Kelly
Je komplexer wir aber unsere Infrastruktur machen, desto aufwändiger wird die Wartung. Innovation, im besonderen auch Digitalisierung, erschein vielleicht nicht teuer in der Anschaffung, aber haben wir bedacht, dass sie unsere bestehenden Systeme viel komplexer macht und wir diese Komplexität über Jahrzehnte warten müssen?
Wartung ist das Fundament von Fortschritt und Innovation und die Voraussetzung für gesellschaftliche Agilität. Gleichzeitig sind Wartung und Nachhaltigkeit auch zwei Seiten derselben Medaille.
Wem nützt der aktuellen Angst-machenden »Innovation Speak«: Innovieren oder Verlieren; Disruption oder abgehängt werden; move fast and break things. Wirklich? Cui bono? Wem nützt das? Was ist für die Gesellschaft wirklich von Bedeutung?
Was bedeuten diese Überlegungen für unser Schul- und Bildungssystem, für Universitäten und Forschung? Gibt es eine »STEM-Crisis« und brauchen wir daher wirklich mehr Akademiker?
Anhand einiger Beispiele wie der Hyperloop, Wifi und Ladegeräte in New Yorks Bussen, Digitalisierung in Schulen, Green New Deal und Energiewende zeigen sich fragwürdige Formen von Innovation, die Wartung und sinnvolle Investition kaum erfüllen.
“Der Gedanke, dass Schulen auch Schutzräume darstellen können, die sich bewusst auf wesentliche Fragen, Probleme und Inhalte konzentrieren und sich gegenüber den Zumutungen einer hysterisierten Öffentlichkeit auch abschotten können, ist uns sehr, sehr fremd geworden.”, K. P. Liessmann
Wir leben – und auch aus dieser Perspektive kann man das Thema betrachten – in einer Wegwerfgesellschaft. Wartung spielt häufig keine Rolle. Ein kompliziertes Gerät funktioniert nicht mehr. Wegwerfen! Neu kaufen! Geplante Obsoleszenz wird zum Standard der Wirtschaftspraxis. Das ist ökologisch ein wirkliches Problem, aber was macht das mit uns Menschen?
Was können und sollen wir tun, wie kommen wir voran? Wie erzielen wir inklusiven Fortschritt? Was ist ein gutes Produkt und was bedeutet dies für die Wertschöpfung? Ist dieser Themenbereich politisch umstritten oder vielleicht gar konsens-fähig? Packen wir es an:
»Take care, pay attention, do your job«, Lee Vinsel
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 15: Innovation oder Fortschritt?
- Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?
- Episode 18: Physik, Fortschritt oder Stagnation: Gespräch mit Andreas Windisch
- Episode 19: Offene Systeme – Teil 1
- Episode 20: Offene Systeme – Teil 2
- Episode 30: (Techno-)Optimismus: Ein Gespräch mit Tim Pritlove
- Episode 31: Software in der modernen Gesellschaft – Ein Gespräch mit Tom Konrad
Fachliche Referenzen
- David Graeber, Bullshit Jobs, Penguin (2019)
- Lee Vinsel, The Innovation Delusion, Currency (2020)
- Kevin Kelly, The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces That Will Shape Our Future, Penguin (2017)
- TED-Talk: Robert Gordon, The death of innovation, the end of growth (2013)
- Klaus Kornwachs, Philosophie der Technik, C.H.Beck Wissen (2013)
- Robert Charette, The STEM crisis is a myth, IEEE Spectrum (2013)
- Julian Nida-Rümelin: Gefährdet der Akademisierungswahn die berufliche Bildung? (2016)
- Konrad Paul Liessmann, Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung: Eine Streitschrift, Piper (2016)
Thursday Oct 15, 2020
032 – Überleben in der Datenflut – oder: warum das Buch wichtiger ist als je zuvor
Thursday Oct 15, 2020
Thursday Oct 15, 2020
Wir leben in immer schnelleren Zeiten. Um hier nicht den Anschluss zu verlieren, müssen wir auch unsere Informationskanäle beschleunigen: Soziale Medien, Videos, Newsfeeds... Bücher sind da ein überflüssiger Anachronismus und haben im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr.
Oder doch?
In dieser Episode provoziere ich wieder zum Widerspruch.
Was sind Daten und was ist Information? Braucht man in einer (angeblich) schnellen Zeit wirklich schnellere Medien, oder ist die Krise in der wir stecken vielleicht eine Folge dieses Irrtums?
Information ist »irgendein Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied macht«, Gregory Bateson (zitiert aus K. P. Liessmann, Theorie der Unbildung)
Was ist das Signal/Rausch-Verhältnis moderner Medien? Gibt es überhaupt News, und wenn ja, helfen uns diese weiter? Vermissen wir irgendetwas, oder ist fear of missing out schlicht eine Marketing-Strategie um uns Unsinn zu verkaufen und abhängig zu machen?
Welche Rolle spielt das Buch in dieser Gemengelage und in welcher Form sollten wir es lesen?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 2: Was wissen wir?
- Episode 9: Abstraktion: Platos Idee, Kommunismus und die Zukunft
- Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?
Fachliche Referenzen
- Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung, Piper (2008)
- Douglas Rushkoff, Team Human (2019)
- Sherry Turkle, Alone Together, Basic Books (2017)
- Tristan Harris, How Technology is Hijacking Your Mind — from a Magician and Google Design Ethicist
- The Reading Brain in the Digital Age: The Science of Paper versus Screens, Scientific American (2013)
- Lisa Allcott, Reading on-screen vs reading in print: What's the difference for learning? (2019)
- Jill Barshay, Evidence increases for reading on paper instead of screens, Hechinger Report (2019)
Friday Aug 21, 2020
029 – Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
Friday Aug 21, 2020
Friday Aug 21, 2020
Eine Episode die zum Nachdenken anregen soll, und die Motivation dieses Podcasts reflektiert:
»Fakten sind wichtig aber nicht entscheidend.«
Werden wir geschoben – von der Vergangenheit, den Problemen, den bestehenden Narrativen, oder agieren wir, denken wir aktiv über die Zukunft nach – ziehen wir uns also in Richtung Zukunft?
Übernehmen wir die Verantwortung über unser Leben und die Zukunft der Gesellschaft oder verlieren wir uns in Zynismus – das Handeln ist alternativlos...?
»Menschen sind die Produkte der Geschichten, die sie über sich selbst erzählen, die ihre Gemeinschaft über sich erzählt. Fakten spielen dabei höchstens eine untergeordnete Rolle.«, Philip Blom
Welche Rolle spielen dabei Narrative, Fakten, Wissenschaft, Geschichten?
»Those who tell the stories run the world.«, George Mobiot
Was bedeutet das? Wie kommen wir zu Entscheidungen? Wie verändern wir die Welt?
»Bewegungen, welche die Welt zu verändern suchen, beginnen oft damit, dass sie die Geschichte umschreiben und die Menschen damit in die Lage versetzen, sich die Zukunft neu auszumalen.«, Yuval Noah Harari
Schreiben Sie mir Ihre Meinung!
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 12: Wie wir die Zukunft entdeckt und wieder verloren haben
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
Fachliche Referenzen
- Konrad Paul Liessmann, Leben mit dem Virus
- Philip Blom, Was auf dem Spiel steht, Hanser (2017)
- George Mobiot, Out of the Wreckage, Verso (2017)
- Yuval Noah Harari, Homo Deus, Eine Geschichte von Morgen, C. H. Beck (2018)
- Evgeny Morozov, To Save Everything, Click Here, Penguin (2014)
- Julia Shaw, Das trügerische Gedächtnis, Heyne (2018)
- Andrea Schuhmacher, Das betrogene Ich, Die Zeit 13. Oktober 2009
Monday Jul 13, 2020
027 – Wicked Problems
Monday Jul 13, 2020
Monday Jul 13, 2020
In Episode 25 haben wir uns mit Entscheiden unter Unsicherheit auseinandergesetzt. Wann macht Evidenz-basiertes Entscheiden Sinn, wann müssen wir andere Strategien anwenden. Dies war ein erster Aufschlag zu diesem Thema.
In dieser Episode greifen wir einen der kurz erwähnten Aspekte auf und vertiefen ihn: Wicked Problems.
Mit dem einflussreichen Fachartikel aus dem Jahr 1973 haben Horst Rittel und Melvin Webber den Begriff eingeführt, ins Deutsche vielleicht mit »bösartige Probleme« übersetzbar.
Wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen was Wicked Problems von Tame Problems also »zahmen Problemen« unterscheidet und welche Rolle Effizienz dabei spielt.
Rittel und Webber beschreiben 10 Charakteristika von wicked problems, die ich auf 4+1 Aspekte zusammenfasse. Die Erkenntnisse dieses fast fünfzig Jahre alten Artikels sind heute gültiger als zur Zeit der Veröffentlichung.
Das zeigen zahlreiche neuere Publikationen, die die Terminologie und Konzepte aufgreifen. Ich wähle beispielhaft zwei hervor: David Epstein (Range) und Chris Clearfield (Meltdown). Beide beschäftigen sich mit der Frage, wie wir mit den heute überall zu sehenden wicked problems und wicked domains umgehen sollen.
Was ist die Konsequenz für unsere Zukunft? Schule, Universität, Politik, Management?
Und nicht zuletzt: was halten wir von Experten, oder besser gesagt: wie können wir Experten, denen wir täglich in den Medien begegnen einschätzen?
Referenzen
- Horst Rittel, Melvin Webber, Dilemmas in a General Theory of Planning, Policy Sciences 4 (1973), 155-169
- Peter Kruse, Wie reagieren Menschen auf Komplexität?
- Peter Kruse, Next Practice, Gabel (2004)
- David J. Epstein, Range: Why Generalists Triumph in a Specialized World, Riverhead (2019)
- Chris Clearfield, Meltdown: Why systems fail and what we can do about it, Atlantic (2018)
- Philip Tetlock, Superforecasting. The Art and Science of Prediction, Cornerstone (2015)
- Roger Willemsen: Die Kunst des Streitens in der Mediengesellschaft, Keynote (2014)
Friday May 29, 2020
025 – Entscheiden unter Unsicherheit
Friday May 29, 2020
Friday May 29, 2020
Thema dieser Episode ist Entscheiden unter Unsicherheit oder etwas genauer, Unter welchen Voraussetzungen sind evidenzbasierte Entscheidungen angebracht, und wie ist unter Unsicherheit, also etwa bei komplexen Problemen zu entscheiden.
Auch dies ist wieder keine Corona-Episode im engeren Sinne, wenngleich die Corona-Krise ein gutes Beispiel für eine Situation ist, wo evidenzbasierte Entscheidung nur bedingt möglich ist.
Zunächst gibt es wieder einmal einen Blick in die Vergangenheit: Was können wir von James Lind, Florence Nightingale, Archie Cochrane und John Ioannidis über Fortschritt in der Medizin und evidenzbasiertes Entscheiden lernen?
Was sind die Voraussetzungen, damit man in einer bestimmten Problemlage evidenzbasiert Entscheiden kann?
Zunächst versuche ich Risiken in drei Klassen einzuteilen und mit Beispielen zu unterlegen um damit deutlich zu machen, dass es von großer Bedeutung ist zunächst einmal zu verstehen, mit welcher Art von Risiko wir es in einem konkreten Fall überhaupt zu tun haben. Darf man etwa
- Masern
- Herzinfarkt
- Autounfälle
- Ertrinken im Swimmingpool
- politische Konflikte
- Covid-19
- Finanzmärkte
- Klimakrise
miteinander vergleichen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wann ist ein System oder ein Problem komplex und was bedeutet das für Entscheidungen?
Unter welchen Voraussetzungen ist schnelles und aggressives Handeln das Mittel der Wahl, unter welchen Deliberation und Bezug auf vergangene Ereignisse?
Ist rationales Entscheiden Intuition und Bauchgefühl immer überlegen? Warum wird dann so häufig defensiv oder pseudo-rational entschieden?
Wenn man über ein akutes Problem hinausblickt: wie kann man sich für die Zukunft vorbereiten? Welche systemischen Aspekte könnte man bedenken
- Vorbereiten auf Tail Risks
- Resilienz vs. Effizienz
- Vielfalt statt Einfalt
- Verteilung statt Konzentration
- enge oder lockere Kopplung?
- Versicherung
In dieser Episode wird es wieder einige Anregungen zum Weiterdenken geben, aber wir müssen auch einige Aspekte für spätere Episoden offen lassen, z.B.
- Eine vertiefte Betrachtung komplexer Systeme und deren Probleme, z.B. »Wicked Problems«
- Solutionism – wie Technik unseren Blick auf Probleme verwirren kann
- Atomwaffen und internationale Politische Konflikte
Referenzen
andere Episoden
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 23: Frozen Accidents
- Episode 22: Biodiversität und komplexe Wechselwirkungen – Gespräch mit Prof. Franz Essl
- Episode 13 und 14 – (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 1 & Teil 2
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
- Episode 6: Messen, was messbar ist?
fachliche Referenzen
- John Ioannidis
- James Lind: The man who helped to cure scurvy with lemons, BBC
- Florence Nightingale – Data Scientist
- Florence Nightingale as Statistician, Edwin W. Kopf, Publications of the American Statistical Association, Vol. 15, No. 116 (Dec., 1916)
- Florence Nightingale, datajournalist: information has always been beautiful, The Guardian (2010)
- Presentation by Prof. Lynn McDonald at Gresham College. (30. Oct., 2014)
- Archie Cochrane
- Archie Cochrane: - 1971 Rock Carling Fellowship monograph Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services, first published in 1972 by the Nuffield Provincial Hospitals Trust
- Archie Cochrane and his vision for evidence-based medicine, Hriday M. Shah, Kevin C. Chung (2009)
- Tim Harford, Trial and Error (2012)
- Flash Crash
- Neil Johnson, Abrupt rise of new machine ecology beyond human response time, Nature Scientific Reports (2013)
- Chris Clearfield, Meltdown: Why systems fail and what we can do about it (2018)
- The Artificial Intelligence Revolution: Part 1 - Wait But Why (2015)
- Gerd Gigerenzer
- Peter Kruse
- Nassim Taleb
- Steve Jobs on Consulting