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Wednesday Jul 14, 2021
044 – Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
Wednesday Jul 14, 2021
Wednesday Jul 14, 2021
Auf diese Episode habe ich mich lange gefreut: Ich spreche mit dem Historiker, Philosophen, Autor und Generalisten Philipp Blom über Fortschritt und die Reflexion des Fortschrittsbegriffes in der Geschichte.
Ich beginne das Gespräch mit einer persönlichen Frage zur Bedeutung von Geschichte für das Verständnis aktueller Probleme und der Suche nach einer lebenswerten Zukunft. Sehen wir aktuell das »Auftauchen alter Probleme in neuem Gewand?« oder ist Gegenwart und Zukunft doch etwas völlig anderes?
Wie so oft dürfte die Wahrheit in der Mitte liegen: zahlreiche Muster scheinen sich zu wiederholen und moderne Konflikte sind häufig ohne die geschichtliche Perspektive nicht zu begreifen und dann gibt es doch Brüche:
»Die Möglichkeit unserer Auslöschung ist etwas Neues – die realistische Möglichkeit, dass sich der Mensch selbst abschafft ist etwas Neues.«
Dies wurde uns als Menschheit das erste Mal mit der Erfindung der Atombombe bewusst, wiederholt sich aber in den letzten Jahrzehnten mit den Folgen neuer Technologien, etwa bei Klimawandel oder synthetischer Biologie. Waren die Menschen früher ebenso töricht wie heute, hatten aber nicht die notwendigen technischen Möglichkeiten um die ganze Welt und sich selbst mit der Welt zu zerstören?
Philipp Blom gehört aus meiner Sicht zu den wichtigen Generalisten der Zeit, weil er sich nicht auf eine enge Betrachtung von Geschichte beschränkt, sondern das intellektuelle Risiko eingeht sie im Wechselspiel mit Technik, Gesellschaft und Natur zu beschreiben. Besonders auch der Aspekt der Natur wird im Gespräch immer wieder vorkommen:
»Im Westen haben wir Geschichte ohne die Natur geschrieben.«
Wir diskutieren über die nur langsam reifende Erkenntnis systemischen Denkens, eine Erkenntnis, die so langsam reift, dass die Auto-Korrektur meines aktuellen Computers den Begriff »systemisch« ständig in »systematisch« korrigieren will. Dieses Verständnis, dass »alles mit allem« in komplexer Weise verbunden ist, geht im europäischen Denken sehr stark auf Alexander von Humboldt, einem Universalgelehrten des frühen 19. Jahrhunderts, zurück.
Dem gegenüber steht ein für die christlichen Tradition wirkmächtiger Satz in der Bibel: »Macht euch die Erde untertan«. Ist dies ein Rückschritt im Vergleich zur mythologischen Welt der Griechen? Die Vielzahl an Göttern konnte man als Metaphern für verschiedene Aspekte der Natur begreifen — man steht in Wechselwirkung mit der Natur und ist abhängig von ihr?
Diese Abwendung von der Interaktion mit der Natur als Ergebnis technischer Naturbeherrschung – Erhöhung über die Natur, wie in der Bibel dargestellt — kommt in der Neuzeit zu einem Höhepunkt und es dauert auch nach Humboldt noch lange, bis sich dieses Verständnis langsam zu ändern beginnt.
Ist Fortschritt somit historisch ein Fortschritt Mancher zu Lasten Anderer? Ist Fortschritt notwendig mit der Unterwerfung der Natur verbunden? Beginnt sich diese Logik heute umzukehren?
Der Begriff des »Fortschritts« findet zum ersten Mal in der Neuzeit breite Verwendung — eine Zeit, in der unter anderem die jungen Naturwissenschaften und die darauf bauende Industrialisierung zeigen: man kann eine neue Welt gestalten, eine Zukunft schaffen.
»Dass man tatsächlich eine neue Welt konstruieren kann, und nicht nur auf sie warten muss bis der Herr beschließt, jetzt ist der richtige Moment.«
Der Stein scheint ins Rollen gebracht. Die industrielle Revolution treibt die Idee des Fortschrittes voran. Das spiegelt sich dann auch tatsächlich in der Realität der Menschen wieder: Leben in Städten mit steigender Wohlstand, mehr Dynamik, Erfindungen, Neuigkeiten, aber auch ausufernder Glaube an positive Veränderungen
»Wir werden Armut und Kriege ausrotten.«
Spätestens mit dem 20. Jahrhundert beginnt dieser Glaube aber auch Risse zu bekommen. Am Beispiel des Begriffes der Neurastenie sprechen wir über Verwerfungen in der Gesellschaft — die Geschwindigkeit wirft uns um, und führt zu einem »Zauberlehrlings-Moment«:
»Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.«
Mit dem Unterschied, dass uns kein »Meister« zu Hilfe eilen wird um den Schlamassel, den wir angerichtet haben, aufzuräumen.
Wir sprechen auch über Szientismus, in dessen Folge etwa Eugenik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer weit akzeptierten und progressiven Agenda wird. Spätestens mit dem Erste Weltkrieg zeigt der Fortschritt seine schreckliche Seite. Wir leben in der Ambivalenz der Maschine, die dem Menschen helfen, ihn aber auch immer leichter töten kann:
»Der Fortschrittsgedanke kippt mit dem ersten Weltkrieg. […] Die Soldaten merken, dass sie den Wettlauf gegen die Maschine verloren haben.«
Wir verwenden heute den Begriff der Eugenik nicht mehr gerne, aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis genetische modifizierte Menschen auf die Welt kommen. Stecken wir immer häufiger in ethischen Dilemmata und Zugzwängen fest?
Wir haben seit der Neuzeit auch immer weniger gesicherte Identitäten — mit allen Vor- und Nachteilen: einerseits erleben wir reale individuelle Freiheit, andererseits wird diese Freiheit auch zur Zumutung.
Wir sprechen weiter über die Ästhetik des Fortschrittes — wie reflektiert Kunst und Propaganda den Fortschrittsgedanken — und damit verbunden die Frage, ob Technik ein Mittel der Demokratisierung oder der sozialen Trennung ist.
»Wir leben in einer besonderen historische Phase, in der die Freiheit selbst Zwänge hervorruft. Die Freiheit des Könnens erzeugt sogar mehr Zwänge als das disziplinarische Sollen, das Gebote und Verbote ausspricht. Das Soll hat eine Grenze. Das Kann hat dagegen keine.«, Byung-Chul Han
Woher kommt mit zunehmender Technisierung und individueller Freiheit nach der Aufklärung die Struktur, die wir als Menschen brauchen? Wie lässt sich das Dilemma an der aktuellen Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren?
Letztlich stellt sich die Frage: wie frei sind wir wirklich? Lässt sich Erkenntnis aufhalten, oder sind wir letztlich vom Technium getrieben?
»It is almost as if life has an imperative. It wants to materialize certain patterns.«, und »We are at a second tipping point where the technium's ability to alter us exceeds our ability to alter the technium.« Kevin Kelly
Was können wir somit überhaupt noch über die Zukunft entscheiden? Über den Fluß der Technik? Haben wir die Hoffnung für eine bessere und lebenswerte Zukunft verloren und denken nur noch in Retropien?
Andererseits: kein Mensch der Macht hatte, kannte zu seiner Zeit den Namen von Baruch Spinoza, und dennoch hat er sich als äußerst wirkmächtig herausgestellt. Die Rolle von sozialen Bewegungen in der Entscheidung, wohin unsere Welt sich bewegt ist kaum vorherzusagen.
Manchmal scheint magisches, kontrafaktische Denken auch das einzige zu sein, das uns als Menschheit wachsen lässt.
»Wir wissen noch nicht vor was wir gelebt haben werden.«
Referenzen
Philipp Blom
- Webseite von Philipp Blom
- Philipp Blom, Die Welt aus den Angeln (2017)
- Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht, Hanser (2017)
- Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent, 1900-1914 (2011)
- Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre, 1918-1938, dtv (2016)
- Philipp Blom, Der taumelnde Kontinent: Europa 1900–1914 (2011)
- Philipp Blom, Böse Philosophen (2013)
Andere Episoden
- Episode 4 und Episode 5: Was will Technologie?
- Episode 12: Wie wir die Zukunft entdeckt und wieder verloren haben
- Episode 15: Innovation oder Fortschritt?
- Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?
- Episode 21: Der Begriff der Natur — oder: Leben im Anthropozän
- Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von Bertrand Russel und der Eugenik lernen können
Fachliche Referenzen
- Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, C. Bertelsmann (2016)
- Kevin Kelly, What Technology Wants, Penguin (2011)
- Kevin Kelly, Inevitable, Penguin (2016)
- Zygmunt Bauman, Retrotopia, Suhrkamp (2017)
- Achim Landwehr, Geburt der Gegenwart: Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert, S. Fischer (2014)
- Johann Wolfgang von Goethe, Der Zauberlehrling
- Walt Disneys Interpretation des Zauberlehrlings aus Fantasia
Thursday May 27, 2021
Thursday May 27, 2021
In dieser Episode diskutiere ich unsere gesellschaftliche Verwundbarkeit mit Herbert Saurugg. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen, im Besonderen auch auf unser europäisches Stromversorgungssystem und die Gefahren eines Blackouts.
Herbert Saurugg ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge und ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker und Interviewpartner zum Thema »ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall«.
Er beschäftigt sich seit 10 Jahren mit der steigenden Komplexität und Fragilität lebenswichtiger Infrastrukturen sowie mit den möglichen Lösungsansätzen, wie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wieder robuster und antifragil gestaltet werden kann.
In dieser Episode frage ich, was Katastrophenschutz im 21. Jahrhundert ausmacht, welche Rolle die immer stärkere Vernetzung aller technischer und gesellschaftlicher Systeme in diesem Zusammenhang spielen. Denn Strom, Internet, Kommunikation, Lieferketten und wieder Stromversorgung stehen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Können wir etwa die IT-Systeme nach einem kompletten (ungeplanten) Shutdown überhaupt wieder hochfahren? Wer hat diese Erfahrung im großen Maßstab?
Was verstehen wir in diesem Kontext unter Resilienz und Robustheit sowie Antifragilität?
Warum ist Antizipation und rechtzeitiges, regelmäßiges Lernen wichtig (lernen und verhindern von Ausfällen, aber ebenso die Vorbereitung auf die Bewältigung eines Ausfalls wesentlicher technischer Infrastruktur)?
Wir fürchten uns heute oft vor Volatilität, aber in der Praxis ist Volatilität gerade nicht das Problem, wir stecken häufig im Verlässlichkeits- / Sicherheitsparadox fest und haben immer mehr Rückfallebenen abgebaut: Effizienz steht vor Resilienz:
»Most modern efficiencies are deferred punishment.«, Nassim Taleb
Eine – etwa bei der Energiewende – selten diskutierte Frage von großer Bedeutung ist: Wie lange dauert es, bis wir als Gesellschaft eine Großtechnologie im Griff haben? Nur weil wir uns eine Groß-Infrastruktur vorstellen können und die einzelnen Teile kennen, bedeutet dies noch lange nicht, dass wir sie auch als komplexes System begreifen. Im Zuge der Energiewende hin zu »erneuerbaren« Energien verlieren wir gerade große Teile an »Momentanreserven«. Warum sind diese aber zentral für die Netzstabilität?
Dass die Gefahr eines europaweiten Strom-Blackouts nicht nur theoretisch ist, hat ein Vorfall im Jänner 2021 gezeigt: was ist mit dem europäischen Stromnetz passiert, wie kann es sein, dass wir knapp vor einem Blackout gestanden sind, und die Medien über dieses extrem wichtige Ereignis fast nicht berichtet haben? Warum war das die schwerste Störung seit Jahrzehnten und was sind die Folgen für die Zukunft?
Herbert Saurugg erklärt, was ein (europaweites) Blackout bedeuten könnte: wie kann es dazu kommen, was wären die Folgen für verschiedene gesellschaftliche Systeme? Wie lange würde es dauern, bis wir einen »Normalzustand« wieder hergestellt hätten?
»Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, d. h. die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigende Problemlage.«, TAB-Studie
Was sind weitere Hintergründe und Zusammenhänge in der europäischen Stromversorgung, die zu einem Blackout führen können: Privatisierung, Erzeugung, Verbrauch, Stromhandel?
Welche Rolle spielt die »Energiewende« in der zunehmenden Fragilität unserer Netze und warum spielen Stromspeicher eine fundamentale Rolle in einem robusten Netz? Welche Leistung bringen Solar- oder Windanlagen in der Praxis tatsächlich und was stimmt hier häufig bei der Kommunikation nicht?
Haben wir es gerade mit einer Energiewende oder eher einer Realitätsverweigerung, mit einer Technik- oder Kulturwende zu tun? Was sollten wir individuell, als Gesellschaft und politisch unternehmen um eine ernstzunehmende Energiewende hinzubekommen, welche Vorbereitungsmaßnahmen sollte jeder von uns in den Alltag integrieren?
Können wir von der Natur lernen, gemeinschaftliche Unterstrukturen, funktionale Einheiten, Energiezellensystem schaffen um Störungen nicht großflächig ausbrechen zu lassen?
Und nicht zuletzt spricht Herbert Saurugg eine Idee an, die in einer Technik-verliebten Welt vergessen ist: manchmal kann man Systeme durch Entfernen von Technik verbessern! Mehr ist nicht in allen Fällen besser!
Referenzen
Herbert Saurugg
- Fachblog: www.saurugg.net
- Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge
- https://www.saurugg.net/blackout
- Leitfäden und Hilfestellungen für die Eigenvorsorge und Selbsthilfe
- Email office@saurugg.net
- Twitter: @herbertsaurugg
- LinkedIn: Herbert Saurugg
Andere Episoden
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
- Episode 17: Kooperation
- Episode 23: Frozen Accidents
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
- Episode 40: Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
Fachliche Referenzen
- Die Grenzen des Wachstums, Bericht an den Club of Rome zur Lage der Menschheit (1972)
- Die Grenzen des Denkens (2010)
- Die neuen Grenzen des Wachstums (1993)
- Bericht Bundesrechnungshof „Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit“ (2021)
- TAB-Studie: „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften durch Stromausfall“ (2011)
- Großstörung am 08. Jänner 2021
- Europa auf dem Weg in die Katastrophe (2021)
- Nassim Taleb, Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (2013)
- Resilienz
- „Weniger ist mehr“ fällt schwer, ORF (2021)
Wednesday Apr 14, 2021
040 – Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
Wednesday Apr 14, 2021
Wednesday Apr 14, 2021
In Episode 31 habe ich mich mit Tom Konrad über die Rolle von Software in der modernen Gesellschaft ausgetauscht. Diese Episode hat zahlreiche Dinge angesprochen, aber auch noch viele Aspekte offen gelassen. Daher freue ich mich, dass Philipp Reisinger in dieser zweiten Episode in diesem Themenbereich zur Verfügung gestanden ist.
Philipp ist bei SBA-Research Experte für organisatorische Informationssicherheitsberatung, hält Zertifizierungs-Vorbereitungs-Trainings und ist Lektor an der FH St. Pölten.
Wir sprechen in dieser Episode über die Auswirkung von Software-Fehlern – warum sich die virtuelle Welt hier völlig anders verhält als die physische Welt. Wir führen dann den Begriff der Software-Nachhaltigkeit ein, und diskutieren die ungleiche Verteilung von Nutzen und Schaden wenn elementare Prinzipien der Nachhaltigkeit nicht erfüllt werden.
Wir sprechen über zahlreiche negative Beispiele mangelnder Qualität und Nachhaltigkeit wesentlicher digitaler Infrastruktur, von Flugzeugabstürzen, digitaler Übernahme von Autos während der Fahrt, Manipulation von Wahlen durch Wahlcomputer und den massiven Hack von US-Infrastruktur (»Solar Winds«).
Software und Digitalisierung sind heute Tagesthemen, aber auf welchen Prämissen beruht dieser Drang zur Digitalisierung aller Lebensbereiche? Wer gewinnt, wer verliert? Sollten wir Digitalisierung neu denken? Kann Lean Digitisation eine Alternative sein? Sollten wir bestimmte Lebensbereiche oder Industriefelder bewusst nicht Digitalisieren und analog betreiben?
Werden wir angesichts des großen Ungleichgewichts zwischen einzelnen Großunternehmen, die von der Digitalisierung gewinnen und den Kosten, die vielfach die Gesellschaft trägt ohne signifikante Regulierung auskommen? Erste Schritte gibt es bereits mit der Datenschutzgrundverordnung sowie der NIS-Richtlinie. Aber welche Risiken sind mit Regulierung verbunden?
Referenzen
Philipp Reisinger
Andere Episoden
- Episode 19 und Episode 20: Offene Systeme: Gespräch mit Lukas Lang und Christoph Derndorfer
- Episode 24: Hangover: Was wir vom Internet erwartet und was wir bekommen haben – Gespräch mit Peter Purgathofer
- Episode 30: Techno-Optimismus – ein Gespräch mit Tim Pritlove
- Episode 31: Software in der modernen Gesellschaft – Gespräch mit Tom Konrad
- Episode 35: Innovation oder: Alle Existenz ist Wartung
Fachliche Referenzen
- Security in the real and virtual world (Presentation by Philipp Reisinger)
- Boeing 737 Max MCAS
- Risiken Automatisierung im Flugverkehr
- Video Jeep Hack
- Artikel Jeep Hack
- Tesla Flotten Hack
- Langsames Patchen von Software Problemen am Beispiel Microsoft Exchange
- AWS Ausfall beeinträchtigt IOT 2017
- AWS Ausfall beeinträchtigt IOT 2020
- USA Gesetzesvorschlag analoge Steuerung Kraftwerke
- Solarwinds Hack und ökonomische Fehlanreize
- Information Security Economics und Informations Sammlung
- Google Building Secure & Reliable Systems Initial vs. Sustained Velocity
- Security in the real and virtual world
- Maersk Not Petya Angriff
- Missbrauch Aufzeichnung von Überwachungskameras durch Servicetechniker
- Geplante Obsolenz IOT
- Wahlcomputer Paper Ballot und Schneier Blog
- Wahlsoftware Schwachstelle Schweiz
- Navy baut Touchscreens wegen Unfallgefahr aus
- F-35 Touchscreen führt zu Fehleingaben
- Touchscreens als Sicherheitsrisiko im Auto
- Produkthaftung für Softwareschwachstellen
- Argumentation für mehr Regulierung bezüglich Software Sicherheit
- EU Richtlinie zur Wartung digitaler Güter (Update Pflicht)
- Akerlof Siprale Verdrängung guter/qualitativer Anbieter aus einem Markt
- The long shadow of innovation, or: Lean digitisation and the car
Thursday Feb 25, 2021
038 – Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
Thursday Feb 25, 2021
Thursday Feb 25, 2021
In dieser Episode frage ich Prof. Michael Hartmann über die Rolle der Eliten in unserer Gesellschaft: wer sind die Machteliten, welche Rolle spielen sie für unsre Zukunft.
Prof. Hartmann gilt als einer der führenden Soziologen und Elite-Forscher Deutschlands, geboren 1952 und seit einigen Jahren pensioniert.
Er ist eher »zufällig« in die Elitenforschung gekommen: zunächst beschäftigte er sich mit Juristen, einer traditionell konservativen Berufsgruppe und stellt eine hohe Kohärenz in den dortigen Eliten fest. Er wechselte dann den Blick hin zu Informatikern – das war die jüngste und dynamischste Gruppe –, aber am Bild änderte sich nichts. Sein Interesse war geweckt und die systematische Elite-Forschung begann somit in den 1980er Jahren und streckt sich über die nächsten Jahrzehnte.
Wir sprechen über den Begriff der Elite, der zunächst als Widerstand der Leistungs-Eliten gegen den Adel zu verstehen war und die dann wechselhafte Verwendung des Begriffes über das 20. Jahrhundert hinweg. Mit 2008 (und der Finanzkrise) spricht man in der Öffentlichkeit nicht mehr so gerne von »Eliten«, wenngleich sich an deren Einfluss wenig verändert hat.
Wenn sich am Einfluss wenig verändert hat: ist Elite mit Demokratie vereinbar? Entscheidungen müssen ja in Gesellschaften und Unternehmen getroffen werden. Wie kann man das Selbstverständnis der Eliten beschreiben?
Provokant gefragt: was spricht gegen Eliten, die sich aus sich selbst heraus rekrutieren? Wenn sie gut gebildet, erzogen und erfolgreich sind, ist das doch gut für alle – eine Theorie, die in den 1980er und 1990er Jahren auch als Trickle Down Effekt bezeichnet wurde.
Interessant ist, dass die Jobs, die viel Geld verdienen und als Elite-Jobs gelten fast alle in die Kategorie von Bullshit Jobs (nach David Graeber) fallen, trifft dies zu?
Oft wird beobachtet, dass sich Eliten untereinander am Habitus erkennen. Was ist der Unterschied im Habitus zwischen Bürgerkindern und den »unteren« Schichten? Trägt der Manager den Anzug oder der Anzug den Manager?
Gelten die Führungspositionen in den Legacy-Medien auch als Elite? Welche Rolle spielen diese Medien in der Selektion, Stützung oder auch dem Sturz von Eliten?
Welche Rolle spielt Introvertiertheit gegenüber Extrovertiertheit? (Der Name, der uns beiden in der Episode nicht eingefallen ist war natürlich Steve Wozniack, der Apple-Gründungspartner von Steve Jobs.)
Interessant ist es auch, dass gesellschaftliche Ziele auch miteinander in Konflikt stehen können, so etwa das Bestreben eine höhere Chancengerechtigkeit für Frauen in Führungspositionen herzustellen gegenüber dem Ziel einer größeren Durchlässigkeit für untere gesellschaftliche Schichten.
Weiters sprechen wir über Eliten und die immer genormteren Lebensläufe in der Wissenschaft und welche Rolle das für Forschung und Innovation bedeutet.
In der Wissenschaft sind kosmopolitische Lebensläufe seit langem üblich, aber wie sieht es in der Wirtschaft und Politik aus? Oftmals wird ja die hohe internationale Konkurrenz als Grund für die Notwendigkeit extrem hoher Gehälter genannt. Wie sieht es in unterschiedlichen Sektoren aus? Wirtschaft, Politik, Verwaltung? Apropos Rechtfertigung hoher Gehälter: wie verhält es sich mit den vermeintlich großen persönlichen Risiken von Spitzenmanagern?
Wo stehen wir heute und wie sieht die Situation in die Zukunft gedacht aus? Beschädigen die (aktuellen) Eliten die Demokratie und damit auch unsere Chancen für die Zukunft?
Referenzen
Andere Episoden
Fachliche Referenzen
Monday Jan 11, 2021
036 – Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
Monday Jan 11, 2021
Monday Jan 11, 2021
Die Notwendigkeit unsere Gesellschaft zu dekarbonisieren um Klima- und auch Biodiversitätskrise zu bekämpfen, macht auch in Corona-Zeiten keine Pause.
In dieser Episode spreche ich mit Dr. Anna Veronika Wendland.
Dr. Wendland ist Osteuropa- und Technikhistorikerin, Projektleiterin im Sonderforschungbereich „Dynamiken der Sicherheit“ (Marburg / Gießen). Derzeitige Forschungsschwerpunkte sind komparative Umwelt- und Technikgeschichte, Reaktorsicherheit, industrielle Anthropologie, kerntechnische Arbeitswelten und Ingenieurskulturen in Osteuropa und Deutschland.
1989 hat sie ein abenteuerliches Forschungsjahr in der Ukraine – als Atomkraftgegnerin – mit der Bewältigung der Tschernobyl-Katastrophe verbracht. Dem folgen weitere Forschungsprojekte über viele Jahre als Langzeit-Beobachterin in Kernkraftwerken in Osteuropa und Deutschland.
Blick aus dem IT-Büro auf das Atomkraftwerk Rivne, ca. 1982, Foto: Nadija Tymofejenko, Rivnenska Atomna Elektrychna Stantsiia, Varash, Ukraine
Sie navigiert zwischen den Polen einer »klassischen« Zeithistorikerin mit einer Fülle an Quellen und der Tatsache, dass die Kernkraftwerke als Orte aber abgeschottet und schwer zugänglich sind. Es gibt wenig Fachliteratur, vor allem in Bezug auf die realen Prozesse und menschliche Seite der Interaktion zwischen Menschen und (Kerntechnik-) Maschinen. Industrielle Anthropologie in diesem Bereich ist daher sehr schwierig und aufwändig.
In der heutigen Wissenschaftslandschaft ist es äußerst schwierig sich finanziell für solche lange und interdisziplinäre Forschung über Wasser zu halten. Daher sind derartige Projekte – so wichtig sie sind – mit der heutigen »Bologna-Universität« und Uni-Richtlinien kaum vereinbar.
Diese Geschichte der (osteuropäischen) Kerntechnik führt zu ihrer Habilitatiionschrift: Kernenergie als Moderne-Phänomen.
Im Juli 2020 hat Dr. Wendland gemeinsam mit dem Nuklearsicherheitsexperten Rainer Moormann, der als Kritiker der Atomindustrie bekannt wurde, ein vielbeachtetes Memorandum veröffentlicht, in dem die Autoren zur schnelleren Erreichung der deutschen Klimaziele fordern, den Atomausstieg zugunsten eines schnelleren Kohleausstiegs auszusetzen.
In dieser Episode sprechen wir über die Energiewende und ob wir noch in der Lage sind, wichtige und komplexe Probleme der Zeit in der Gesellschaft rational zu diskutieren. Sind Kernkraftwerke wirklich – wie so oft in Deutschland und Österreich behauptet – gefährliche Technik der Vergangenheit oder können sie eine wichtige Komponente einer zukünftigen (global) dekarbonisierten Energieerzeugung darstellen?
Dr. Wendland spricht über Risiken und Chancen, gesellschaftliche und mediale Phänomene, die diese Frage begleiten. Wir erleben etwa häufig Diskurs der über Angst geführt wird. Welche Folgen hat dies? Wir diskutieren verschiedene Arten von Risiken – systemische und lokale – für die unterschiedlichen Arten der Energiebereitstellung. Welche Rolle spielt NIMBY (not in my backyard), das Vertrauen und Misstrauen der Öffentlichkeit gegen Wissenschaft und Industrie und die Frage, welche Rolle Subventionen und Regulierungen spielen (können und sollen).
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität
- Episode 32: Überleben in der Datenflut
- Episode 22: Biodiversität, Gespräch mit Prof. Essl
- Episode 33: Naturschutz im Anthropozän, Gespräch mit Prof. Zachos
Dr. Wendland
- Rainer Moormann, Anna Veronika Wendland, Stoppt den Atomausstieg, Die Zeit (2020)
- Stellt euch vor, es ist Klimanotstand, und das kleinere Übel heißt Braunkohle (25.09. 2020)
- Kerntechnische Moderne. Atomstädte, nukleare Arbeitswelten und Reaktorsicherheit in Ostund Westeuropa, 1966-2020 (abgeschlossen, Titel siehe PDF) Habilitationsschrift, WS 2020/21, Universität Marburg.
- Peer Riews and the Making of Transnational Nuclear Safety, PI deliverable for the DFG Collaborative Research Centre "SFB/TRR 138: Dynamics of Security. Types of Securitization from a Historical Perspective", Phase II, 2018-2021, Project C01/2 “Nuclear Governance beyond the National State/ Nukleares Regieren jenseits des Nationalstaats”, 2018-2021
- “Reaktorbegrenzungen als public technology”, Aufsatzprojekt über die leittechnischen Spezifika von KWU-Anlagen vor dem Hintergrund von Reaktorsicherheitsdebatten in der Bundesrepublik Deutschland, ab 2020
- Die technischen Kapitel ihrer Habilitationsschrift beruhen zu großen Teilen auf den methodischen Ansätzen der Industrial Anthropology und der Technographie (nach W. Rammert).
Fachliche Referenzen
- Greenpeace Proteste gegen die »Industrialisierung der Landschaft« durch ein Solarkraftwerk in Kent, England, Independent Artikel (2020)
- (2020) Ukrainian Memory Spaces and Nuclear Technology. The Musealisation of Chornobyl’s Disaster, in: Technology and Culture 61 (2020), October 2020, 1162-1177
- (2020) Das CO2-arme Stahlwerk und seine Stromversorgung, in: stahl + eisen Nr. 3 (2020), 16-18
- (2019/20) Nuclearizing Ukraine – Ukrainizing the Atom. Soviet nuclear technopolitics, crisis, and resilience at the imperial periphery, in: Cahiers du Monde Russe 60 (2019), Nr. 2-3, 335-367
- (2019) Das “Teuer-und-gefährlich”-Papier des DIW zur Kernenergie auf dem Prüfstand, in: atw – International Journal for Nuclear Power 64 (2019), Nr. 10/11, 469-479 (mit Björn Peters)
- (2019) Modernity in the Marshlands: Interventions and Transformations at the European Periphery from the Nineteenth to the Twenty-first Century. Introduction, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung / Journal of East Central European Studies 68 (2019), H. 3, 319-343 (mit D. Siebert, T. Bohn)
- (2018) Reaktorsicherheit als Zukunftskommunikation. Nuklearpolitik, Atomdebatten und kerntechnische Entwicklungen in Westdeutschland und Osteuropa 1970-2015, in: Christoph Kampmann / Angela Marciniak / Wencke Meteling, „Security turns its eye exclusively to the future“. Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte, Baden-Baden 2018 , 305-352
- (2017) Technosoziale Realitäten und kerntechnisches Tabu: Überlegungen zu einer Revision der Energiewende, in: Michael Beckmann /Antonio Hurtado (Hrsg.), Kraftwerkstechnik 2017. Strategien, Anlagentechnik und Betrieb, Freiberg 2017, 61-78
- (2017) Negotiating Nuclear Security under Social Stress: On-site Participant Observations on Human and Organizational Factors in Nuclear Facilities of the Global North, in: Proceedings of the IAEA Nuclear Security Conference 2016, Vienna 2017 (CD-ROM)
- (2017) Tracing the Tacit Meanings of Nuclear Things, in: Felix Ackermann, Benjamin Cope & Siarhei Liubimau (Eds.), Mapping Visaginas. Sources of urbanity in a former mono-functional town, Vilnius 2017,119-123
- (2017) (mit V. Brinks und O. Ibert) Beratung unter Stress: Experten in und für Krisen. Leibniz-Forschungsverbund "Krisen einer globalisierten Welt", Working Papers No. 2, April 2017
- (2016) Tschernobyl: (K)eine Visuelle Geschichte. Nukleare Bilderwelten in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, in: Melanie Arndt (Hrsg.) Politik und Gesellschaft nach Tschernobyl, Berlin 2016, 182-210
- (2015) Inventing the Atomograd. Nuclear Urbanism as a Way of Life in Eastern Europe, 1970-2011, in: Thomas Bohn, Thomas Feldhoff Lisette Gebhardt, Arndt Graf (Eds), The Impact of Disaster: Social and Cultural Approaches to Fukushima and Chernobyl", Berlin 2015, 261-287
- (2014) Wissensformen der Kerntechnik im transnationalen Vergleich, in: Ferrum 86 (2014), 57-65 Negotiating Nuclear Security under Social Stress: On-site Participant Observations on Human and Organizational Factors in Nuclear Facilities of the Global North, IAEA Full Paper CN-244-065, IAEA International Conference on Nuclear Security: Commitment and Actions, Vienna 2016
- (2014) Atomwirtschaft und Reaktorsicherheit in der Bundesrepublik. Sammelrezension zu: Laufs, Paul: Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke. Die Entwicklung im politischen und technischen Umfeld der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2013 / Radkau, Joachim; Hahn, Lothar: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft, München 2013, in: H-Soz-Kult, 03.11.2014
- (2014) Wissensformen der Kerntechnik im transnationalen Vergleich, in: Ferrum 86 (2014) S. 57-65
- Anna Veronia Wendland, Ten Years of Fukushima Disinformation, Skeptical Inquirer (2022)
Thursday Nov 26, 2020
Thursday Nov 26, 2020
Bei der Übersetzungsbewegung handelt es sich um – wie man heute sagen würde – um wissenschaftlichen Austausch der über Jahrhunderte gewirkt hat, mit dem Epizentrum im persischen und arabischen Raum um das Jahr 1.000. Die Wirkungen dieser Bewegung reichten von Griechenland über die islamische Kultur nach Asien, Afrika und eben über die iberische Halbinsel nach Mitteleuropa.
Dieses Thema ist für den Podcast relevant, weil es uns hilft, ein Verständnis wesentlicher historischer Zusammenhänge an der Schnittstelle von Wissen, Gesellschaft und Politik zu bekommen, die in die Zukunft wirken.
Ich freue mich auch in dieser Episode wieder einen äußerst kompetenten Gesprächspartnern gewinnen zu können: Rüdiger Lohlker, Professor für Islamwissenschaften. Er war unter anderem an der Univ. Göttingen, Kiel und Giessen tätig und arbeitet nun an der Universität Wien am Institut für Orientalistik. Seine Forschungsinteressen liegen im Islam in der Gegenwart, der arabischen und islamischen Welt online, Sufismus und Medical Humanities. Dabei handelt es sich um ein interdisziplinäres Feld an der Schnittstelle zwischen Medizin und Geisteswissenschaft. Er forscht aber auch zu Themen wie Jihadismus und Salafismus.
In dieser Episode diskutieren wir also zahlreiche Fragen mit weitreichender Wirkung, etwa: Warum ist es im 8. bis 10. Jahrhundert überhaupt zu einem solchen Aufschwung der Naturphilosophie und Medizin und der Übersetzungsbewegung gekommen? Was ist die Rolle von Universalgelehrten und Generalisten? Wie ist das Zusammenspiel zwischen der Administration eines Großreiches (oder allgemeiner der Politik), der Urbanisierung und der Wissenschaft (wie wir es heute nennen würden)? Wie finanziert sich die »Wissenschaft« der Zeit? Herrscht im islamischen Mittelalter mehr Ambiguität vor? Wie lassen sich verschiedene Lebensentwürfe und Religionen vereinbaren? Warum war die islamische Kultur und Wissenschaft der Zeit der europäischen deutlich überlegen? Wie verschieben sich Schwerpunkte des Wissens und Wissenskulturen, welche Rolle spielen dabei Kooperation und Konkurrenz und was können wir wir für die heutige Zeit und die Zukunft lernen?
Nicht zuletzt wird das Gespräch sich auch (vielleicht etwas überraschend) mit Piraten beschäftigen.
Wir sprechen auch beispielhaft über wesentliche Gelehrte und Herrscher der Zeit und deren Wirkungskreise wie unter anderem
- Al-Maʾmūn
- ibn Sina (Avicenna)
- al Biruni
- Nasir ad-Din at-Tusi
- Al Hazen
Nasir al-Din al-Tusi im Observatorium in Maragha, Persien
(Britisch Library, Wikimedia commons)
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 17: Kooperation
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
Prof. Rüdiger Lohlker
Fachliche Referenzen
- Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt, Reclam (2018)
- Gotthart Strohmaier, Avicenna, C.H. Beck (2017)
- Ulrich Rudolph, Islamische Philosophie, C.H. Beck (2018)
- Georg Bossong, Das Maurische Spanien, C.H. Beck (2016)
- Ramon Llull
- Gerhard von Cremona
- Ibn Sina (Avicenna)
- Al-Biruni (BBC – In Our Time)
- Nasir al-Din al-Tusi
- Die Dynamische Interpretation der Himmelsscheibe von Nebra, mit Erklärung des Tusi-Paars, Sternwarte Recklinghausen
- Alhazen (Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham)
- Uwe Springfeld, Das Mekka der Naturwissenschaften, SWR2 Wissen, 2. Jänner 2003 (Al Hazen)
- The instruments of Istanbul Observatory
- Jonah Lehrer, A Physicist Solves the City, Artikel über Geoffrey West, New York Times, 17. Dez. 2010
- Muslim Heritage Website
- Nidhal Guessoum, Islam’s Quantum Question: Reconciling Muslim Tradition and Modern Science
- Janet Abu-Lughod, Before European Hegemony: The World System A.D. 1250-1350
Friday Nov 06, 2020
033 – Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
Friday Nov 06, 2020
Friday Nov 06, 2020
»Anthropozän« bedeutet, dass der Mensch zur bestimmenden Kraft des Planeten geworden ist. Aus dieser Tatsache heraus folgt eine Verantwortung, die sich auch im Gedanken des Naturschutzes widerspiegelt.
In dieser Episode führe ich ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos, der ein Studium der Biologie, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte in Kiel und Jena absolviert hat und heute Leiter der Säugetiersammlung am Naturhistorischen Museum in Wien ist. Seine Forschungsinteressen sind im Bereich der Biodiversität, Evolution, Systematik und Taxonomie, wobei sein theoretisches Hauptinteresse beim Artproblem in der Biologie sowie dessen philosophischen Grundlagen und historischer Entwicklung liegt.
Unser Gespräch findet im Naturhistorischen Museum in Wien statt, was ein perfektes Ambiente geboten hat um die Geschichte des Naturschutzes aber auch die Rolle von Museen in der Vergangenheit und Zukunft für Naturschutz und Wissenschaft zu diskutieren.
»Die Wildnis sei deformiert. Obwohl Buffon ein Jahr vor der französischen Revolution starb, hielten sich seine Ansichten über die Neue Welt hartnäckig. […] Nur die kultivierte Natur sei schön, schrieb Buffon. Humboldt hingegen warnte, dass man begreifen müsse, wie die Kräfte der Natur wirkten, wie alle diese verschiedenen Fäden miteinander verknüpft seien.«, Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Wann haben wir als Menschen begonnen die Natur als »schützenswert« zu erkennen? Es gibt erste Bestrebungen die Natur systematisch zu schützen, etwa in Gran Paradiso–Italien. Allerdings war die Motivation, die Tiere für adelige Jagd zu erhalten. Später wurde daraus der Gran Paradiso Nationalpark. Auch die Nationalparks in den USA gelten als Beispiel.
Was aber ist die Voraussetzung für das Verständnis von Biodiversität? Natürlich ein Begriff von Art, eine Aufteilung der lebendigen Welt. Wie hat sich dies über die menschliche Geschichte entwickelt? Wie funktioniert Taxonomie in der modernen Biologie? Erfassung und Klassifizierung der Lebewesen gilt heute als eine der Fundamental-Disziplinen der Biologie.
Taxonomie hat unterschiedliche Ansätze, wir sprechen kurz über die Rolle von Morphologie vs. Genetik (auch mit einem Rückblick auf den wichtigen österr. Biologen Rupert Riedl), sowie Fortschritte der Technik sowohl im Bereich der Gen-Analyse wie aber auch in der Morphologie. Taxonomie hat aber auch Herausforderungen: sie ist ein diskretes Prinzip, Evolution aber ein kontinuierlicher Prozess. Man stülpt ein diskretes auf ein kontinuierliches Prinzip – da gibt es Reibungen. Was bedeutet dies und was sind die Konsequenzen?
Verlassen wir dann die Vergangenheit: Gibt es eine Veränderung, wie »Naturschutz« gesehen und betrieben wird, vor allem in die Zukunft gedacht? Conservation Biology wurde zunächst im Deutschen als Artenschutz übersetzt, später aber Naturschutzbiologie genannt – es geht eben nicht nur um einzelne Arten.
Naturschutz ist nicht nur im Kern ein biologisches Thema sondern hat natürlich Konsequenzen für Handel, Wirtschaft und zeigt auch durchaus überraschende rechtliche Folgen. Welche Rolle spielt also der Mensch im Naturschutz und wie sollten wir das Zusammenspiel Mensch/Natur in die Zukunft denken?
Was ist etwa die Rolle unseres Lebensstils sowie der Größe der menschlichen Population? Die globale Mittelschicht ist verantwortlich für den Klimawandel, die Biodiversitätskrise und das Artensterben. Es gibt ca. seit 150 Jahren Nationalparks: in dieser Zeit ist die menschliche Population von 1 Milliarde Menschen auf 8 Milliarden Menschen angewachsen.
»mit dem exponentiellen menschlichen Wachstum steigt auch der Verlust der Biodiversität«
Welche Rolle spielen Museen und Zoos, auch im Zusammenspiel mit Universitäten und der interessierten Öffentlichkeit um diese Probleme zu thematisieren und besser zu verstehen?
Dann diskutieren wir systemische und philosophische Aspekte. Wie nehmen wir Natur war und was hat das mit unserem Erkenntnisapparat zu tun? Ist die Klassifikation von Mustern tief in unseren Genen verankert und damit »Schubladendenken«? Auch philosophische Strömungen des 20. Jahrhunderts haben sich an diese Erkenntnisse angelehnt, so etwa die evolutionäre Erkenntnistheorie.
Unser Erkenntnisapparat ist nicht evolviert um uns mit Quantenmechanik oder Mathematik auseinanderzusetzen. Außerdem und das hat auch fatale Konsequenzen – denken wir in Linearitäten. Das Exponentielle verstehen wir nicht. Die negativen Folgen sehen wir in unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik, bei Pandemien und der Zerstörung unseres Lebensraumes.
Wir sind also als Menschen »getuned« auf den Meso-Kosmos.
»Die Selektion hat uns Anschauungsformen gemäß den Aufgaben in noch höchst einfachen Lebensbereichen eingebaut. Und mit Anschauungen von gestern unterwerfen wir uns eine Welt von morgen.«, Rupert Riedl
Am Ende noch eine (nicht ganz ernstgemeinte) Frage über De-Extinction – wird Prof. Zachos den Dodo mit modernster Technik wieder ins Leben rufen? Die Antwort auf diese und alle anderen Fragen (und auch: warum die Adam und Eva oder die Arche Noah Idee in der Realität nicht funktioniert) im Gespräch.
Welche Rolle »Nessie« übrigens in dieser ganzen Thematik spielt – erfahren Sie ebenfalls in der Episode!
Referenzen
Prof. Frank Zachos
Andere Episoden
- Episode 21: Der Begriff der Natur – oder: Leben im Anthropozän
- Episode 22: Biodiversität und komplexe Wechselwirkungen – Gespräch mit Prof. Franz Essl
Fachliche Referenzen
- Frank Zachos, Species Concepts in Biology, Springer (2016)
- Frank Zachos, Jan Habel, Biodiversity Hotspots, Springer (2011)
- Stephen Garnett et al, Principles for creating a single authoritative list of the world’s species, PLOS Biology (2020)
- Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, C. Bertelsmann (2016)
- Gran Paradiso National Park
- Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)
- Peter Scott & Robert Rines, Naming the Loch Ness Monser, Nature (1975)
- California Gnatcatcher
- Rote Liste
- Biodiversitätsv-Hotspots
- Carl Zimmer, Frühwarnsysteme für bedrohte Welten, Spektrum der Wissenschaft, Dez. 2012
Thursday Sep 24, 2020
031 – Software in der modernen Gesellschaft – Gespräch mit Tom Konrad
Thursday Sep 24, 2020
Thursday Sep 24, 2020
Vor fast 10 Jahren hat der Slogan des IT-Unternehmers und Gründers von Netscape Marc Andreessen »Software isst die Welt« (»Software is eating the world«) seine Kreise gezogen. Er hatte mit einem Recht: Software ist das digitale Nervensystem unserer modernen Gesellschaft geworden. Es gibt keine Lebensbereiche mehr – vom fließenden Wasser über die Versorgung mit Lebensmitteln, Mobilität, Kommunikation, Medizin bis zur Politik und Verwaltung – die nicht vollständig von Software abhängig geworden ist.
Die meisten traditionellen Unternehmen und Organisationen (auch Verwaltungen) haben diese fundamentale Erkenntnis noch nicht vollzogen: sie sind in den letzten Jahrzehnten (ob sie das wollen oder nicht) zu Software-Unternehmen geworden, mit allen positiven aber auch negativen Effekten.
Dabei haben wir als Management, als Entwickler, als Fachbereiche, als Nutzer, als Gesellschaft vergessen auf die Qualität und die Architektur dieser überlebenswichtigen Systeme zu achten. Software hat – ohne dass das den meisten Menschen bewusst wäre – vielfach bei weitem nicht die Qualität, die für die Rolle die sie spielt angemessen und notwendig wäre. Etwas direkter ausgedrückt: wir haben ein richtiges, tiefreichendes Problem.
In dieser Episode spreche ich mit Tom Konrad, einem Kollegen von mir und langjährigen Software- und Security-Experten über dieses Themenfeld. Er ist seit über zehn Jahren als Penetration-Tester und Software-Entwickler im Security-Team bei SBA Research tätig und ist Mitbegründer der sec4dev-Konferenz, einer Security-Konferenz speziell für Softwareentwickler.
Eine wichtig Anmerkung dabei: Dieses Gespräch richtet sich nicht in erster Linie an Techniker oder Software-Entwickler, sondern auch und besonders an nicht-Experten. An eine breitere Gesellschaft, Bürger, Management und Politik.
Wir sprechen über die Rolle von Software in unserer Gesellschaft, welche gravierenden Folgen mangelnde Qualität bereits heute hat und was für die Zukunft zu erwarten ist.
Was bedeutet dies für kritische Infrastruktur und wie kommt es, dass große Unternehmen nicht in der Lage sind etablierte (und offen gesagt langweilige) Standardsoftware einzuführen und diese Projekte häufig in große Probleme mit Millionen-Verlusten geraten?
Als Nutzer, der nicht hinter die Kulissen blicken kann, lassen wir uns zu häufig vom »Glanz an der Oberfläche« täuschen. Tatsächlich ist Software heute mehr eine Art von Archäologie, wo die Aquädukte der Römer noch ein Kern-Bestandteil der Wasserversorgung einer modernen Stadt sind (ohne, dass die meisten Bürger das wissen und ohne, dass wir in der Lage sind, diese noch zu warten).
Wir haben die zahlreichen neuen Möglichkeiten (Programmiersprachen, Tools, Prozesse) leider nicht genutzt, um wichtige Software stabiler und besser zu machen, sondern um immer mehr Software auf fragwürdigem Niveau zu entwickeln.
Welche Rolle spielt dabei Komplexität verteilter Systeme? Wie steht es um Abhängigkeiten innerhalb und außerhalb von Unternehmen? 80% des Softwarecodes eines typischen Softwareprojektes sind externe Abhängigkeiten, die nicht im direkten Einflussgebiet der Entwickler liegen, aber integraler Teil der eigenen Software sind.
Zuletzt stellen wir die Frage: wie können wir diese fundamentale Infrastruktur auf ein Qualitätsniveau heben, das unbedingt für eine resiliente Gesellschaft notwendig ist? Wer hat welche Verantwortung? Was ist konkret die Verantwortung von Entwicklern? Vom Management? Von Gesellschaft und Politik? Wie verhält es sich mit kurzfristigen und langfristigen Anreizsystemen? Was ist die geopolitische Dimension und – in die Zukunft gedacht – für Europa?
Wir benötigen neue Narrative – organische Bilder. Software ist viel besser als Ökosystem begreiflich als als »technisches System des 19. Jahrhunderts« oder als »Projekt«. Wir brauchen aber auch klare gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und Gesetze.
Referenzen
Tom Konrad
Andere Episoden
- Episode 30: (Techno)Optimismus – ein Gespräch mit Tim Pritlove
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 24: Hangover, Was wir vom Internet erwartet und was wir bekommen haben – Gespräch mit Peter Purgathofer
- Episode 19 und Episode 20: Offene Systeme
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
fachliche Referenzen
Thursday Sep 03, 2020
030 – (Techno-)Optimismus – ein Gespräch mit Tim Pritlove
Thursday Sep 03, 2020
Thursday Sep 03, 2020
Wie optimistisch können wir in die Zukunft blicken und welche Rolle spielt dabei Technologie?
»Ohne Optimismus kann man auch gleich im Bett bleiben«
In dieser Episode spreche ich mit Tim Pritlove. Tim ist »Nerd« der frühen Stunde und seit den 1980er Jahren im Hacker-Umfeld (auch des Chaos Computer Clubs) »sozialisiert« worden. So war er auch über viele Jahre in der Organisation des Chaos Communication Kongresses tätig.
Seine Interessen sind aber deutlich vielseitiger. So hat er sich mit dem Projekt Blinkenlights einen Namen als Medienkünstler gemacht und gilt heute als einer der führenden deutschen Podcaster. Dabei beschränkt er sich nicht auf Themen im Umfeld von Computern und Technik, sondern betreibt Podcasts um wissenschaftliche Themen für einer breiteren Zuhörerschaft verständlich zu machen, im Bereich von (Netz)Politik aber auch Unterhaltung im weiteren Sinne.
In dieser Episode unterhalten wir uns über Füchse und Igel (nach Phil Tetlock), das heißt wir stellen die Frage, welche Rolle Generalisten und Spezialisten in unserer Gesellschaft im allgemeinen haben, und wie »Nerds« hier einzuordnen sind.
Wie werden Entscheidungen getroffen? Welche Herausforderungen muss die Demokratie meistern um nicht in eine Expertokratie oder in Populismus abzugleiten?
Welche Rolle spielt dabei Kommunikationstechnologie? Sind die Erwartungen seit jeher überzogen oder gibt es keine gemeinsame Zukunft ohne globale Kommunikationsmittel? Wie wird Demokratie durch die neuen Möglichkeiten verändert (z.B. Liquid Feedback, Wahlmaschinen) und was sollte man überhaupt ändern? Wie geht man mit Extremisten, mit Trollen um, wo endet Meinungsfreiheit?
»Unser inhaltlicher Umgang mit Wahnsinn gehört überarbeitet.«
Wie sind die Ideen der »Nerds« und Autodidakten der 1980er und 1990er Jahre heute zu bewerten? Skalieren die oftmals idealistischen Ideen der damaligen Zeit? Von welchen Fehleinschätzungen sollten wir für die Zukunft lernen?
Wie gehen wir mit den techno-sozialen »Wellenbewegungen« um? Vom Compuserve und AOL der 1990er Jahre über das »freie Internet« zurück zum Compuserve des 21. Jahrhunderts mit dem Namen Facebook? Wie sieht die nächste Welle aus?
Welche Rolle spielt Geschwindigkeit oder Langsamkeit – In der Adoption von Technik, in gesellschaftlichen Phänomenen und demokratischen Prozessen?
»In einem gesellschaftlichen System brauchst du genug Zeit um die Leute mitzunehmen […] Geschwindigkeit, schnelle Entscheidung ist per se keine Qualität«
Hat Europa den Anschluss bei strategischen Technologien verloren? Entscheiden wir in Europa überhaupt noch selbst, oder müssen wir zur Kenntnis nehmen, was in anderen Teilen der Welt definiert wird?
Wie verändert sich Kommunikation? Sind Menschen wirklich nur an Soundbites interessiert – wie von Legacy-Medien immer behauptet wurde, warum ist dann gerade heute das Interesse an Langformen auf YouTube oder auch bei Podcasts so beliebt? Ändert sich die Kommunikation in einer Krise?
»In Momenten der real erlebten Krise sind die allermeisten Leute in der Lage sich zusammenzuraufen-es kann dann schon sehr schnell gehen.«
Solutionism: verlieren wir uns in technischen Visionen (wie dem E-Auto, Kolonialisierung des Weltraums, Singularitätsphantasien) anstatt die klügsten Menschen an den größten Probleme der Zeit arbeiten zu lassen?
»Über kurz der lang wird es das Internet gebraucht haben« »Ich kann mir keinen Planeten Erde vorstellen […], der kein globales Kommunikationssystem hat. Aber wir sind noch lange nicht da.«, alle Zitate von Tim Pritlove
Referenzen
Tim Pritlove
- Tim auf Twitter
- Metaebene auf Twitter
- Chaos Computer Club
- Chaos Communication Congress (Event Blog, Wikipedia)
- Projekt Blinkenlights (Wikipedia)
- Metaebene – Das »Dach« des Podcast-Imperiums
- Podcasts (eine Auswahl)
Andere Episoden
- Episode 26: Was kann Politik (noch) leisten? Ein Gespräch mit Christoph Chorherr
- Episode 24: Hangover: Was wir vom Internet erwartet und was wir bekommen haben – Gespräch mit Peter Purgathofer
- Episode 19 und Episode 20 zu Offenen Systemen, hier gibt es ebenfalls zahlreiche Ergänzungen zu den mit Tim diskutierten Themen
- Episode 15 und Episode 16: was hat es mit Innovation und Fortschritt auf sich?
- Episode 31: Die Rolle von komplexen Software-Systemen in unserer Gesellschaft, Gespräch mit Thomas Konrad
Fachliche Referenzen
Monday Aug 03, 2020
028 – Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
Monday Aug 03, 2020
Monday Aug 03, 2020
Ich freue mich in dieser Episode wieder einen sehr interessanten Gast begrüßen zu dürfen, Prof. Jochen Hörisch.
Jochen Hörisch, geboren 1951, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte. Ab 1988 war er Ordinarius für neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Er bekleidete zahlreiche Gastprofessuren an anderen Universitäten in Europa sowie den Vereinigten Staaten. Er ist mittlerweile emeritiert und hat sich dankenswerterweise zu einem online Gespräch mit mir bereiterklärt.
In früheren Episoden, wie #16 und #18 habe ich mich schon kritisch mit dem aktuellen Zustand von Forschung und Universität auseinandergesetzt. So manche Innovation die heute bejubelt wird, scheint mehr Theaterdonner als tatsächlicher Fortschritt zu sein.
In Episode 11 habe ich die Frage gestellt, wie man mit schwierigen ethischen Fragen umgehen sollte, auch mit solchen, die sich aus der Technik und Wissenschaft heraus ergeben, innerhalb dieser aber nicht entschieden werden können oder sollten. In Episode 27 stelle ich Wicked Problems zur Diskussion und die Rolle, die Generalisten für die Lösung der wesentlichen Probleme unserer Zeit spielen (werden).
Daraus ergeben sich zwei wesentliche thematische Aspekte, mit denen wir uns in dieser Episode auseinandersetzen werden:
(1) Die Rolle der Universität für unseren Lebensstandard, Kultur und Zukunft und damit verbunden: der Zustand der heutigen Universität in Deutschland und Österreich
(2) Wir neigen dazu, wichtige Fragen der Zeit, die die Gesellschaft in einem breiteren Sinne betreffen, sehr stark aus einem technisch/naturwissenschaftlichen oder ökonomischen Blickwinkel zu betrachten, mit allen daraus folgenden Problemen. Naturwissenschaft und Technik erzeugt (fast immer) geisteswissenschaftliche oder kulturwissenschaftliche Probleme und Fragen.
So sprechen wir unter anderem über die Frage, wie die heutige Universität historisch zu verorten ist, über die platonische Akademie, die Häuser der Weisheit sowie die Humboldtsche Bildungsreform. »Abweichler und Häretiker« haben dabei immer eine wichtige Rolle gespielt und einen Platz bekommen.
Heute aber ist an den Universitäten die Bologna-Professionalität eingezogen, es wird gemessen, gemanaged – die Leidenschaft ist dahin? Wir haben wohl auch bei einem Etikettenschwindel mitgemacht. Was internationalisiert werden sollte wurde bürokritisiert und verschult. Wo freies Denken möglich sein sollte herrscht das Geld, oder Geld-artige Anreizsysteme.
Wo Prozess-Steuerung und Performance-Indikatoren Einzug halten geht da nicht nur die Leidenschaft sondern auch die Qualität des Werkes verloren?
Wir stellen uns weiters die Frage, ob originelle Charaktere, Intellektuelle (»Abweichler«) noch eine Chance auf eine Uni-Karriere in Zeiten stromlinienförmiger Institute und Manager haben?
Was ist die Rolle von Generalisten heute und für die Zukunft?
Auch die Kultur- und Geisteswissenschaften müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie ihre (wichtige) Rolle in der Verortung des (technisch/naturwissenschaftlich/ökonomischen) Wissens hinreichend Ernst nehmen, in Diskurs mit der Öffentlichkeit gehen, ob sie Narrative, die unsere Gesellschaft treiben hinterfragen und kritisieren.
Nicht zuletzt beschreibt Prof. Hörisch die Rolle der Philosophie aber auch verschiedener vermeintlicher Orchideenfächer. Er betont die Rolle bekennender Dilettanten und philosophischer Narren.
Wir sollten wieder für eine Alma Mater Libido, für eine libidinöse Universität kämpfen, die sich nicht scheut anstössig zu sein, die nackte Wahrheit freilegen möchte.
"Wissenschaft ist obszön, sie stellt das auf die Bühne, was andere zunächst nicht sehen wollen"
"Ohne Tabubrechen ist die Universität nicht zu haben“
Arbeiten wir also gemeinsam an einer libidinösen und denkanstössigen Universität der Zukunft!
Referenzen
Prof. Jochen Hörisch
Andere Episoden
- Episode 11: Ethik, oder: Warum wir Wissenschaft nicht den Wissenschaftern überlassen sollten!
- Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
- Episode 27: Wicked Problems
Fachliche Resourcen
- Jochen Hörisch, Die ungeliebte Universität – Rettet die Alma Mater, Hanser (2006)
- Jochen Hörisch, Das Geld der Wissenschaft (2016)
- Konrad Paul Liessmann, Kant, Dienst ohne Vorschrift (2004)
- Konrad Paul Liessmann im Interview mit Robert Misik
- Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht, Hanser (2017)
- George Monbiot, Out of the Wreckage, Verso (2017)
- Zymunt Bauman, Retrotopia, Suhrkamp (2017)
- Noah Yuval Harari, Homo Deus, Eine Geschichte von Morgen, C. H. Beck (2018)
- Erwin Schrödinger, What is Life? (1944)
- Michel Serres, Was genau war früher besser?, Suhrkamp (2019)