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Tuesday Sep 26, 2023
080 — Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
Tuesday Sep 26, 2023
Tuesday Sep 26, 2023
Ich denke seit ein paar Wochen über die Begriffe »Expertise« und »Wissen« nach. Wie stehen diese zueinander und in Bezug zu Prognostik. Dazu irritiert die übliche oder alltägliche Verwendung der Begriff »Expertise« beziehungsweise »Experte«. Regelmäßig werden in Medien Experten präsentiert oder von Politikern auf Experten verwiesen, die die Welt erklären und Prognosen komplexer Systeme mit großem Selbstvertrauen darlegen. Wenn dann aber regelmäßig von Experten oder Institutionen schwere Fehler in der Einschätzung gemacht werden, dann hat das negative Effekte für alle Menschen, für unser Vertrauen in Politik und in wesentliche Institutionen.
Was ist die Aussage eines Experten wert?
Was ist von Prognosen zu halten?
Zum Einstieg werden einige Beispiele schwerwiegender Fehleinschätzungen von Experten über die Jahrzehnte diskutiert, und was noch schlimmer ist, Fehleinschätzungen aus denen offenbar systemisch nichts gelernt wurde:
- Es ist unmöglich die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren (Paul Ehrlich, 1960er Jahre)
- Bevölkerungsexplosion oder -implosion (1960er Jahre bis heute)?
- Peak Oil (1980er bis 2000er Jahre)
- Eiszeit oder kochender Planet?
- Versagen der deutschen Energiewende
- Prognosen über den Ukraine Krieg
- Verschiedenste Wirtschaftsprognosen
»Voraussagen der Euro-Dollar-Wechselkurse sind wertlos. Jedes Jahr im Dezember sagen internationale Banken die Wechselkurse für das Ende des folgenden Jahres vorher. Meistens liegt der tatsächliche Kurs außerhalb des gesamten Prognosebereichs.«, Gerd Gigerenzer
Sind das alles nur Anekdoten, oder wurde die Qualität von Expertenprognosen systematisch untersucht?
»Der Durchschnittsexperte hatte bei vielen der von mir gestellten politischen und wirtschaftlichen Fragen kaum besser abgeschnitten als hätte er geraten […] «
»je berühmter ein Experte war umso schlechter war die Leistung«, Phil Tetlock
Mit anderen Worten: je öfter sie den »Experten« im Fernsehen sehen, desto schlechter sind wahrscheinlich seine Prognosen.
Was ist nun tatsächlich Expertise? Was ist Wissen? Versuchen wir eine Definition:
»Expertise ist die Fähigkeit, Veränderungen in der Welt konsistent vorauszusagen oder herbeizuführen.«
Schon in der Antike gab es unterschiedliche Begriffe für verschiedene Formen des Wissens:
- episteme (gr) oder scientia (lat) für Wissen um seines selbst Willen sowie
- techne (gr) oder ars (lat) für angewandtes Wissen; vielleicht vergleichbar damit, was ich Expertise nenne.
Gibt es Kompetenz, Expertise ohne Tun? Welche Beispiele für Bereiche gibt es, in denen man von Expertise sprechen kann, welche, in denen keine Expertise in diesem Sinne möglich ist? Gibt es Expertise an der Universität?
Dazu kommt die Frage des Vertrauens, wie in der letzten Episode betont wurde:
»Vertrauen ist ein sozialer Prozess, und Expertise ist sozial bestimmt. [...] Du musst der Wissenschaft folgen heißt, du musst mit meinen Werturteilen übereinstimmen.[...] Eine Entscheidung kann niemals wissenschaftlich fundiert sein. […] «
»Letztendlich ist die Definition eines Experten die eines Menschen, dessen Urteile man bereit ist, als das eigenen zu akzeptieren«
Was fangen wir nun mit diesem Befund an? Was tun? Eine Zusammenfassung in vier Punkten:
(1) Sind wir im Zeitalter der Post-Expertise angelangt?
»In den meisten Teilen der Gesellschaft wird man ermutigt, sich auf Experten zu verlassen — wir alle tun das mehr als wir sollten«, Noam Chomsky
(2) Das Tun nicht vergessen — Expertise lässt sich nicht virtualisieren
»Ich glaube nicht, dass man ein guter Erfinder sein kann, wenn man nicht weiß, wie das Zeug gebaut wird, dass man designed«, Walter Isaacson über Elon Musk
(3) Mit Unsicherheit leben lernen — die Herausforderung unserer Zeit
»Die Menschen neigen dazu, Unsicherheit verstörend zu empfinden.«, Phil Tetlock
(4) Evolution, oder: meine Arbeits-These zum Fortschritt
»Seed — Select — Amplify«
Diese Episode ist eine Reflexion und ich freue mich wieder besonders über kritisches Feedback!
»Dumme Menschen können Probleme verursachen, aber es braucht häufig geniale Menschen um eine wirkliche Katastrophe auszulösen«, Thomas Sowell
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
-
Episode 13: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 1
-
Episode 14: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 2
-
Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
-
Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg
- Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
-
Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
-
Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
-
Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters
-
Episode 74: Apocalype Always
-
Episode 76: Existentielle Risiken
Fachliche Referenzen
- Leonard Nimoy, Ice Age 1979
- Vorsicht, wer die Konjunktur prophezeit, Der Standard (8.2.2020)
- Spectator Inflation Prediction (17.8.2022)
- Gerd Gigerenzer, Risiko – Wie man die richtigen Entscheidungen trifft, Pantheon (2020)
- Karl Popper, The Myth of the Framework
- Daniel Yankelovich, Wicked Problems, Workable Solutions, Rowman & Littlefield (2014)
- Neil Gershenfield, Lex Fridman #380
- Walter Isaacson, Lex Fridman #395
- Nassim Taleb, What do I mean by Skin in the Game? My Own Version, Medium (2018)
- Scott Adams, Prediction and Forecast
- Thomas Sowell on “Social Justice Fallacies”, Uncommon Knowledge (2023)
Monday Aug 28, 2023
Monday Aug 28, 2023
In den letzten Jahren gab es bemerkenswerte Entwicklungen im Bereich des Machine Learning und der sogenannten künstlichen Intelligenz. Wie bei fast allen neuen Technologien, sind sehr nützliche aber auch sehr gefährliche Anwendungen zu erwarten. In dieser Episode spreche ich über drei Aspekte, die mit neuen KI-Tools auf uns zu kommen, oder bereits verfügbar sind:
- Beantwortung von Fragen / Recherche
- Generierung von Text mit Large Language Models (gegebenenfalls ergänzt mit Sprachsynthese)
- Generierung oder Manipulation von Bildern und Videos
Ich habe mich mit Aspekten dieses Themas schon vor mehr als zwei Jahren in Episode 43: Deep Fakes beschäftigt. Diese Episode ist heute noch aktueller als damals.
Die Frage ist: welchen Inhalten im Internet können wir in Zukunft trauen? Und in dieser Episode liegt der Fokus auf der Frage: was bedeutet diese Entwicklung für Personen und Organisationen, die Inhalte erzeugen und anbieten, im Besonderen für Podcasts sowie Konsumenten dieser Produkte.
Welche Verantwortung haben wir als Produzenten?
Wie können wir Konsumenten vertrauen in unsere Inhalte geben, in einer Welt, die immer mehr von generierten und manipulativen Artefakten geflutet sein wird? Wie kann also mündigen Konsumenten geholfen werden, die Spreu vom Weizen zu trennen und dies ohne Schichten von Zensur einzuführen.
»Nicht zu viel Macht — das ist die Grundidee der Demokratie. Die Macht muss verteilt sein, sodass nicht zu viel Macht in einer Hand ist.«, Karl Popper
Wie verändert sich möglicherweise das Verhältnis zu den Konsumenten?
In dieser Episode diskutiere ich zwei wesentliche Aspekte:
- Bin ich die Person (oder Organisation), die ich behaupte zu sein, beziehungsweise wer sind die Personen, die an einer Episode teilnehmen?
- Woher stammen die Materialien (z.B. Texte, Bilder, Videos), die ich auf meinem Kanal präsentiere
Wie können wir auch als »kleine« und unabhängige Produzenten in Zukunft das Vertrauen in unser Produkt gewährleisten, ohne uns von wenigen Medien-Monopolisten abhängig zu machen und warum spielen gerade Podcasts eine so wesentliche Rolle in der heutigen, und hoffentlich auch zukünftigen Medienlandschaft?
Zuletzt mache ich meinen Produktionsprozess transparent:
- Vorbereiten von Episoden (Recherche, Inhalte zusammenstelle)
- Aufnahme
- Nachbearbeitung (Post-Production)
- Wie werden verschiedene Artefakte erstellt (Audio-File, Shownotes, Transkripte)
- Werbung und Interaktion mit Hörern
An welchen Stellen wird mit welcher Art von Tools gearbeitet?
Wie können wir als unabhängige Podcaster in der Zukunft gewährleisten, das Vertrauen der Hörer nicht zu verlieren und gleichzeitig nicht unter die Räder einzelner Medien-Monopolisten zu geraten?
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 61: Digitaler Humanismus, ein Gespräch mit Erich Prem
-
Episode 43: Deep Fakes: Wer bist du, und – was passiert da eigentlich?
-
Episode 2: Was wissen wir?
Fachliche Referenzen
Monday Jul 17, 2023
076 — Existentielle Risiken
Monday Jul 17, 2023
Monday Jul 17, 2023
»Wird die Zivilisation mit einem Knall oder einem Winseln untergehen? Der aktuelle Trend ist ein Winseln in Erwachsenen-Windeln.«, Elon Musk
Existentielle Risiken sind ein Thema, das in diesen Podcast passt, auch weil es eine interessante historische und zukünftige Dimension hat. Zur Zukunft später, zuerst zur Vergangenheit: Zwar gab es auch in der Vergangenheit für die Menschheit oder den Planeten existentielle Risiken, etwa Asteroiden-Einschläge, aber es waren Risiken, die der Mensch weder beeinflussen noch herbeiführen konnte. Die Wirkmacht der Menschen war über den größten Zeitraum menschlicher Geschichte eine lokale.
Das ändert sich zunächst langsam mit der industriellen Revolution und dann schlagartig ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Atomwaffen waren die erste Technologie, die ganz offensichtlich gezeigt haben, dass wir nun in der Lage sind nicht nur ganze Landstriche zu verwüsten, sondern tatsächlich die ganze Welt.
"Wir waren immer verrückt, aber wir hatten nicht die Fähigkeiten die Welt zu zerstören. Jetzt haben wir sie.", Nassim Taleb
Was sind existentielle Risiken? Versuch einer Definition:
»Ein 'existenzielles Risiko' (X-Risiko) ist ein Ereignis, das die Möglichkeiten der Menschheit dauerhaft und drastisch einschränken könnte, indem es zum Beispiel das Aussterben der Menschheit verursacht«, CamXRisk
Meine erweiterte Definition:
Ein existenzielles Risiko für die Menschheit ist eine Bedrohung, die große Teile des Planeten oder menschlicher Strukturen zerstört oder große Teile der Menschheit in einem Ausmaß oder auf eine Weise töten könnte, dass eine Wiederherstellung eines modernen Gesellschaftsniveaus innerhalb eines Zeitrahmens von Jahrhunderten nicht wahrscheinlich ist.
Macht das Auflisten existentieller Risiken, das Ranken Sinn? Mit welchen Einschränkungen, unter welchen Rahmenbedingungen? Ist es überhaupt möglich, die Risiken sinnvoll einzuschätzen und wovon hängt das Risiko ab?
»Eine Pandemie besteht aus einem neuen Erreger und den sozialen Netzwerken, die er angreift. Wir können das Ausmaß der Ansteckung nicht verstehen, wenn wir nur das Virus selbst untersuchen, denn das Virus wird nur so viele Menschen infizieren, wie es die sozialen Netzwerke zulassen. Gleichzeitig legt eine Katastrophe die Gesellschaften und Staaten offen, die sie angreift.«, Niall Ferguson
Daher sind die Auswirkungen von Effekten komplexer Bedrohungen oft auch schwer einzuschätzen. So sind etwa trotz Klimawandel:
»Die jährlichen Todesfälle durch Tornados in den USA sind seit 1875 um mehr als das Zehnfache zurückgegangen« […]
"Die Zahl der wetterbedingten Todesfälle ist in den letzten hundert Jahren drastisch zurückgegangen, obwohl sich die Erde um 1,2 °C erwärmt hat; sie sind heute etwa 80-mal seltener als noch vor einem Jahrhundert. […]
Das liegt vor allem an der besseren Verfolgung von Stürmen, dem besseren Hochwasserschutz, der besseren medizinischen Versorgung und der verbesserten Widerstandsfähigkeit der Länder, die sich entwickelt haben. Ein aktueller UN-Bericht bestätigt den Trend der letzten zwei Jahrzehnte", Steven Koonin
Anhand von drei existentiellen Bedrohungen stelle ich die Schwierigkeit dar, Risiken, Auswirkungen und Rankings zu beurteilen: Atomwaffen, Bevölkerungskollaps und Klimawandel.
Welche Rolle spielen systemische Effekte? Wechselbeziehungen zwischen Bedrohungen, beziehungsweise sind einzelne Risiken als Folge anderer zu sehen? Wie damit umgehen?
»Für jede mögliche Katastrophe gibt es mindestens eine plausible Kassandra. Nicht alle Prophezeiungen können beherzigt werden. In den letzten Jahren haben wir vielleicht zugelassen, dass ein Risiko - nämlich der Klimawandel - unsere Aufmerksamkeit von den anderen ablenkt«, Niall Ferguson
Das Leben in einer modernen, komplexen Gesellschaft — im Anthropozän — hat positive Auswirkungen: wir sind weiter von der Natur entfernt, sind sicherer und haben einen viel höheren Lebensstandard als je zuvor. Wir sterben nicht mehr im Einklang mit der Natur, wie Hans Rosling es ausdrückte. Aber sie hat eben auch negative Auswirkungen, die leider existentielle Risiken darstellen können.
Die Konzentration auf die Eindämmung eines einzigen Risikos (z. B. des Klimawandels) kann dazu führen, dass wir andere Risiken unterschätzen oder sogar andere Risiken dramatisch erhöhen.
»Wir sind immer gut vorbereitet auf die falsche Katastrophe. [...] Aber die Geschichte warnt uns, dass man nicht die Katastrophe bekommt, auf die man sich vorbereitet.«, Niall Ferguson
Wie können wir aber mit einer Vielzahl an miteinander verknüpften Risiken umgehen? Was könnten wir unternehmen um unsere Gesellschaft in einem breiteren Sinne resilienter, widerstandsfähiger zu machen? Welche Fehler haben wir in der Covid-Pandemie gemacht und was können wir daraus lernen?
Und nicht zuletzt — was ist die Liste der existentiellen Bedrohung in meiner Reihenfolge (die unbedingt kritisiert werden sollte!):
- Atomwaffen
- Natürliche oder künstlich erzeugte Pathogene (»Demokratisierung« der Wissenschaft)
- Zusammenbruch kritischer Infrastrukturen (Energie, Finanz, IKT, ...)
- Solarer Supersturm (auch Carrington-Ereignis genannt)
- Außer Kontrolle geratene Automatisierung/Robotik ("AI", aber auf einer allgemeineren Ebene)
- Klimawandel (insbesondere für den Fall, dass Kipppunkte und ein unkontrollierbarer Klimawandel auftreten)
- Nanotechnologie oder andere Möglichkeiten zur drastischen Veränderung von Herstellung und Chemie, die zu Nanomaschinen führen
- Bevölkerungskollaps beziehungsweise starkes globales Ungleichgewicht
- Ökosystemkollaps mit »Domino-Effekten«
- Unbekannte Unbekannte (»Unknown unknowns«)
- Grüne Gentechnik die außer Kontrolle gerät
- Politischer/religiöser Extremismus
- Asteroideneinschlag auf der Erde
- Geoengineering (auch als Konflikt-Auslöser, -Verstärker)
Diese Liste ist als Anregung gedacht, dieses Thema zu diskutieren. Ist die Reihenfolge richtig? Wahrscheinlich nicht. Fehlt etwas?
Die Kluft zwischen Nutzen und Katastrophe scheint durch moderne Technologie immer schärfer zu werden. Wir sind also gut beraten, diese Bedrohungen ernst zu nehmen. Aber um einen Punkt zu wiederholen: es ist ein großer Fehler, sich hauptsächlich auf eine Bedrohung in dieser Liste zu konzentrieren, welche auch immer das sein mag, und zu glauben, wir könnten so unser gesellschaftliches Risiko verringern.
Das werden wir nicht.
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 74: Apocalype Always
-
Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
-
Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
-
Episode 55: Strukturen der Welt
-
Episode 51: Vorbereiten auf die Disruption? Ein Gespräch mit Herbert Saurugg und John Haas
-
Episode 45: Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?
-
Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
-
Episode 37: Probleme und Lösungen
-
Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
-
Episode 27: Wicked Problems
-
Episode 21: Der Begriff der Natur – oder: Leben im Anthropozän
Fachliche Referenzen
- Cambridge Existential Risks Initiative (CERI)
- Hans Rosling, Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, Ullstein (2019)
- Niall Ferguson, Doom, The Politics of Catastrophe, Penguin (2022)
- Steven E. Koonin, Unsettled, BenBella Books (2021)
- Climate Change Debate: Bjørn Lomborg and Andrew Revkin | Lex Fridman Podcast #339
- Niall Ferguson on disaster preparation, Triggernometry
- Near Miss: The Solar Superstorm of July 2012, NASA (2014)
- Lloyds, Solar storm risk to the North American electric grid (2013)
- The Economist Briefing, It’s not just a fiscal fiasco: greying economies also innovate less (2023)
- The five biggest threats to human existence, The Conversation (2014)
- Elon Musk on artificial intelligence, Conversation with Tucker Carlson (2023)
Thursday Jun 08, 2023
074 — Apocalypse Always
Thursday Jun 08, 2023
Thursday Jun 08, 2023
Ich habe mich schon in früheren Episode mit der Frage auseinandergesetzt, wie man in schwierigen, potentiell kritischen Situationen entscheiden und handeln soll. Kürzlich bin ich auf einen Artikel des australischen Philosophen Michael Barkun, Thinking About The End in Contemporary America aus dem Jahr 1983 aufmerksam geworden.
Ich lese ältere Artikel der 50er bis 80er Jahre mit immer größerem Interesse, weil ich auch hier feststelle, dass viele der Beobachtungen und Erkenntnisse dieser Zeit, obwohl sie 40-70 Jahre zurückliegen, immer noch zutreffen und diese Artikel häufig viel besser geschrieben sind als heutige. Die fundamentalen Dinge ändern sich offenbar doch nicht ganz so schnell, wie von vielen behauptet...?
Diese Episode wird eine kurze Reflexion über Katastrophismus und apokalyptische Prognosen und Aktivisten sein. Wie immer bei solchen Reflexionen, freue ich mich auf kritische Zuschriften.
In dieser kurzen Reflexion stelle ich die Frage, woher Katastrophismus und Untergangsglaube kommt, dass er nahezu eine Konstante der menschlichen Geschichte ist, aber auch, dass wir deutliche Unterschiede im 20. und 21. Jahrhundert wahrnehmen, nämlich eine Verschiebung von religiösen zu säkularen Ideen.
»Speculations about the end of history form an almost unbroken chain over two and a half millenia«, Michael Barkun
Auch in früheren Gesprächen, etwa mit Prof. Achim Landwehr haben ich sehr ähnliche Aspekte bereits thematisiert. Ein Nachhören dieser älteren Episoden zahlt sich aus:
»Wenn Apokalypse nie ausstirbt, dann heißt das aber auch: Die Welt geht nie unter. Das ist dann vielleicht die positive Konsequenz, die man daraus ableiten könnte.«
Ich zitiere später in der Folge den britischen Philosophen John Gray, der sich in seinem hervorragenden Buch Black Mass sehr kritisch mit milleniaristischen und utopistischen Strömungen auseinandersetzt:
»The world in which we find ourselves at the start of the new millennium is littered with the debris of utopian projects. […] The alteration envisioned by utopian thinkers has not come about, and for the most part their projects have produced results opposite to those they intended.«
Die Tatsache, dass wir die Trümmer vergangener Utopien links und rechts um uns herum sehen, hindert aber neue Utopisten nicht daran wieder ihre reine Lehre allen anderen aufzwingen zu wollen:
»The use of inhumane methods to achieve impossible ends is the essence of revolutionary utopianism.«
Wir erleben gerade eine Vielzahl an katastrophistischen, fast religionsartigen Bewegungen wie etwa Just Stop Oil, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation. An dieser Stelle Screenshots von zwei Webseiten, die im Podcast erwähnt werden:
Extinction Rebellion
Letzte Generation
Das Pamphlet endet mit den bescheidenen Worten:
»Und wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte.«
Am Ende stelle ich die Frage, wie wir als Gesellschaft nun mit solchen apokalyptischen Vorhersagen und kultartigen Strömungen umgehen sollen, besonders in Bezug auf Klimawandel, um den sich die meisten heute drehen. Diese Verengung ist für sich genommen bemerkenswert, denn denkt man über existentielle Bedrohungen der Menschheit nach, fallen mir ohne lange Überlegungen fast ein Dutzend Bedrohungen ein, der Klimawandel ist da nur eine unter vielen.
Dies merkt auch der britischen Historiker Niall Ferguson an; aus seinem ebenfalls sehr lesenswerten Buch Doom zitiert:
“For every potential calamity, there is at least one plausible Cassandra. Not all prophecies can be heeded. In recent years we may have allowed one risk — namely climate change — to draw our attention away from the others.”
Dazu kommt noch die wesentliche Frage, ob diese Probleme, die hier angesprochen werden, überhaupt eine Lösung in einem traditionellen Sinn hat, wie diese Aktivisten behaupten. Dazu empfehle ich die Episode Probleme und Lösungen nachzuholen.
“There are no solutions, only tradeoffs.”, Thomas Sowell
Am Ende noch ein Zitat aus dem herausragenden Buch von Jacob Bronowski aus dem Jahr 1956, das im Grunde meine Episode über den Irrtum der »Follow the Science« vorwegnimmt (allerdings bin ich erst nach meiner Episode auf dieses Buch gestossen):
»There is no more threatening and no more degrading doctrine than the fancy that somehow we may shelve the responsibility for making the decisions of our society by passing it to a few scientists armoured with a special magic.«
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 76: Existentielle Risiken
-
Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
-
Episode 60: Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
-
Episode 59: Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
-
Episode 51: Vorbereiten auf die Disruption? Ein Gespräch mit Herbert Saurugg und John Haas
-
Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
-
Episode 47: Große Worte
-
Episode 46: Activism, a Conversation with Zion Lights
-
Episode 45: Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?
-
Episode 39: Follow the Science?
-
Episode 37: Probleme und Lösungen
Fachliche Referenzen
- Apocalypse Always, Blog Artikel (2023)
- Existential Threats, Blog Article (2023)
- Michael Barkun, Syracuse University
- Michael Barkun, Thinking about the end in contemporary America, Soundings: An Interdisciplinary Journal Vol. 66, No. 3 (Fall 1983), pp. 257-280
- Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, Bertelsmann (2016)
- John Gray, Black Mass, Penguin (2008)
- Just Stop Oil
- Extinction Rebellion, Citizens Assembly, Climate Change (2021)
- Letzte Generation, Berlin zum Stillstand bringen (April 2023)
- Niall Ferguson, Doom, Deutsche Verlagsanstalt (2021)
- Jacob Bronowski, Science and Human Values, Faber and Faber (1956)
- Michael Crichton, Why Speculate? (2002)
Thursday Mar 30, 2023
071 — Stagnation oder Fortschritt — eine Reflexion an der Geschichte eines Lebens
Thursday Mar 30, 2023
Thursday Mar 30, 2023
Ich habe vor drei Jahren einige Episoden (16 und 18) aufgenommen, bei denen ich die Frage stelle, ob wir tatsächlich in einer Zeit bahnbrechender Innovationen oder eher in einer der Stagnation leben. Ich möchte jetzt das Thema nach dieser Zeit nochmals aufgreifen, hinterfragen und vielleicht mit neuem Kontext versehen. Bin ich richtig gelegen?
Ich werde dies mit einer Geschichte beginnen, mit der Geschichte zweier Brüder, Paul (1894 – 1981) und Attila Hörbiger (1896 – 1987). Beide sind in der Mitte der 1890er Jahre geboren und in den 1980er Jahren verstorben. Sie haben also einen großen Teil des 20. Jahrhunderts erlebt und sind Zeugen des Umbruchs der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Attila Hörbiger als bei den Salzburger Festspielen 1947 (Wikimedia Commons)
Ich erzähle eine kurze Geschichte ihres Lebens, wobei nicht im Detail ihr Lebensweg im Zentrum steht, sondern vielmehr am Beispiel ihres Lebens, in welcher Welt sie aufgewachsen sind, gearbeitet, ihre Familien gegründet und ihre letzten Lebensjahre verbracht haben. Ihre Geschichte dient als greifbares Beispiel, welche Veränderungen wir als Gesellschaft erlebt haben, und als Anregung darüber nachzudenken, was vor und nach dem Tod der Brüder passiert ist.
Was also bedeutet Fortschritt im Rahmen eines Lebens? Und, vor allem im Rahmen eines Lebens, das sich von der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre gezogen hat im Vergleich etwa zu meiner bisherigen Lebenszeit die von den 1970er bis heute reicht?
Erleben wir, wie ich in den älteren Episoden diskutiert habe, seit den 1970er Jahren eine Stagnation oder tatsächlich — wie so häufig behauptet — enorme Beschleunigung technischer und gesellschaftlicher Fortschritte?
Sind alle Bereiche von Wissenschaft und Technik gleich zu betrachten? Wie ist die Situation in unterschiedlichen Regionen der Welt?
»Von Anwälten und Ökonomen über Programmierer und Finanz-Manager gilt, deren unproportionaler Gewinn ist für Arbeit, die völlig von den materiellen Realitäten der Welt entkoppelt sind. […]
sie laufen herum mit der neuen Tech—Typen, die in deren Naivität jeden technischen Wandel mit kürzlichen Entwicklungen in Elektronik und vor allem Mobiltelefonen vergleichen«, Vaclav Smil
Was könnte die nähere und mittlere Zukunft bringen? Weitere Stagnation? Ein Durchstarten, weil wir die letzten Jahrzehnte genutzt haben, Know-How aufzubauen, das jetzt erst Anwendung findet? Ein Steampunk-Szenario, wo Versagen in verschiedenen Bereichen und Regionen (die sogar vor die 1960er Jahre zurückfallen) einem enormen Wandel in anderen gegenüberstehen?
Wer wird diese Entwicklungen treiben? Die bisher bekannten oder eher atypische Akteure?
Was sind Gründe für die aktuelle Situation, was können und sollten wir ändern um die Entwicklungen im Griff zu halten?
»Der Spalt zwischen Wunschdenken und Realität ist enorm.«, Vaclav Smil
Referenzen
andere Episoden
-
Episode 65: Getting Nothing Done — Teil 2
-
Episode 64: Getting Nothing Done — Teil 1
-
Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
-
Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
-
Episode 16: Innovation und Fortschritt oder Stagnation?
-
Episode 15: Innovation oder Fortschritt?
fachliche Referenzen
- Vaclav Smil, How the World Really Works, Penguin (2022)
- Elon Musk Zitat: Alex Epstein, Fossil Future,Portfolio (2022)
- Kevin Esvelt, Delay, Detect, Defend: Preparing for a Future in which Thousands Can Release New Pandemics (2022)
- USAID Announces New $125 Million Project To Detect Unknown Viruses With Pandemic Potential
- Sam Harris, Recipes for Future Plagues, Conversation with Rob Reid and Kevin Esvelt
- »Heiße Dusche«, Tim Urban with Lex Fridman (2023)
- Brian Potter, When did New York start building slowly? (2023)
Monday Feb 13, 2023
069 — Complexity in Software
Monday Feb 13, 2023
Monday Feb 13, 2023
Ich möchte Sie auf eine Vorlesung hinweisen, die Sie im Zukunft-Denken YouTube-Kanal finden. Der Titel ist: “Complexity in Software — Handle with Care”
Die Vorlesung ist in Englisch und hat Software-Entwicklung und Management im Fokus, betrachtet aber das Thema Komplexität in einem breiteren Sinne und ist insofern auch für nicht-Software-Interessierte von Relevanz.
Wenn Sie an Software wenig interessiert sind — das Video hat Kapitelmarken, überspringen Sie eventuell: “Why is Complexity in Software a Problem?”
Was sind die Themen die in der Vorlesung behandelt werden:
- Was ist Komplexität?
- Was sind zahme und wicked problems?
- Was sind Attraktoren in komplexen dynamisch stabilisierten Systemen?
- Warum wird das Zusammenspiel von Software und anderen gesellschaftlichen Services immer kritischer?
- Was ist Komplexität in Software? Was sind treibende Faktoren, wie kann man Komplexität reduzieren?
- Warum ist Komplexität in Software überhaupt ein Problem?
- Was ist Emergenz, was sind Beispiele für emergentes Verhalten?
Und der letzte Teil der Vorlesung ist relativ generisch in dem Sinne, dass ich versuche zu beschreiben:
- Wie reagieren Menschen in Systemen auf komplexe Probleme
- Welche Reaktionen sinnvoll sein können, unter welchen Umständen und welche nicht zielführend sind
- Welche neuen Management-Paradigmen sollte man überlegen
- Welchen Einfluss spielen Metaphern in unserem Blick auf die technische Welt?
Zum Abschluss führe ich noch kurz in eine für mich sehr faszinierende Idee von Stewart Brand ein, die er Pace Layering nennt. Eine Form von Schichtenmodell der Welt, die unterschiedliche Geschwindigkeiten gegeneinander darstellt und was für uns als Gesellschaft aber auch Techniker und Manager daraus folgt.
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 64: Getting Nothing Done
- Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg
- Episode 40: Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 35: Innovation oder: Alle Existenz ist Wartung?
- Episode 31: Software in der modernen Gesellschaft – Gespräch mit Tom Konrad
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 19: Offene Systeme
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
Fachliche Referenzen
- siehe YouTube-Video-Beschreibung
Monday Nov 28, 2022
Monday Nov 07, 2022
064 — Getting Nothing Done — Teil 1
Monday Nov 07, 2022
Monday Nov 07, 2022
Titel der heutigen Episode ist »Getting Nothing Done« — warum die höchst-technisierte Gesellschaft der Menschheit (jedenfalls in den Industrienationen) bei wesentlichen Infrastrukturprojekten kaum mehr etwas auf die Reihe bekommt. In dieser Episode möchte ich eine Diskussion über ein sehr wichtiges Thema anstossen, über das ich in der letzten Zeit intensiv nachdenke.
Teilen Sie meine Ansichten, oder nicht? Hat diese Episode Sie zum Nachdenken angeregt? Schreiben Sie mir!
Es gibt auch eine englischsprachigen Artikel (mit Illustrationen) von mir zu diesem Thema in den Referenzen.
Beschäftigt man sich ein wenig mit der Vergangenheit, ist es geradezu atemberaubend, welche — zur damaligen Zeit noch neue — Infrastrukturen wir in kurzer Zeit umsetzen konnten — vom Panamakanal über die Wiener Hochquellwasserleitung bis zum Messmer Plan in Frankreich.
In den letzten Jahren erleben wir allerdings, so mein Argument, geradezu eine bleierne Stagnation, und dies nicht bei »innovativen« Projekten, sondern bei Projekten, die wir hunderte oder tausende Male in der Vergangenheit gebaut haben: Konzerthallen, Brücken, Eisenbahnstrecken, Flughäfen, Kernkraftwerke, Tunnel.
»I contrast the now common belief in an ever-faster pace of innovation with the many unmistakable signs of technical stagnation and slowing advances: there are limits to everything, and invention and innovation cannot be exceptions.«, Vaclav Smil
Dieses Problem beschränkt sich nicht auf die »physische« Welt, sondern findet sich in ähnlicher Weise in der virtuellen Welt der Software. Dazu kommt, dass Software/IKT und physische Infrastruktur in immer stärkerer Weise miteinander verbunden sind, was die Problemlage verschärft.
»Die niedrig hängenden Früchte sind größtenteils gepflückt worden, zumindest im Moment. [...] Die Große Stagnation hält an und verschlimmert sich sogar noch, angetrieben von einer zunehmend dysfunktionalen Politik.«, Tyler Cowan
Im ersten Teil versuche ich die Problemlage und Kontext darzustellen und im zweiten Teil Ursachen zu untersuchen, die in fünf Gruppen fallen:
- Enttäuschung über die Digitalisierung und allgemeine Stagnation in Forschung und Technologie
- Regulierung, Bürokratie und Fokusverlust
- Furchtgetriebenes Management und Verrechtlichung der Gesellschaft
- Fokus
- Spezifischer Verlust der Fähigkeit, große Projekte zu realisieren
Zuletzt gebe ich mögliche Pfade an, wie die Situation (in Europa) verbessert werden könnte. Der wesentlichste Aspekt scheint mir aber zu sein, diese Problematik breiter zu diskutieren und zur Kenntnis zu nehmen, und sich nicht in Hype- und Innovations-Marketing-Gerede zu verlieren.
»Der Forschungsaufwand steigt erheblich, während die Forschungsproduktivität stark abnimmt. [...] es dauert etwa 13 Jahre, bis die Forschungsproduktivität um die Hälfte sinkt. Oder anders ausgedrückt: Die Wirtschaft muss ihre Forschungsanstrengungen alle 13 Jahre verdoppeln, nur um die gleiche Gesamtwachstumsrate aufrechtzuerhalten.«, Nicholas Bloom
Der Fokus reicht dabei von erheblichen Qualitätsproblemen in der Wissenschaft bis zu Regulierung und Management-Prinzipien.
Weiter geht es mit Teil 2 hier.
Referenzen
Andere Episoden
- Englischer Artikel im (an)sichten Blog
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
- Episode 23: Frozen Accidents
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
- Episode 31: Software in der modernen Gesellschaft – Gespräch mit Tom Konrad
- Episode 38: Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
- Episode 40: Software Nachhaltigkeit, ein Gespräch mit Philipp Reisinger
- Episode 47: Große Worte
- Episode 59 und 60: Wissenschaft und Umwelt
Fachliche Referenzen
- Lee Vinsel, The Innovation Delusion, Currency (2020)
- Years of Delays, Billions in Overruns: The Dismal History of Big Infrastructure, New York Times (2021)
- »Software Crisis«: Software Engineering, Report on a conference sponsored by the NATO Science Committee, Garmisch, Germany, 7th to 11th October 1968
- »Facebook [ist] als datenverarbeitender Apparat so komplex, dass er sich dem Verständnis von innen heraus entzieht« (2022)
- Massive Datenpanne bei Uber: »Sie haben so vollen Zugriff auf Uber« (2022)
- »Ransomware legt US-Pipeline lahm« (2021)
- Syniverse verarbeitet jährlich Milliarden von Textnachrichten, und Hacker hatten jahrelang unbefugten Zugriff auf das System." (2021)
- »Ein Computerhacker hat sich Zugang zum Wassersystem einer Stadt in Florida verschafft und versucht, eine "gefährliche" Menge einer Chemikalie hineinzupumpen, sagen Beamte. [...] Aber ein Arbeiter entdeckte es zufällig und machte die Aktion rückgängig.« (2021)
- Lidl Cancels SAP-introduction after having sunk 500 Million into it
- Robert Gordon, Is US economic growth over? Faltering innovation confronts the six headwinds, Working Paper 18315 (2012)
- Tyler Cowan, The Great Stagnation, Dutton (2011)
- Eric Weinstein and Peter Thiel, The Portal #001 (2019)
- David Graeber im Gespräch mit Peter Thiel "Where did the Future go?" (2020)
- Brian Potter, When did New York start building slowly? (2023)
- Nassim Taleb, Skin in the Game, Penguin (2018)
- Nassim Taleb, What do I mean by Skin in the Game? My Own Version, Medium (2018)
- Gerd Gigerenzer, Risiko, Bertelsmann (2013)
- Marc Andreessen im Gespräch mit Sam Harris, Making Sense #290 (2022)
- David Graeber, The Utopia of Rules, Melville House (2016)
- David Graeber, Bullshit Jobs, Penguin (2019)
- Lukas Feiler erklärt in einer Podiumsdiskussion im Gespräch mit mir
- Vaclav Smil, Invention and Innovation: A Brief History of Hype and Failure, MIT Press (2023)
Wednesday Jul 27, 2022
060 — Wissenschaft und Umwelt — Teil 2
Wednesday Jul 27, 2022
Wednesday Jul 27, 2022
Shownotes siehe Teil 1.
Thursday Jul 07, 2022
059 — Wissenschaft und Umwelt — Teil 1
Thursday Jul 07, 2022
Thursday Jul 07, 2022
Schon vor ca. 20 Jahren habe ich Vorträge und Seminare zum Thema Wissenschaft und Umwelt gehalten. Vieles von dem, was ich damals gesagt habe, hat sich bis heute (leider) bestätigt. Diese Episode ist so etwas wie ein Frühjahrsputz für mich:
Wie steht die Einordnung der verschiedenen Ideen und Ansätze der Umweltbewegungen mit-, gegen- und zueinander? Wie steht es zwischen Theorie, Ideologie und Praxis? Werten und Aktivität? Welche Rolle spielt Wissenschaft?
Wo sehen wir begriffliche Verwirrungen? Wie finden wir den Weg von, aber auch der Spalt zwischen Ethik und Praxis?
Diese Episode wird die Themen keinesfalls abdecken, ich sehe es eher als ein Aufwerfen von Bällen, die zum Teil in früheren Episoden, zum Teil in späteren Episoden wieder aufgefangen und genauer betrachtet wurden oder werden sollten.
Welche Ansätze und Ideologien gibt es in der Umweltbewegung?
1. De-Growth (Wachstumskritik)
Wachstumskritik hat eine lange und wechselhafte Tradition, die wenigstens auf Thomas Robert Malthus um 1800 zurückgeht und immer wieder neu interpretiert wurde und wird. Eine moderne Definition der Ziele ist:
»Gerechtes Herunterskalieren von Produktion und Konsum, der das menschliche Wohlbefinden und die ökologischen Bedingungen verbessert«
Wir finden in dieser Gruppe leider aber auch eine nicht zu geringe Zahl an Extremisten, denen auch die radikale Reduktion der Menschheit wünschenswert erscheint um das Ziel zu erreichen, etwa:
»Until such time as Homo sapiens should decide to rejoin nature, some of us can only hope for the right virus to come along.«, David Gräber
2. »Business as Usual«
Wenn wir ehrlich sind, interessiert das Thema Umwelt im Alltag immer noch fast niemanden, jedenfalls dann nicht, wenn es über das Ausrollen von Wohlfühltechnologien und -ideen geht, die dem Einzelnen (scheinbar) wenig Kosten verursachen aber ein gutes Gefühl geben, etwas geleistet zu haben:
»Das Ausrollen von ineffektiven Wohlfühl-Technologien ist dreifach schlecht — abgesehen vom offensichtlichen, dass sie ineffektiv sind, führt es auch dazu, dass der Druck nachlässt etwas wirkungsvolles zu tun, weil ja gehandelt wird, und vielleicht das schlimmste: es lenkt mögliche Ressourcen weg von wichtigeren Bedürfnissen.«, Steven Koonin
3. Eco-Modernismus
Dder mittlerweile 101 jährige James Lovelock in seinem letzten Buch Novacen:
»Das Bestreben nach einer besseren Zeit vor dem Anthropozän ist eine Phantasie. Zunächst einmal, weil es nie eine goldene Zeit frei von Wünschen und Leid gab und zweitens, weil wir, um dorthin zurück zu gelangen, die offensichtlichen Vorteile der Moderne rückgängig machen müssten«
Beim Eco-Modernismus steht der Mensch im Zentrum der Veränderung aber auch der Verantwortung; Reduktion des menschlichen Einflusses auf die Natur durch Entkopplung, Intensivierung und Innovation sind der Anspruch:
»Intensivierung vieler menschlicher Tätigkeiten — im besonderen Landwirtschaft, Energiegewinnung, Forstwirtschaft und Siedlung — mit dem Ziel, weniger Land zu nutzen und weniger in die natürlichen Welt einzugreifen ist der Schlüssel, menschliche Entwicklung von den negativen Einflüssen auf die Umwelt zu entkoppeln«
Eco-Modernisten lehnen radikale Wachstumskritik ab. Selbst Jorgen Randers, der Mitautor der »Grenzen des Wachstums« von 1972, schreibt vor wenigen Jahren:
»Der fundamentale Grund, warum die meisten Menschen Wachstum bevorzugen ist, dass es der einzige Weg ist, den moderne Gesellschaften gefunden haben um drei Probleme effektiv zu lösen: Armut, Arbeitslosigkeit und Pensionen«
Aber können wir glauben, dass wir die Herausforderungen der Zeit alleine mit Technik und Wachstum lösen können? Wie lange kann das gut gehen?
4. Singularisten/Eskapisten & Post-Humanisten
Die Insel oder das Landgut in Neuseeland reicht für viele Milliardäre nicht mehr aus, um sich vor den Katastrophen der Welt zu verstecken. Heute muss es der Mars, Raumstationen oder gar das Verlassen des Sonnensystems sein. Jedenfalls ist das die Vision einiger Vertreter einflussreicher US-Eliten.
Sollte das doch nicht klappen, können wir uns ja in Computer hochladen und virtuell weiterleben. Oder übergeben wir als Menschen gar den Stab an intelligente Maschinen? Wer glaubt an diese Phantasien, beziehungsweise hält sie für eine wünschenswerte Zukunft?
***
Im zweiten Teil dieser Episode stelle ich die Frage, was Philosophie und Ethik zu diesem Themenbereich zu sagen hat? Wer steht eigentlich im Zentrum der Betrachtung, Mensch oder Natur? Sollten wir Deep oder Shallow Ecology betreiben? Wem sollen wir folgen, Deontologen oder Utilitaristen und was ist von der »PAT« Formel zu halten?
Haben die Wachstumskritiker bisher mit ihren Vorhersagen recht behalten, und selbst wenn nicht — was bedeutet dies für die Zukunft? Außerdem: nicht nur die Interessen westlicher Industrienationen zählen:
»Diese verschiedenen Ansätze haben ein gemeinsames Design, das ökonomische Ziel, die Kosten des Klima-Aktivismus zu sozialisieren und die Armen die Rechnung für die Reichen zahlen zu lassen.« und
»Die Weiterführung globaler Armut und niedriger Einkommen kann nicht die Klima-Strategie der reichen Welt sein.«, Samir Saran
Welche Rolle spielt Ideologie und wie ist die Lücke zwischen Ideologie, Wissenschaft und tatsächlicher Umsetzung zu überbrücken. Gerade unter Aktivisten erleben wir oft ein hohes Maß an Motivation, Kritik an Missständen aber nur sehr selten kohärente und realistische Ideen, wie die Situation verbessert werden kann.
»Es zeigt sich, dass in den fortgeschrittensten Phasen der Idiotie der Ideenmangel mit Ideologieüberschuss kompensiert wird.«, Carlos Ruiz Zafon, eine Figur in Das Spiel der Engel
Oftmals scheint die Medizin des Aktivismus schlimmere Folgen zu haben als die Krankheit — helfen uns die zahlreichen NGOs also, das Problem zu lösen, oder richten sie oftmals mehr Schaden als Nutzen an?
»Tausende Kuhhörner, vergraben auf einem Acker, sollen für eine gute Ernte sorgen. Für Demeter-Landwirte ein gängiges Ritual. Ein Verband zwischen Biolandwirtschaft und Esoterik.«, ZDF-Bericht zur Bio-Landwirtschaft zwischen Ökologie und Esoterik
Dass es nicht nur um nutzlose Esoterik geht, sondern dass inkohärente Öko-Ideen auch massive Schäden anrichten können, zeigt der radikale Versuch in Sri Lanka auf eine vermeintlich grüne Landwirtschaft umzusteigen:
»Die Befürworter von Bio-Landbau, überzeugt von naturalistischen Fehlschlüssen und argwöhnisch über moderne landwirtschaftliche Forschung, können keine plausible Lösung anbieten. Was sie anbieten, wie das Disaster in Sri Lanka offen gelegt hat, ist Elend.«, Ted Nordhaus
Das Experiment in Sri Lanka wurde nach wenigen Monaten beendet, weil die Folgen verheerend waren.
Ein anderes Beispiel: Greenpeace protestiert zur gleichen Zeit in England gegen ein Solarkraftwerk und in Frankreich gegen Kernkraft. Wer kann das rational nachvollziehen und unterstützen?
Wenig hinterfragte Ideologisierung finden wir aber auf allen Seiten. Wie kommen wir aus diesem Patt heraus? Kann es gelingen, die vernünftigen Ideen aller Seiten zusammenführen und die wenig hilfreichen (aber lauten) Vertreter beider Seiten zu ignorieren? Es gibt gute Beispiele von Aktivisten, die tatsächlich zuhören und ihre Meinung ändern, wenn sie von besseren Argumenten überzeugt werden, wie auch Episode 46 mit der Aktivistin Zion Lights zeigt! Nehmen wir uns diese zum Vorbild.
Zum Abschluss: eine ganze Reihe von Begriffen tauchen in diesem Kontext immer wieder auf, die zumindest hinterfragt werden sollten, eine kleine Auswahl diesmal:
- Wissenschaft und Szientismus
- Probleme vs. Dilemmata
- »Umwelt«
- Naturalistischer Fehlschluss
- Vorsorge Prinzip
Zusammenfassend: wie geht es weiter? Die Zeit, wo wir uns als passive, von Natur oder Gott getriebenen Lebewesen sehen konnte ist vorbei:
»Wir können uns wahrscheinlich kaum mehr so etwas wie Naturphänomene vorstellen, die im Sinne der klassischen Theodizeefrage vollständig auf Natur als Gegenkonzept zu Kultur oder Gesellschaft ausgelagert werden können. Selbst wenn ein Komet auf die Erde zurasen würde, […] würden wir das nicht alleine einem externen Schicksal zurechnen, sondern die Katastrophe unserem Mangel an Abwehrstrategien zurechnen«, Armin Nassehi
Wie kommen wir zu einer systemischen Sicht, zu einem Blick, die »Gaia« als ganzes betrachtet, das menschliche Wohlbefinden nicht hinten anstellt und trotzdem nicht zur Katastrophe führt?
»Catastrophists are wrong, time after time. […] And techno-optimists, who promise endless near-miraculous solutions, must reckon with a similarly poor record.«, Vaclav Smil
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 7 und 8: Alles wird besser... oder nicht?
- Episode 15: Innovation oder Fortschritt
- Episode 16: Innovation oder Forrtschritt oder Stagnation?
- Episode 18: Fortschritt oder Stagnation: Gespräch mit Andreas Windisch
- Episode 39: Follow the Science
- Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg
- Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
- Episode 46: Activism, a Conversation with Zion Lights
-
Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
-
Episode 70: Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
Fachliche Referenzen
- Extinction Rebellion Website
- Degrowth US Readings
- Jason Hickel, Degrowth: A Call for Radical Abundance
- Hating Humanity Won’t Get You Canceled - WSJ
- Why Silicon Valley billionaires are prepping for the apocalypse in New Zealand, The Guardian (2018)
- Steven Koonin, Unsettled, What Climate Science Tells Us, What It Doesn't, and Why It Matters
- Patrick Curry, Ecological Ethics, An Introduction, Polity Press (2006)
- Stanford Encyclopaedia of Philosophy, Environmental Ethics
- Samir Saran, Enough Sermons on Climate, It’s Time for ‘Just’ Action
- Peter Treue, Blut und Bohnen, Der Paradigmenwechsel im Künast-Ministerium ersetzt Wissenschaft durch Okkultismus, FAZ (2002)
- Cornelius Janzen, Ritual der Demeter-Landwirte: Warum sie Kuhhörner in der Erde vergraben, ZDF (2021)
- Demeter, »biodynamische« Präparate
- Mark Lynas, Finland’s Green Party endorses nuclear power (2022)
- Mark Lynas, Seeds of Science, Why We Got It So Wrong On GMOs (2020)
- James Lovelock, Novacene, The coming age of hyper intelligence
- Jorgen Randers, 2052 A global forecast for the next forty years (2012)
- Ted Nordhaus, Sri Lanka's Organic Farming Experiment Went Catastrophically Wrong, Foreign Policy (2022)
- Der Mensch - das Mängelwesen, NZZ (2004)
- The Doomslayer. The environment is going to hell, and human life is doomed to only get worse, right? Wrong. Conventional wisdom, meet Julian Simon, the Doomslayer. Wired (1997)
- Population, Affluence, and Technology, Penn State College of Earth and Mineral Sciences
- Roger Pielke Jr., More on the Iron Law of Climate Policy (2010)
- Carlos Ruiz Zafón, eine Figur in Das Spiel des Engels
- Vaclav Smil, How the World Really Works, Penguin (2022)