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2 days ago
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Der Titel der heutigen Episode ist: Friedrich Hayek und die Beschränktheit der menschlichen Vernunft. Ich bin erst vor relativ kurzer Zeit in einem konkreteren Sinne auf Hayek aufmerksam geworden. Was mich sofort fasziniert hat – auch bei seinen frühen Schriften – ist sein ungeheures analytisches Talent, die interdisziplinäre Vorgehensweise und die Fähigkeit des systemischen Denkens. Sehr früh beschreibt und analysiert er komplexe Sachverhalte in einer Weise, wie sie heute, 50–100 Jahre später, immer noch hochgradig zeitgemäß und relevant ist. Insofern hat mich also zunächst der systemische, dann der politische und zuletzt der ökonomische Denker inspiriert.
In dieser Episode wird es daher um wesentliche Aspekte Hayeks Denken gehen. Aspekte, die für die heutige Zeit von enormer Bedeutung sind: Wo steckt Wissen in einer Gesellschaft? Wie können wir mit komplexen Entscheidungen, die in differenzierten Gesellschaften (oder Organisationen) notwendig sind, umgehen, wenn zentrale Planung scheitert? Was bedeuten Freiheit und Sozialstaat in einer Zeit, in der beides in westlichen Nationen vor dem Scheitern steht?
Es freut mich ganz besonders, dass ich für diese Episode Nickolas Emrich begrüßen darf.
Nickolas Emrich ist stellvertretender Vorsitzender der deutschen Hayek-Gesellschaft mit einem vielseitigen Lebensweg. Er ist Jurist, Bestsellerautor, Ex-Polizist und Unternehmer. Bei Radio Teddy moderierte er eine Sendung über Computerspiele für Kinder. Außerdem hat er bereits acht Bücher veröffentlicht. Sein aktuelles Werk „Gier nach Privilegien“ hat es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft.
Wir beginnen das Gespräch mit der Frage: Was ist die Hayek-Gesellschaft?
»Für Freiheit und Eigenverantwortung, vor allem auch für wirtschaftliche Eigenverantwortung, treten wir ein.«
Wie kann es sein, dass so vieles, was Hayek vor ca. 70 Jahren geschrieben hat, sich heute noch so zeitgemäß liest?
»Der Zustand der Welt ist fast nicht erklärbar, wo doch dieses Wissen vorliegt.«
»Das Faszinierende an ihm ist das Übergreifende.«
Was hat es mit der Freiheit auf sich? Welche Rolle spielt sie für Hayek, und wie verändert sich unser Verständnis davon über die Zeit? Was ist die österreichische Schule der Ökonomie? Welchen Einfluss hatte Ludwig von Mises?
Hayek, aber auch andere wesentliche Gelehrte der Zeit, z. B. Karl Popper, hatten eine große Breite im Denken, was heute bei vielen Intellektuellen der heutigen Zeit leider verloren gegangen ist. Ist Hayek folglich vielleicht sogar in seiner Rolle als Systemdenker wesentlicher als in seiner Rolle als Ökonom? Das Übertragen von Erkenntnissen und Einsichten aus einer Disziplin in eine andere erweist sich in vielen Fällen als sehr fruchtbar.
Seine Skepsis gegenüber großen Utopien eint ihn mit Zeitgenossen wie Karl Popper.
Wo sieht er das Wissen und die Rolle des Einzelnen, des Individuums, beziehungsweise der Summe der Individuen im Vergleich zu Experten?
»Unlike the position that exists in the physical sciences, in economics and other disciplines that deal with essentially complex phenomena, the aspects of the events to be accounted for about which we can get quantitative data are necessarily limited and may not include the important ones«, Zitat aus der Nobelpreis-Rede von Hayek.
Wir diskutieren dann die Frage, wie es mit gelenkten Prozessen im Gegensatz zu verteilt-entschiedenen Prozessen aussieht.
»Aus einem gelenkten Prozess kann nichts Größeres entstehen, als der lenkende Geist voraussehen kann.«
Das regelnde System ist ein Modell des Systems, das es zu regeln versucht – dies haben auch die Kybernetiker der 1960er Jahre erkannt.
Wo steckt eigentlich das Wissen der Welt? In der Wissenschaft? Oder ist dies vielleicht nur ein kleiner Teil des Wissens, das für unsere Welt von so entscheidender Bedeutung ist?
»Es ist viel einfacher, Macht als Wissen zu aggregieren«, Thomas Sowell.
Was versteht dann Hayek unter dem Markt? Wie passt das in diese systemische Betrachtung der Welt? Sind Märkte gar etwas »Natürliches«?
Aber überschätzen wir möglicherweise die Rolle von Regierungen ohnehin? Jedenfalls in einem positiven Sinne?
»The role played by governments is greatly exaggerated in historical accounts because we necessarily know so much more about what organized government did than about what the spontaneous coordination of individual efforts accomplished.«
Was ist nun die Rolle von Märkten und vor allem auch von Preisen? Preise sind, und das wird sehr häufig in der öffentlichen Diskussion übersehen, ein Kommunikationsmittel, das wesentliche Informationen vermittelt. Was bedeutet dies konkret?
Können Märkte eine emanzipierende Funktion haben? Sind sie demokratisch? Ist die Demokratie hingegen die »Belohnung unlauterer Sonderinteressen«?
Was sollen wir aber in realpolitischen Situationen machen, wo sich bestimmte (staatliche) Akteure nicht korrekt verhalten und Wirtschaft als Machtmittel einsetzen?
»Wir sind noch an einem Punkt, wo der Wohlstand ausreicht, um diese Wucherungen (der überbordenden Regulierungen) zu ertragen, aber wo die Last zunehmend schwerer wird.«
Jede planerische Top-down-Intervention hat Seiteneffekte, Seiteneffekte, die oftmals das Gegenteil des Erwünschten erreichen. Der Planer begibt sich auch immer in die Rolle einer Person, die behauptet, besser zu wissen als alle anderen, wie diese zu leben haben. Aber es gibt auch die andere Seite:
»Dieser Wunsch nach Autorität ist leider vorhanden.«
Haben wir die Perspektive verloren? So liest man heute von »Soziologen« etwa solche Aussagen:
»Wir sprechen von Familienunternehmern – woanders nennt man sie Oligarchen«, Martyna Linartas.
Wer hat aber in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand in Deutschland geschaffen?
»Man lernt ja früh, wie ein geplantes System funktioniert – nämlich die Schule.« Was wir weniger lernen, ist, was es bedeutet, in komplexen Systemen, also etwa in der Wirtschaft, zu agieren.
Und damit sind wir wieder bei einer fundamentalen systemischen Frage: Wie verteilen wir Risiko in einer Gesellschaft? Was ist dabei die Rolle des Sozialstaates? Was passiert, wenn die Mehrheit der Menschen in einer Gesellschaft immer weniger Risiko selbst trägt, sondern dieses de facto delegiert? Entsteht damit in Wahrheit nicht nur eine Scheinsicherheit und ein systemisch viel größeres Risiko?
Was hat es mit dem Survivorship Bias zu tun? Warum sollte man sich darüber bewusst sein, bevor man Unternehmer wie Bezos oder Musk beurteilt?
»Man guckt viel zu wenig auf Ergebnisse – darum ist man jetzt auch so schockiert, was in Argentinien passiert. Man versucht, sich auf Ideen zu versteifen und in der Theorie Schlachten zu schlagen, aber das Entscheidende ist ja, ob Dinge funktionieren.«
Verändert sich die Perspektive, wenn man längere Zeiträume des Erfolgs von Unternehmen betrachtet? Wer heute top ist, ist morgen wahrscheinlich nicht mehr relevant – jedenfalls in einer funktionierenden Marktwirtschaft. Kann man Märkte mit Naturgesetzen vergleichen, oder ist das zu weit hergeholt? Als Beispiel nenne ich die führende Reporterkamera Graflex (deren Name mir im Gespräch nicht eingefallen ist).
Das Sterben von Unternehmen ist Teil einer gesunden Wirtschaft. Aber wie ist es zu interpretieren, wenn der Staat mit dem Geld aller Bürger Unternehmen vor dem Konkurs rettet – oft aus vermeintlich guten Gründen?
Was ist der Zusammenhang zwischen dem Wikipedia-Projekt und Hayek?
Zum Abschluss: Was sollte nun der Staat eigentlich leisten, und wie können wir dort wieder hinkommen? Um das Zitat von Nils Hesse aus der früheren Episode aufzugreifen: Brauchen wir einen ordoliberalen Unkrautstecher oder eher die Mileische Kettensäge?
Welche Freiheitsbegriffe spielen dabei eine Rolle?
»Das Recht des einen ist immer die Pflicht des Anderen.«
Grundrechte galten in der Vergangenheit in der Regel als Abwehrrechte gegen den Staat; Verfassungen dienen dazu, die Rechte des Staates zu begrenzen – wo stehen wir hier in der heutigen Interpretation? Ist der Sozialstaat eher ein Asozialstaat?
Hayek hat unzählige Bücher und Artikel verfasst, aber eine Kernaussage könnte man herauskristallisieren: Das Wissen um die Beschränktheit der menschlichen Vernunft. Jedes gesellschaftliche System muss eine Antwort auf diese Herausforderung haben.
»Die verhängnisvolle Anmaßung ist eben die Anmaßung, mehr zu wissen als die Summe aller anderen.«
Müssen wir in vielen europäischen Staaten erst so absteigen und über Jahrzehnte leiden wie die Argentinier, bis wirkungsvolle Reformen denkbar werden, oder schaffen wir es vorher umzusteuern?
»Solange das Problem nicht verstanden wird, wird es weiter bergab gehen.«
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Die Wissensgesellschaft in der Krise
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 131: Wot Se Fack, Deutschland? Ein Gespräch mit Vince Ebert
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Episode 130: Populismus und (Ordo)liberalismus, ein Gespräch mit Nils Hesse
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Nickolas Emrich
- Nickolas Emrich in der Hayek Gesellschaft
- Nickolas Emrich, Gier nach Privilegien, Finanzbuch Verlag (2024)
Fachliche Referenzen
- Drei ausgewählte Bücher von Friedrich Hayek:
- Friedrich Hayek, Nobelpreisrede, The Pretence of Knowledge (1974)
- Friedrich Hayek, Der Weg zur Knechtschaft (1944)
- Friedrich Hayek, The Fatal Conceit: The Errors of Socialsm (1988)
- Friedrich Hayek, The Use of Knowledge in Society, The American Economic Review, Vol. 35, No. 4. (Sep., 1945)
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