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4 days ago
4 days ago
Das ist ein Gespräch, das mir sehr viel Spaß gemacht. Axel Bojanowski und ich haben gleich zu Beginn der virtuellen Session losgelegt und diskutiert, bis ich dann den Notstopp ziehen musste — schließlich sollte das eine Podcast-Folge werden und nicht nur eine höchst interessante Diskussion unter vier Augen.
Der Titel dieser Folge ist vielleicht kurios, aber mir ist das Zitat von Karl Popper aus den 1980er Jahren eingefallen:
»Wissenschaft ist, wenn man schwarz gekleidet in einem dunklen Kohlenkeller nach einer schwarzen Katze sucht, von der man gar nicht weiß, ob sie existiert.«
Davon leiten sich alle möglichen Folgen ab, unter anderem, dass Wissenschaft immer von Annahmen geprägt ist. Sie ist auch mit zum Teil großer Unsicherheit verbunden. Viel Bescheidenheit und Selbstkritik wären in der Interpretation und Darstellung notwendig.
Davon ist in der heutigen Welt nicht viel zu finden. Besonders nicht Bescheidenheit und kritische, kluge Reflexion als Fundament unserer politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, eher aktivistische Grabenkämpfe, die mehr mit dem Circus Maximus als mit Expertenwesen zu tun haben.
Wir behandeln folglich in dieser Episode Qualitätsprobleme in der Wissenschaft, Aktivismus, die Rolle von Journalisten und Medien, Anreizsysteme, welche Themen in der Wissenschaft überhaupt diskutiert werden und von wem. Außerdem, welchen Schaden wir anrichten, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, in kritischen Zeiten Ideen klug zu reflektieren und was wir mit unseren Kindern und Jugendlichen machen, wenn wir sie ständig mit apokalyptischen Visionen konfrontieren.
Wo sind wir also falsch abgebogen? Was können wir alle tun, damit wir ein positives Bild der Zukunft entwickeln können und wir wieder darüber sprechen, wie wir Fortschritt erzielen können und nicht nur ständig im defätistisch/apokalyptischen Denken stecken bleiben.
Ich sollte an dieser Stelle nicht vergessen, meinen Gast vorzustellen, auch wenn ihn die meisten sicher schon kennen: Axel Bojanowski diplomierte an der Universität Kiel über Klimaforschung. Seit 1997 arbeitet er als Wissenschaftsjournalist, u. a. für "Die Zeit", "Nature Geoscience", "Geo", "Stern" und der "Süddeutschen Zeitung". Er war Redakteur beim "Spiegel" , dann Chefredakteur bei "Bild der Wissenschaft" und "Natur". Seit August 2020 ist er Chefreporter für Wissenschaft bei "WELT". Bojanowski hat fünf Sachbücher verfasst. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler hat ihn 2024 für seine publizistischen Leistungen ausgezeichnet.
Aus meiner persönlichen Sicht ist Axel Bojanowski einer der besten Wissenschaftsjournalisten, die ich kenne. Gerade im deutschsprachigen Raum würden wir viel mehr Journalisten seiner Güte dringend benötigen. Er hat auch zwei wichtige und sehr zugängliche Bücher geschrieben, deren Themen natürlich in diesem Gespräch auch thematisiert werden.
Wir beginnen mit der Frage, wie die Qualität wissenschaftlicher Aussagen zu beurteilen ist. Wird es immer schwieriger zu erkennen, was ernsthafte Wissenschaft und was irrelevant, falsch oder Ideologie oder Aktivismus ist?
»Science und Nature sind mittlerweile journalistische Produkte. Letztlich gelten sie als die wichtigsten Impact-Magazine für die Wissenschaft, aber eigentlich funktionieren sie nach den Gesetzen von Massenmedien.«
Es wird so getan, als ob es vollkommen klar wäre, wie man den Klimawandel begrenzt. Es wird nicht verstanden oder aufgegriffen, dass es sich um komplexe Zielkonflikte handelt.
»The time for debate has ended.« Marcia Nutt
Funktionieren journalistische Medien heute immer stärker so, dass es um persönliche Absicherung geht, indem man Nachrichten publiziert, von denen man annimmt, dass sie dem aktuellen Zeitgeist entsprechen und somit sozial erwünscht sind?
»Wenn man Artikel dieser Art bringt, hat man nichts zu befürchten.«
Welche Geschichten erzählen wir uns als Gesellschaft und unseren Kindern und Jugendlichen?
»Es handelt von weitgehend ignorierten Sensationen der jüngeren Menschheitsgeschichte der letzten 200 Jahre, also von der Industrialisierung und ihren Folgen, die die Welt besser gemacht haben, als die meisten Leute ahnen. Diese Geschichten werden kaum erzählt.«
Erleben wir aktuell ein Multiorganversagen der wesentlichen Strukturen und Institutionen, die unsere moderne Zivilisation bisher ermöglicht haben?
»Covid war sozusagen Klimadebatte im Schnelldurchlauf.«
Sollten in einer Krise nicht verschiedene kluge Ideen unterschiedlicher Art diskutiert und abgewogen werden?
»Es wurde ganz schnell verlangt, sich einem Lager zuzuordnen. Wenn man das nicht eindeutig selbst tut, dann wird man in ein Lager eingeordnet.«
Was ist der Zusammenhang von Risiko, Unsicherheit und welche Entscheidungen folgen aus wissenschaftlicher Erkenntnis?
»Man hat bei Covid wie beim Klima hohe Risiken mit mit großen Unsicherheiten verbunden.[…] Dann wird aber so getan als ob es eindeutig wäre und man im Grunde ganz klare Fakten aus der Wissenschaft bekäme und Handlungsanweisungen — was nie der Fall ist. Aus wissenschaftlichen Fakten folgen keine Handlungensanweisngen. Nie.«
Gibt es tatsächlich immer nur die eine richtige Antwort auf ein Problem, follow the science — alternativlos?
»Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, auf dieses Problem zu reagieren [Klima, Covid|. Es ist letztlich eine Wertefrage.«
Finden wir immer wieder dieselbe Lagerbildung vor, die aber aus anderen »Quellen« gespeist ist, etwa Technologieoptimisten vs. -pessimisten, Liberale vs. Etatisten, und dergleichen? Das ist sehr ungünstig, denn:
»Wissenschaft ist nun mal der beste Erkenntnisprozess, den wir haben. […] Um Wissenschaft richtig zu verstehen, müsste man aber Unsicherheiten immer klar mitkommunizieren.«
Ist es besser, eine falsche Karte oder gar keine Karte zu haben, wenn man eine Wanderung unternimmt?
»Es geht auf diesen Ebenen [wissenschaftliche Prozesse] immer auch um Macht, das darf man nicht vergessen. Wenn man es versäumt, sich auf die Seite zu schlagen, die den Ton angibt, dann verliert man an Einfluss.«
Im Journalismus wurde jede Form der Differenzierung sofort bekämpft. Wie kann man aber als Gesellschaft unter solchen Bedingungen bei komplexen Herausforderungen klug entscheiden?
Wissenschaft und Journalismus sollten aber beide Prozesse der Wahrheitsfindung sein. Betonung liegt dabei auf »Prozess« — was bedeutet dies für die praktische Umsetzung?
Werden Opportunismus und Feigheit, seine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, zur größten Bedrohung unserer Gesellschaft?
»Journalisten sind vor allem feige.«
Wie sollten wir mit Unsicherheiten umgehen?
»Die Unsicherheiten aber, und das ist ein wichtiger Punkt, können gerade nicht beruhigen. Es sind die Unsicherheiten, ein Problem an sich.«
Gibt es nur umstrittene und irrelevante Wissenschafter?
Falsche Prognosen und Aussagen in der Öffentlichkeit haben für opportunistische Wissenschafter auch fast nur positive Seiten und werden in der Praxis kaum bestraft. Sie können dieselben falschen Ideen über Jahrzehnte breit publik machen und werden auch noch belohnt — weil sie ja vermeintlich auf der »richtigen« Seite stehen.
Die grundlegende Frage dahinter scheint zu sein: Welche Geschichten erzählt sich eine Gesellschaft, von welchen wird sie geleitet, welche sind konstitutiv für ihre Kultur und wie können wir diese ändern, um damit wieder einen positiven Blick auf die Zukunft zu bekommen?
Nadelöhre der Wissenschaft
Die Universitäten haben sich, wie auch die Medien, immer weiter homogenisiert — von Vielfalt leider keine Spur.
»Das Milieu verstärkt sich selbst.«
Was bedeutet das, etwa am Beispiel der Attributionsforschung? Was bedeutet dies für große politische Projekte, wie die deutsche Energiewende, die nicht nur im großen Maßstab gescheitert ist, sondern auch Deutschland schwer beschädigt hat. Wer trägt dafür nun die Verantwortung? Und die Medien stimmen alle das gleiche Lied an, ohne kritisch zu hinterfragen — warum eigentlich?
»Man guckt gar nicht mehr, was stimmt, sondern: Was schreiben die anderen?«
Warum ist es so schwer bei Klimafragen, die Fakten korrekt darzustellen? Aktuell wird von Politik und Aktivisten ständig betont, dass es viele Hitzetote gäbe. Es wird nicht erwähnt, dass es zehnmal so viele Kältetote gibt:
»Across the 854 urban areas in Europe, we estimated an annual excess of 203 620 deaths attributed to cold and 20 173 attributed to heat.«, Pierre Masselot et al
Diese einseitige Propaganda wird überall in der Gesellschaft verbreitet, auch an den Schulen:
»Papa, wenn der Meeresspiegel steigt, sterben wir?!«
Was richten wir mit unseren Kindern an?
»Der Erfolg der menschlichen Zivilisation beruht darauf, dass man sich von der Natur unabhängig gemacht hat und dass man die Natur auch für sich genutzt hat. […] Diese Geschichten des Fortschritts sind wichtig zu verstehen; gerade für Kinder!«
Wir leben nicht, wir sterben in Harmonie mit der Natur:
»Have you heard people say that humans used to live in balance with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans lived in balance with nature. Humans died in balance with nature. It was utterly brutal and tragic.«, Hans Rosling
Erst seit rund 100 Jahren können wir davon sprechen, dass Menschen ansatzweise in modernem Lebensstandard leben.
»Wir zogen in die Stadt zu einem alten Ehepaar in eine kleine Kammer, wo in einem Bett das Ehepaar, im andern meine Mutter und ich schliefen. Ich wurde in einer Werkstätte aufgenommen, wo ich Tücher häkeln lernte; bei zwölfstündiger fleißiger Arbeit verdiente ich 20 bis 25 Kreuzer im Tage. Wenn ich noch Arbeit für die Nacht nach Hause mitnahm, so wurden es einige Kreuzer mehr. Wenn ich frühmorgens um 6 Uhr in die Arbeit laufen mußte, dann schliefen andere Kinder meines Alters [ca. 11 Jahre] noch.«
»Es war ein kalter strenger Winter und in unsre Kammer konnten Wind und Schnee ungehindert hinein. Wenn wir morgens die Tür öffneten, so mußten wir erst das angefrorene Eis zerhacken, um hinaus zu können, denn der Eintritt in die Kammer war direkt vom Hof und wir hatten nur eine einfache Glastür. Heizen konnten wir daheim nicht, das wäre Verschwendung gewesen, so trieb ich mich auf der Straße, in den Kirchen und auf dem Friedhof herum.«, Adelheid Popp ca. 1890
Ist der Mensch das Krebsgeschwür des Planeten? Was passiert, wenn wir über Jahrzehnte solche Narrative in Schulen, Universitäten und Medien verbreiten? Wird der Fortschritt paradoxerweise von denen bekämpft, die fortgeschritten sind? Welches eigenartige und ethisch fragwürdige Signal senden wir da an den Rest der Welt?
»Elend bedarf keiner Erklärung. Das ist der Normalfall. Wohlstand bedarf der Erklärung.«
Wir scheinen aber in einer Zeit zu leben, wo Wohlstand, zumindest für einige, so normal geworden ist, dass man jedes Gefühl für die realen Prozesse der Welt verlernt hat und ignoriert. Wo man selbst die vermeintlich wichtigsten eigenen Ziele obskuren Ideologien opfert:
»Zu Zeiten, wo der Klimawandel angeblich das größte Problem ist, schaltet man klimafreundliche Kernkraftwerke ab.«
Warum findet die Diskussion komplexer Phänomene so gespalten und so feindselig und gleichzeitig so pseudo-elitär statt?
Wie das gut gemeinte Definieren von simplistischen Indikatoren das Gegenteil des gewünschten Ziels erreichen kann. Aus einem Indikator wird ein Götz, dem bedingungslos in den Untergang gefolgt wird. Klimaschutz nur mit Wind und Sonne ist eine Irreführung deutscher Aktivisten und gedankenloser Politik. Oder ist es vielmehr eine bait and switch Strategie? Man lockt mit dem einen, tauscht es dann aber durch eine andere Sache aus? Man lockt mit Klimawandel, möchte aber tatsächlich eine radikale politische Wende erzielen?
Der Gipfel der Ideologie: ein Giga-Projekt wie die »Energiewende« ganz bewusst ohne Kostenkontrolle? Ein Bürger stellt eine Anfrage:
»Zunächst dürfen wir anmerken, dass die Bundesregierung keine Gesamtkostenrechnung zur Energiewende unternimmt.«, Frage den Staat (2023)
Damit bleibt noch eine grundlegende Frage: Wer soll, oder genauer, wer kann eigentlich die Verantwortung für die komplexen Entscheidungen der heutigen Zeit tragen? Soll eine Expertokratie die Welt retten, oder sind es letztens nur die Menschen selbst, die diese Verantwortung tragen müssen?
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger über Generationen
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Episode 120: All In: Energie, Wohlstand und die Zukunft der Welt: Ein Gespräch mit Prof. Franz Josef Radermacher
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
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Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof. Jessica Weinkle
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Episode 112: Nullius in Verba — oder: Der Müll der Wissenschaft
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Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
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Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
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Episode 94: Systemisches Denken und gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg
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Episode 93: Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
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Episode 91: Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit Prof. Ehrmann und Prof. Sommer
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Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with Dr. Judith Curry
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Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
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Episode 76: Existentielle Risiken
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Episode 74: Apocalype Always
Axel Bojanowski
- Axel Bojanowski, Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Der Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft, Westend (2024)
- Axel Bojanowski, 33 erstaunliche Lichtblicke, die zeigen, warum die Welt viel besser ist, als wir denken, Westend (2025)
- Homepage Axel Bojanowski
- Substack
- Die Welt
- Twitter/X
Fachliche Referenzen
- Marcia McNutt, The beyond-two-degree inferno, Science Editorial (2015)
- Patrick Brown, Do Climate Attribution Studies Tell the Full Story? (2025)
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about ... hurricanes (2022)
- Roger Pielke Jr., Making Sense of Trends in Disaster Losses (2022)
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . Drought in Western and Central Europe (2022)
- Rob Henderson, 'Luxury beliefs' are latest status symbol for rich Americans (2019)
- Bernd Stegemann, Die Klima-Gouvernanten und ihre unartigen Zöglinge (2025)
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Steven Koonin, Unsettled: What Climate Science Tells Us, What It Doesn’t, and Why It Matters, BenBella Books (2021)
- Hart aber Fair (Sonja Flaßpöhler) (2021)
- Pierre Masselot et al, Excess mortality attributed to heat and cold; 854 cities in Europe, Lancet Planet Health (2023)
- Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)
- Adelheid Popp, Jugendgeschichte einer Arbeiterin (1909)
- Axel Bojanowski, Scheuklappen der Klimaforschung (2024)
- Frag den Staat: Kosten der Energiewende von 2000 bis 2022 (2023)
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