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Monday Apr 24, 2023
Monday Apr 24, 2023
Das Thema der heutigen Episiode ist: »Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft«
Covid, Klimawandel, Energiewende oder geopolitische Krisen sind komplexe Herausforderungen. Herausforderungen, in denen sich verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse mit politischen und gesellschaftlichen Interessen überschneiden. Unterschiedliche Meinungen, und damit Konflikt ist geradezu eine natürliche Folge solcher Probleme.
Und immer öfter scheinen wir an diesen Herausforderungen zu scheitern, und nicht nur das: wir Polarisieren dabei zunehmend unsere Gesellschaft, drohen liberale und demokratische Werte zu gefährden und beschädigen Wissenschaft und Politik auf dem Weg.
So erleben wir auch eine Renaissance von Paternalismus und Autoritarismus — und dies nicht unbedingt von der politischen Seite, von der es von vielen erwartet wurde. Wollen wir die Entscheidung über wesentliche gesellschaftliche Entscheidungen wenigen Auserwählten überlassen oder doch eine breite und informierte gesellschaftlichen Legitimierung anstreben?
Stecken wir fest? Was geschieht, gerade und welche Rolle spielt Sprache und Diskurs?
Diese Folge jongliert mit einer Reihe von politisch und gesellschaftlich heißen Themen und gerade darum freue ich mich sehr, dieses Gespräch mit Jan David Zimmermann führen zu können.
Jan ist Autor, Journalist und Wissenschaftsforscher, hat auch gerade ein neues und äußerst empfehlenswertes Buch herausgebracht.
Ich möchte nochmals betonen, daß wir Covid, Klimawandel und andere Krisen ansprechen, aber es geht in keinem dieser Fälle darum, konkrete sachliche Fragen der Krisen zu diskutieren oder zu beurteilen.
Vielmehr interessiert uns eine Meta-Frage: wie diskutieren wir aktuell und wie sollten wir derartig schwierige und komplexe Fragestellungen in der Gesellschaft diskutieren, wo schwerwiegende und langfristig wirksame Entscheidungen unserer Ansicht nach demokratisch legitimiert sein müssen.
Wir beziehen keine sachliche Position zu Covid- oder Klimawandel - Fragen, sondern diskutieren auf der Meta-Ebene, wie wir gesellschaftlich und wissenschaftlich mit diesen Themen umgehen, beziehungsweise umgegangen sind, und welche zum Teil erheblichen Fehler aus unserer Sicht hier gemacht wurden. Wie funktionieren — oder funktionieren eben nicht — wesentliche gesellschaftliche Diskurse
»Wissenschaft ist eine tolle Sache um die materielle Welt zu verstehen, aber es dauert Zeit. Es bedarf Debatten und Diskussionen. Das Problem ist dabei nicht so sehr Wissenschaft: sondern wir haben einige hochrangige Bürokraten in die Position eines Papsts erhoben«, Jay Bhattacharya
»Wenn Kritiker ihre Kugeln auf Tony Fauci abfeuern, dann erkenne die Menschen, da ist eine Person. So ist es einfach zu kritisieren, aber sie kritisieren tatsächlich Wissenschaft. Denn ich repräsentiere Wissenschaft.«, Dr. Anthony Fauci
Ist Fauci Wissenschaft? Wer repräsentiert Wissenschaft? Was ist Wissenschaft, vor allem auch hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Wirkung?
Sollten wir Wissenschaft nicht als ständigen Diskurs und Selbstreflexion auch mit einer wesentlichen historischen Dimension begreifen und behandeln? Wissenschaft nach Bourdieu als soziales System sehen?
"Wenn es darum geht, Menschenleben zu retten, mache ich keine Kompromisse.", Wolfgang Mückstein
und
»Aber ich sage Ihnen auch ganz offen, dass der Maßstab nicht das ist, was wir glauben, was wir jetzt machen wollen, sondern der Maßstab ist, was uns die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Thema sagen.«, Angela Merkel (2020)
Was bedeutet das? Wer entscheidet was der Maßstab ist. Welcher Wissenschafter ist überhaupt in der Lage eine relevante Aussage in einer komplexen Systemlage zu geben?
Haben wir — besonders deutlich in der Covid-Krise —Entkontextualisierung und Enthhistorisierung sowie eine deutliche Verengung von Diskurs erlebt? Mit welchen Folgen? Der Mediziner Martin Sprenger spricht von einem virologischen Tunnelblick.
Aber das Problem ist nicht alleine auf den vermeintlichen Extremfall Covid begrenzt. In Deutschland wurde etwa eine Meldestelle für ideologische Abweichung eingerichtet. Dies könnte man als deutliches Beispiel für den Versuch einer autoritären Verengung des Diskurses und Zensur, sehen. Aber auch Framing ist ein wichtiges Mittel der Verzerrung medialer Diskurse Beispiel Ivermectin — haben Joe Rogan und zahlreiche andere Prominente »Pferdewurmmittel« genommen — oder ist das ein Framing um den Diskurs zu vermeiden und sie lächerlich zu machen?
Was ist vom Begriff der »Verschwörungstheorie« zu halten? Natürlich gibt es solche, aber wurde der Begriff möglicherweise inflationär, gar als Kampfbegriff verwendet? In zahlreichen Medienkommentaren erleben wir einen stärker werdenden Paternalismus. Wir wissen, was gut für euch ist — Narrative treiben die Berichterstattung und teilen die Bevölkerung sowie die Ansichten in »Gut« und »Böse« ein.
Vielen scheint es schwer zu fallen zu sehen, dass auch gegensätzlich scheinende Dinge gleichzeitig zutreffen können: Pfizer hat sich einerseits äußerst fragwürdiger Praktiken bedient und wurde dafür in den USA zur höchsten Strafe verurteilt, die das Justizministerium je verhängt hat und kann gleichzeitig auch lebenswichtige Pharmazeutika produzieren. Kritisches Hinterfragen von Großunternehmen wie Pfizer ist dringen notwendig, ohne gleich das Kind mit dem Bad ausschütten zu müssen.
Auch die Frage, ob Forschung einen immer stärker ideologischen Einschlag hat, im besonderen bei politisch wesentlichen Fragestellungen, darf kein Tabuthema sein. Zu viel hängt von den Ergebnissen der Forschung ab, und zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Qualität der Forschung in verschiedener Disziplinen sehr schlecht ist.
Wissenschafter selbst sind wie alle Menschen vielschichtig. Sie können in einer Sache recht und in anderen völlig unrecht haben. Billiges canceln (siehe z.B. David Hume) ist infantil und nicht zielführend. Ein genauer Blick immer notwendig und nicht nur ein blinder Fokus auf das Jetzt und das Ich und die eigene Meinung. Auf die Pandemie gemünzt hat Johannes Lehmann vom »Bann der pandemischen Gegenwart« gesprochen.
Zahlreiche Paradoxien tauchen auf und wir diskutieren einige beispielhaft. Aber auch die Wirkmacht der Krise als politisches Mittel wird Thema; Giorgio Agampen spricht vom Ausnahmezustand als politischem Instrument beziehungsweise Herrschaftsmittel, Naomi Klein hat schon vor vielen Jahren vor einer »Schock Doktrin« gewarnt.
Wir erleben das regelmäßig bei heutigen Aktivisten: Aufgrund der Krise X gibt es angeblich gar keine Zeit mehr für Widerspruch, für Diskurs! Demokratie ist ein Hindernis und wir sollten alleine den Aktivisten folgen. Ist das eine gute Idee?
»Die Sprache der Öffentlichkeit ist eskaliert und gleichzeitig hat sich der Diskurs verengt.«
Wir nennen Beispiele für diese Eskalation und Radikalisierung in ehemals linksliberalen Medien wie etwa dem Standard oder dem Falter in Österreich, der Zeit in Deutschland.
»Ich wünsche mir einen totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine«, Eva Illousz, die Zeit
klingt bedrückend ähnlich zu
»Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen, totalen Sieg der deutschen Waffen?«, Joseph Goebbels, Sportpalast Rede (1943)
Und dies sind keine Einzelfälle. Sarah Bosetti etwa entgleist und vergleicht Menschen mit einem Blinddarm der entfernt werden kann.
Wie hängt das alles mit der immer stärker werdenden Identitätspolitik zusammen? Definiert Identität Freibrief von Sprache und Handlung? Sind etablierte Prinzipien eines Rechtsstaat nichts mehr wert, wenn ich nur die richtige Identität behaupte?
Wir haben erheblichenSchaden an wesentlichen gesellschaftlichen Strukturen angerichtet, und dies gepaart mit einem Vertrauensverlust. Waren dies unvermeidbare Fehler oder eher Ungeschicklichkeit und Überheblichkeit von Eliten, die ihre eigenen Fähigkeiten bei weitem überschätzt haben. Ist Paternalismus und moralische Überhöhung in Ordnung um die Bevölkerung nicht zu verwirren, oder zerstört das den Zusammenhalt in einer modernen Gesllschaft?
“The trust we have in each other and in our institutions is a measure of social health around the world.”, Todd Rose
Die Kompetenz heutiger (wissenschaftlicher) Eliten waren ebenfalls in früheren Episoden ein Thema. So gibt eine Asymmetrie des Vertrauens (in Medien und Menschen): nicht der Durchschnitt zählt, sondern der Ausreißer, der »Betrug«.
»Komplexe Themen brauchen komplexe Diskussionen«
Entgegen der heutigen Schlagwort-Diversität am Oberflächlichen orientiert, gibt es tatsächlich in Institutionen und an Unis immer weniger relevante Diversität, das heißt intellektuelle Diversität — Unterschiede in Meinung und Weltanschauung.
Bei komplexen Fragestellungen können einzelne Personen nie »die Wahrheit« finden. Das bedeutet, der Diskurs muss im Zentrum stehen. Aber wie können wir konstruktiven Diskurs von Ablenkung durch Esoterik und Pseudowissenschaft unterscheiden?
Brauchen wir eine zweite Aufklärung, und wie könnte diese Aussehen?
Umsetzung komplexer Maßnahmen erfordert Vertrauen und Legitimation durch große Teile der Bevölkerung. Paternalistisch und autoritär verordnete Ideen führen spätestens mittelfristig zu starken Gegenreaktionen, die das möglicherweise richtige Ziel erst recht beschädigen. Wie damit umgehen?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 11: Ethik, oder: Warum wir Wissenschaft nicht den Wissenschaftern überlassen sollten!
-
Episode 13: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 1
-
Episode 14: (Pseudo)wissenschaft? Welcher Aussage können wir trauen? Teil 2
-
Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
-
Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
-
Episode 32: Überleben in der Datenflut – oder: warum das Buch wichtiger ist als je zuvor
-
Episode 38: Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
-
Episode 39: Follow the Science?
-
Episode 47: Große Worte
-
Episode 57: Konservativ UND Progressiv
-
Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
Jan David Zimmermann
- Homepage
- Facebook: Jan D. Zimmermann
- Instagram: j._zimmermann
- Buch: Lethe. Vom Vergessen des Totalitären (Webseite, Amazon)
Fachliche Referenzen
- Interview mit Rossana Segretto, Tiroler Tageszeitung (2021)
- Drosten und Fauci: Das Versagen von Wissenschaft und Ethik, Cicero (2023)
- Peter Daszak, Christian Drosten et al, Statement in support of the scientists, public health professionals, and medical professionals of China combatting COVID-19, The Lancet (March 2020)
- Tony Fauci:
- Fox News 1
- Fox News 2
- CBN News
- Jacqueline Howard, Dr. Anthony Fauci says publicly released email about lab leak is being misconstrued, CNN (2021)
- Fauci representing science: Megyn Kelly (2022)
- Former CDC Director Redfield at hearing
- Megan K. Stack, Dr. Fauci Could Have Said a Lot More, New York Times Opinion (2023)
- Wiesendanger-Studie, Uni Hamburg (2021)
- Jan David Zimmermann, Frankensteins Erbe, Wissenschaft zwischen Gut und Böse, Cicero (2022)
- Todd Rose, Collective Illusions: Conformity, Complicity and the Science of Why We Make Bad Decisions, Hachette (2023)
- Wolfgang Mückstein Zitat, Kleine Zeitung (2021)
- Angela Merkel, Pressekonferenz (2020)
- Jay Bhattacharya im Triggernometry Podcast (2023)
- Meldestelle Antifeminismus (Deutschland): Nele Pollatschek, Vielleicht sind wir kollektiv ein bisschen drüber, Süddeutsche Zeitung (2023)
- Der totale Sieg
- Eva Illousz, die Zeit 16.2.2023 (Print); 18.2.2023 (online)
- Joseph Goebbels, Sportpalastrede (Wikipedia)
- Jan David Zimmermann über den Illousz Kommentar: Der Wunsch nach dem totalen Sieg, Stichpunkt (2023)
- Christoph Zielinski, Warum diese Angriffe auf die Wissenschaft? Der Standard (2023)
- Sarah Bosetti »Blinddarm« Tweet (2021)
- Sweden, Covid and 'excess deaths': a look at the data, Spectator (2023)
- John Tierney, COVID-19, Lessons we should have learned (2022)
- Great Barrington Declaration
- Bret Stephens, The Mask Mandates Did Nothing. Will Any Lessons Be Learned?, NYT (2023), und der Cochrane Bericht
- Long Covid, Masks, Equipoise, RCTs, Lockdown & More, ID Ethicist
- Lab Leak Hypothesis:
- Klimawandel
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . hurricanes
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . Drought in Western and Central Europe
- Paul S. Kench et al, Patterns of island change and persistence offer alternate adaptation pathways for atoll nations, Nature (2018)
- Thomas Stocker (Vorsitzender des fünften UN-Klimareports) über Kipppunkte und Klima-Berichterstattung: "Eigentlich brauchen wir die Drohkulisse der Kipppunkte nicht", Die Zeit (2022)
- Justice Department Announces Largest Health Care Fraud Settlement in Its History — Pfizer to Pay $2.3 Billion for Fraudulent Marketing (2009)
- ORF Artikel über »geringe psychische Folgen der Pandemie« (2023)
- Pierre Bourdieu, Homo Academicus, Suhrkamp (1992)
- Johannes F. Lehmann, Aus dem pandemischen Jetzt (2022)
- CNN Business, FDA on Ivermectin “You are not a horse, you are not a cow” (2021)
- Joe Rogan und Sanjay Gupta über CNN / Ivermectin
- Kenan Malik, David Hume was a complex man. Erasing his name is too simplistic a gesture, The Guardian (2020)
- Giorgio Agampen, An welchem Punkt stehen wir?: Die Epidemie als Politik, Turia + Kant (2021)
- Naomi Klein, The Shock Doctrine, Penguin (2008)
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Tuesday Mar 07, 2023
070 – Future of Farming, a conversation with Padraic Flood
Tuesday Mar 07, 2023
Tuesday Mar 07, 2023
Today's topic is future of farming. Farming is a bedrock of our society and culture, and at the same time one of the largest contributors to environmental degradation. So, how we can feed the population of the world in the future sustainably is a subject I wanted to cover already for some time. But it was important to find an expert who can bring together theoretical knowledge and real business application and experience.
I am very happy that Pádraic Flood agreed to join me for this conversation. He is currently team lead for crop genetics at Infarm, a vertical farming company.
Before he joined Infarm, Pádraic served as a research scientist at Wageningen University, one of the world’s top agricultural research institutions, where he also completed his Ph.D. Before that, Pádraic held an appointment at the Max Planck Institute for Plant Breeding Research.
Over the past decade, Pádraic has worked in universities using genetics to understand key scientific questions ranging from photosynthesis to how plants adapt to extreme environments.
Pádraic is not only an excellent scientist, but deeply passionate about tackling the challenge of feeding the world without destroying the environment. In addition to breeding and improving crops currently cultivated by infarm, he is pursuing ways to make staple crops viable in indoor farming which, if successful, could free up vast areas of land for nature and biodiversity restoration and go a long way towards achieving food security.
As farming as bedrock of our society we start with a look into our past. What is domestication and breeding? What are we eating today? Old species, e.g. maize are unrecognisable in the original form compared with our modern ones. Breeding was an intergenerational project of humanity. So, what is natural? Unnatural? Is unatural, what is created by humans — which seems to be a rather strange idea?
Also, farming was independently discovered seven times around the world — what does that tell us? What is convergent evolution?
Then we discuss the impacts of farming on nature and environment. How can we reduce the impact of farming while at the same time producing enough food for humanity.
What are GMOs and how is genetic modification different from older breeding technologies?
Then we talk about the 20th century. Were the Malthusian warning voices correct? How did Paul Ehrlichs “population bomb” play out and what did the green revolution with Norman Borlaugh achieve?
“rising food production reduced the malnutrition rate from 2 in 3 people in 1950 to 1 in 11 by 2019. This impressive achievement is even more noteworthy if expressed in a way that accounts for the intervening large-scale increase of the global population, from about 2.5 billion people in 1950 to 7.7 billion in 2019. […] we could not harvest such abundance, and in such a highly predictable manner, without the still-rising inputs of fossil fuels and electricity.”, Vaclav Smil
Modern technology and energy production managed to reduce the labor needed to produce a kilogram of grain by more than 98 percent between 1800 and 2020.
“Growing the grain, milling it, and baking a 1-kilogram sourdough loaf thus requires an energy input equivalent of at least 250 milliliters of diesel fuel.” (150-500ml Diesel per kg tomatoes in Spain (unheated / heated) — ~ same amount like chicken), ibid
Which role do agricultural chemicals role such as herbicides and fertilisers play?
Agriculture is not only about carbon emissions. Purely looking at it through a “carbon lense” is misleading, more relevant seems the planetary boundaries framework. For instance the role of biodiversity, land use and other impacts are of huge importance. Land use is one of the major concerns, considering thet 50% of habitable land mass is used by agriculture.
Carbon tunnel vision is a real issue today and leads to significant mistakes in politics and activism, as I have discussed in other podcast episodes already.
Planetary Boundaries, J. Lokrantz/Azote based on Steffen et al. 2015
What about organic farming? It turns out, it is by far not such a good idea as often promoted. Pádraic explains what the problems are. One serious issue are externalities, where other nations pay the price for our “organic” greenwashing.
One of the major challenges is to manage energy and matter flows better on a global level. As energy plays a significant role in agriculture we discuss the important role of nuclear energy in a green economy, escpecially considering land use in comparison with wind and solar energy.
Risk perception is often not aligned with actual risks.
As one recent example, we discuss the Sri Lanka organic farming disaster, food security and national security:
“In the end, for most crops, organic farming is not net beneficial. It is actually worse for the environment than conventional food production. And people spend even extra money, thinking they do something good., when in many respects they probably are causing more harm.”
Organic food has a large international lobby with a vested interest to promote a green narration, preserve the well functioning but misleading marketing claims, despite of the realities on the planet. On top of that, some organic farming practices leave the realm of rationality and incorporate a number of esoteric ideas that contribute nothing to the environment or to human health, such as biodynamic practices.
“What is allowed in organic is not necessarily allowed because it is safer but just because we done it like that for a long time.”
One example is copper sulfate or organic insectisides, as Pádraic explains in this episode.
What we need going forward, is evidence based agriculture, not dogmatic organic / naturalistic ideas, that are stuck in the past and do more harm than good to nature and humanity.
“Dogma is not adaptive” and
“Silver bullets are only good for killing magical creatures”
What about meat and what role has carneval to play here? Where is science and technology standing in terms of lab grown meat? Evidently, in some countries lab grown chicken nuggets are already a thing?!
One of the major recent innovations seems to be precision fermentation, which could become one of the most exiting new tools in our future farming toolbelt.
“Currently, we are eating our planet”
Now, looking into the future: how could we achieve decoupling food prodcution from ecosystem destruction. How can we feed 9-11 billion people well without eating the planet and create food resilience along the way? Some practices we talk about are
- indoor farming
- precision fermentation
- lab meat
- biotechnology, GMO, Crispr/CAS
Also “doing nothing has risks”
Especially the new bio technologies, synthetic biology seems to offer a lot of opportunities for the future of farming, but also opens up significant new risks. We see a democratisation of bio-technology and synthetic biology — can this be a good thing?
And finally I ask Pádraic: if young people would want to work in these important fields, what could they do instead of glueing themselves to paintings and bridges?
References
Previous Episodes
- Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
- Episode 59 und 60: Wissenschaft und Umwelt 1 & 2
- Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Prof. Erich Eder
- Episode 45: Mit Reboot oder Rebellion aus der Krise?
- Episode 46: Activism, a conversation with Zion Lights
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
- Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
- Episode 22: Biodiversität und komplexe Wechselwirkungen – Gespräch mit Prof. Franz Essl
Padraic Flood
- Twitter: @PdraicFlood
- Padraic Flood on LinkedIn
Literature and Links

Monday Jan 30, 2023
068 — Modelle und Realität, ein Gespräch mit Dr. Andreas Windisch
Monday Jan 30, 2023
Monday Jan 30, 2023
Das Thema der heutigen Episode ist »Modelle«. Was ist ein Modell in Bezug zur Realität, welche Art vom Modellen gibt es und wie sollten wir als Gesellschaft mit Modellen umgehen, im besonderen bei Fragen, die das Verhalten komplexer Systeme in die Zukunft projeziert, wie etwa Klimamodelle.
Mein heutiger Gesprächspartner ist, und das freut mich besonders, ein wiederkehrender Experte, Dr. Andreas Windisch. Andreas ist ein theoretischer Physiker, der 2014 an der Universität Graz sub auspiciis praesidentis promoviert hat. Nach mehreren Jahren als PostDoc an der Washington University in St. Lous in den USA (Schrödinger Fellow des öst. Wissenschaftsfonds) kehrte er nach Österreich zurück, und übernahm die Rolle eines Forschungsteamleiters bei 'Know-Center', einem Forschungszentrum für KI.
Andreas ist Mitbegründer und Leader der Reinforcement Learning Community, einer eigenständigen Arbeitsgruppe, die Teil des unabhängigen Think Tanks 'AI AUSTRIA' ist. Zudem ist Andreas Honorary Research Scientist der Washington University in St. Louis, er betreut Start-Ups bei dem European Space Agency Inkubator Science Park Graz und lehrt KI an der FH-Joanneum. Seit März 2022 hält er auch eine Stelle an der TU-Graz.
Was ist ein Modell? Wie verhält sich ein Modell zur Realität, zur Natur? Welche Rolle spielen Variable und Freiheitsgrade? Andreas erklärt zunächst fundamentale Modelle — am Beispiel des Standardmodell der Teilchenphysik.
»Der Natur ist unsere persönliche Sichtweise natürlich egal.«
Damit ist die Suche nach der Abweichung vom Modell ein wesentlicher Aspekt der Modellierung. Was hat es mit der Filterung durch unsere Sinne und durch unsere Instrumente auf sich? Können wir überhaupt ohne Modell und Theorie Beobachtungen machen?
Warum ist Platons Höhlengleichnis ein gutes Beispiel für Modell und Realität?
Welche Arten der Modellierung gibt es? Vom bottom up / fundamentalen Modell zur Welt im Großen, zu effektiven Modellen? Damit stellt sich die Frage: kann ich die Welt im Großen aus dem fundamentalen Verständnis des Kleinstes modellieren? Also: kann ich mit dem Standardmodell der Teilchenphysik etwa das Klima modellieren? Sollte es nicht nur ein Modell der Welt geben?
Andreas erklärt, warum dies nicht möglich ist. Damit stellt sich die Frage: was ist eine Skala? Was sind Hierarchien von Modellen nach Skala und Fragestellung? Wir diskutieren Beispiele von der Quantenmechanik über die klassische Mechanik bis zur Relativitätstheorie und wieder zurück.
Wie verhält es sich im Übergang von einem Modell einer Skala oder Anwendungsbereich zu einem Modell einer andere Skala? Wo liegen die Grenzen und wie sieht es in den Übergangsbereichen aus? Wie weit kann Extrapolation gehen? Wenn ich Modelle außerhalb des Gültigkeitsbereiches »befrage«, bekomme ich Antworten, aber was ist von diesen zu halten?
Gilt die heute häufig formulierte Annahme: je mehr Daten desto besser (für die Entscheidungsfindung)? Die richtige Information und Abstraktion zur richtigen Zeit ist essentiell!
Wir sprechen weiters über mathematische Symmetrien, »Schönheit« und Qualität von Modellen, datengetriebenem (machine learning) vs. Modell-Zugang. Sind wir am Ende der Theorie angelangt, wie vor einiger Zeit behauptet wurde, oder war das ein Irrtum?
Wie repräsentativ sind die Daten mit denen modelliert wird im Bezug auf die Daten, die in der Realität zu erwarten sind? Ändert sich das über die Zeit der Modell-Nutzung?
Wir kehren dann wieder an den Anfang zurück und diskutieren ein fundamentales historisches Beispiel, das n-Körper-Problem, beziehungsweise eine vereinfachte Form davon, das Dreikörperproblem, das ja einfach physikalisch zu lösen sein sollte. Oder doch nicht? Warum nicht? Was sind die Erkenntnisse und Folgen dieses historischen Problems, getrieben von König Oskar II und Henri Poincaré?
Es kann doch nicht so schwer sein, die Bahnen von Sonne, Erde und Mond zu berechnen!
Aus diesem Beispiel folgend: Was sind (nicht-lineare) chaotische Systeme und was bedeutet das für Modellierung und Vorhersage, vor allem in Bezug auf die Anfangsbedingungen und die Möglichkeit diese genau zu bestimmen? Wie hängt dies mit den intrinsischen Zeitskalen des Systems zusammen? Liegen hier natürliche Grenzen der Vorhersagbarkeit, die wir auch mit stetig besseren Sensoren, Computern und Algorithmen nicht brechen können?
Was sind Attraktoren komplexer dynamischer Systeme und Tipping Points (auch Kipppunkte,Phasenübergänge oder Regime Shifts genannt)? Kann man vorhersagen, wann sich ein System einem Kipppunkt nähert?
Dann diskutieren wir die Konsequenzen für Risikomanagement, den Unterschied zwischen statistisch gut beschreibbaren und bekannten Systemen, versus komplexen chaotischen Systemen und dem Vorsorgeprinzip. Was können wir daraus für politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse mitnehmen?
Passend zur vorigen Episode disuktieren wir auch das Risiko des »Overselling« wissenschaftlicher Erkenntisse und vor allem von Modell-Ergebnissen als Wissenschafter.
Zum Schluss stellen wir die Frage, wie weit wir als Gesellschaft kritischen Diskurs verlernt haben.
»Alle Experten sagen...« ist keine relevante Aussage, sondern ein rhetorischer Trick um Diskurs zu beenden.
Unterschiedliche Meinungen sind gerade bei komplexen (wicked) Problems von größter Bedeutung. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle der Wahrheit, auch wenn das von manchen politischen Akteuren gerne so dargestellt wird. Was Information und Misinformation ist, stellt sich in der täglichen Praxis als sehr schwieriges Problem heraus. Auch die aktuelle Rolle der »alten« Medien ist stark zu hinterfragen.
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
- Episode 67: Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
- Episode 55: Strukturen der Welt
- Episode 53: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität
- Episode 47: Große Worte
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 27: Wicked Problems
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 10: Komplizierte Komplexität
Andreas Windisch
- Andreas Windisch auf LinkedIn
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
Fachliche Referenzen
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Saturday Dec 31, 2022
067 — Wissenschaft, Hype und Realität — ein Gespräch mit Stephan Schleim
Saturday Dec 31, 2022
Saturday Dec 31, 2022
In dieser Episode führe ich ein äußerst interessates Gespräch mich mit Prof. Stephan Schleim. Er ist deutscher Philosoph und Psychologe, Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie Universität Groningen. Seine Spezialgebiete sind die Theorie und praktische Anwendungen der Psychologie und Neurowissenschaften. In seiner Forschung zur Wissenschaftskommunikation untersucht er, wie Darstellungen der Hirnforschung akademische und gesellschaftliche Debatten beeinflussen (z. B. in der Neuroethik oder dem Neurorecht).
Seit 15 Jahren ist er mit seinem Blog Menschen-Bilder bei den SciLogs vertreten, dem Portal für Wissenschaftsblogs des Spektrum-Verlags. Außerdem ist er Autor mehrerer Bücher.
Ich beschäftige mich ja schon länger mit der Frage, ob unser Wissenschaftsbetrieb nicht an einigen Stellen falsch abgebogen ist und was wir tun könnten, ja müssten um diese Situation zu verbessern. Warum ist es für uns wir als Gesellschaft wichtig, diese Problemlage zu verstehen? Denn wesentliche politische Entscheidungen hängen ja von wissenschaftlichen und technischen Aussagen und Möglichkeiten ab.
Wir beginnen unser Gespräch mit der Frage, ob sich die Erwartungen, die in der aus der Gesellschaft aber meist auch aus der Wissenschaft heraus an die Wissenschaft formuliert werden erfüllen? Schreitet Wissenschaft immer schneller voran? Führt dies stetig zu neuen und bahnbrechenden technischen Fortschritten?
Zahlreiche Untersuchungen legen eher das Gegenteil nahe. Wie sieht es nun mit Fortschritt und Qualität wissenschaftlicher Erkenntnis aus? Welche Anreizsysteme herrschen aktuell vor, nach welchen Indikatoren werden Wissenschafter gemessen, welche Definitionen von Produktivität gibt es in der Wissenschaft und was bedeutet dies für Erkenntnis und Innovation?
»Lässt man Kants akademischen Werdegang kurz Revue passieren, muss man zu dem Befund kommen, dass ein Denker wie Kant im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb keine Chance gehabt hätte. Im Gegenteil: Er verkörpert geradezu alles das, was dem Eifer der Universitätsreformer ein Dorn im Auge ist.«, Konrad Paul Liessmann
Es gibt nur noch selten in der modernen Wissenschaft solche positiven Beispiele, etwa den 3D-Atlas des Gehirns, wo das Ergebnis jahrzehntelanger, qualitativ hochwertiger Grundlagenforschung dargestellt werden.
»Die Wissenschaft befindet sich großteils in einem hermeneutisch abgeriegelten, selbstreferentiellen System.«
Was sind Beispiele für die Probleme, die wir beschreiben? Die 90er Jahre waren in den USA die Dekade des Gehirns. Auch Europa hat mit dem Human Brain Project nachgezogen — unter anderem mit dem Ziel, ein Gehirn im Computer zu simulieren. Was ist das Ergebnis dieser Dekade? Wir diskutieren Erwartungen und Versprechungen vom Gedankenlesen bis zum Lügendetektor; was waren die Folgen für die Diskussion des »freien Willen«, für Recht und Medizin?
In den letzten Jahrzehnten waren auch die »bunten Bilder« des Gehirns, die aus statistischen Auswertungen von Kernspintomographen entstehen, ein Hit in wissenschaftlichen Artikeln aber auch in populärwissenschaftlichen Berichten. Man konnte fast sagen: keine Psychologie ohne »Hirnbilder«!
Sind die Ergebnisse, die man mit der Kernspintomographie erhalten hat aber überhaupt vertrauenswürdig und korrekt? Beziehungsweise unter welchen Versuchsbedingungen kann man mit seriösen Ergebnissen rechnen und wurden diese in der Regel erziehlt? Also bleibt letztlich die Frage: können diese Hirnscanner, die richtig viel Geld kosten, überhaupt das Kriterium der Reproduzierbarkeit — als Mindeststandard wissenschaftlicher Qualität — erfüllen? War der Hype gerechtfertigt?
»Es gibt einige gute Studien, aber in der großen Masse sind viele dieser Studien, glaube ich, nicht vertrauenswürdig. […] Diesen Schluss muss man ziehen.«
Aber auch in zahlreichen anderen Bereichen der Psychologie und Psychiatrie erleben wir im Rückblick durchwachsene Ergebnisse, so etwa bei den wenig beeindruckenden Erfolgen der Antidepressiva in der Psychiatrie.
Ich spreche dann auch andere Hype-Themen der Vergangenheit an, und frage, warum wir aus diesen relativen Fehlschlägen so wenig lernen, z.B. Richard Nixon und den Krieg gegen den Krebs, Erik Topol und seine Kritik des Human Genome Projects sowie die mangelhafte Leistung von KI-Systemen in der Covid-Behandlung.
Wir diskutieren dann die Konsequenzen dieser Hypes, denn diese sind nicht einfach nur kurzfristige Irrtümer, sondern in ihnen stecken zum Teil enorme Opportunitätskosten und Kollateralschäden.
Wenn wir über die aktuelle Situation hinausschauen: »Wissenschaft die auch taugt« — was könnten wir die Standards sein? Prof. Schleim bezieht sich auf einen Artikel von Thomas Kuhn: Hartnäckigkeit und Dogmatismus ist manchmal auch ein wesentliches Mittel zum Erfolg in der Wissenschaft.
Die Behandlung von Aids kann als als Erfolgs-Beispiel gelten, auch die Entdeckung der PCR durch Kary Mullis, die psychiatrische Forschung mit Verengung auf Neuro-Wissenschaft allerdings als negatives. Überhaupt ist Kary Mullis ein gutes Beispiel für einen ultra-harnäckigen Wissenschafter gewesen, der in einem engen Bereich hohe Leistung gebracht hat, darüber hinaus aber eher für fragwürdige Ideen bekannt wurde.
Nun stellt sich aber die Frage: was für das Individuum des Wissenschafters gilt, gilt das auch für die Wissenschaft als Ganzes?
Und wo hört die Hartnäckigkeit auf und wird zum (sanften) Betrug? Fake it till you make it — ein wissenschaftliches Erfolgsmodell? Welchen Effekt haben New Public Management, Messen, Optimieren in der Wissenschaft(sverwaltung), Zitationsfaktoren, Impact-Faktor, usw?
»There is no cost to getting things wrong. The cost is not to getting them published.«, Prof. Brian Nosek
Wir erleben aktuell in vielen Bereichen einen Hyperwettbewerb und Bewertung von Forschung — wenn man in kurzen Zeiträumen »Durchbrüche« darstellen muss, um überhaupt überleben zu können — was wird das für Konseqzenzen für Richtung und Qualität und Vermarktung der Forschung haben?
Die Probleme, über die wir sprechen, sind bei weitem keine, die nur in den Interna der Wissenschaft Folgen haben, sondern breiten sich über Wissenschaftskommunikation und Expertenwesen in Gesellschaft und Politik aus? Hier ist auch der Aspekt zu sehen, dass die Verantwortung für diese Hypes auch an den Konsumenten liegt — eine Folge der Konkurrenz um Aufmerksamkeit.
Was ist überhaupt von Wissenschafts-News zu halten? Denn die Taktung wird immer höher — ist das sinnvoll oder sogar schädlich? Wissenschaft ist selten eindeutig, vor allem nicht in komplexen Fragestellungen. Führt das nicht eher zu Verwirrung statt Information bei der Bevölkerung?
Kann mehr Transparenz in den wissenschaftlichen Prozess die Situation verbessern? Können wir vom Rechtswesen lernen — was sind Folgen für wissenschaftliche Freiheit, politische Freiheit und Demokratie? Was können wir aus den Erfahrungen erfolgreicher Wissenschafter lernen?
Ohne die Freiheit, "Sachen zu machen die nicht Mainstream waren", sei seine Forschungsarbeit nicht möglich gewesen, Anton Zeilinger
Max Perutz, der österr. Wissenschafter, der von den Nazis nach England fliehen musste, hatte in seinem Labor neun Nobelpreisträger! Auf die Frage, wie man so erfolgreich wird antwortet er:
»Keine Politik, keine Gremien, keine Berichte, keine Gutachter, keine Interviews, nur begabte, hoch-motivierte junge Menschen, ausgewählt von wenigen Männern mit gutem Blick.«
Und was machen wir im heutigen Wissenschaftsbetrieb?
Einer der Ursachen für die Probleme im aktuellen Wissenschaftsbetrieb ist das Publikations(un)wesen: welche Rolle spielen kommerzielle Verlage, Open Access, Preprint, sind Daten und Prozesse transparent?
Welche Rolle spielt der Antrags-Irrsinn und die damit verbundene Bürokratie? Die bekannte amerikanische Tiefsee-Forscherin Edith Widder bringt den Konflikt zwischen innovativer Forschung und Finanzierung auf den Punkt:
»Die Sache ist die: In der Wissenschaft muss man den Förderstellen erklären, was man entdecken wird, bevor sie einem Geld geben. Und ich wusste nicht was ich entdecken werde. Somit bekam ich keine Unterstützung.«
Wo und in welchem Umfang macht Antragswesen Sinn, in welcher Form, und wo ist es ein Hindernis für gute Wissenschaft und verhindert vor allem auch, dass gute Wissenschafter Karrieren machen. Welcher innovative und kreative Wissenschafter ist Willens 30-40% seines Alltags mit stumpfer Bürokratie und Antragschreiben zu verbringen? Welche Folgen hat dies daher für die Selektion an Universitäten?
Eric Weinstein nennt dies passend: »snap-to-grid intellectualism«
Führen diese Prozesse zu kontroproduktiven Anpassungsprozessen an Indikatoren, Bürokratie, Regeln usw. Lenken wir also die verbleibende Intelligenz der Forscher weg von der Forschung hin zum Übergehen und Ausnutzen von Regeln und Bürokratie?
Einfache Versprechungen und Aussagen treffen in der Realität sehr schnell an ihre Grenzen und so ist es auch nicht einfach Schritte aus der Krise zu finden. Ein erster Ansatzpunkt findet sich etwa in der Magna Charta Univesitatum.
Referenzen
Andere Podcast
- Episode 53 und Episode 54: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität
- Episode 47: Große Worte
- Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
- Episode 39: Follow the Science?
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
- Episode 19 und Episode 20: Offene Systeme
- Episode 18: Gespräch mit Andreas Windisch: Physik, Fortschritt oder Stagnation
Stephan Schleim
- Homepage von Stephan Schleim
- Stephan Schleim auf Twitter
- Menschen-Bilder Blog
- Stephan Schleim an der Universität Groningen
- Universität Groningen
- Die Neurogesellschaft: Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert, Heise (2010)
- Psyche & psychische Gesundheit: Philosophen, Psychologen und Psychiater im Gespräch, Heise (2020)
- Wissenschaft und Willensfreiheit: Was Max Planck und andere Forschende herausfanden, Springer (2023)
- Stephan Schleim, Sind Hirnscans nur Kaffeesatzleserei?
Fachliche Referenzen
- Nicholas Bloom, Are Ideas Getting Harder to Find? (2020)
- How should medical science change, Lancet (2014)
- Economist: How Science goes wrong
- Trouble at the lab | The Economist
- Rettet die Wissenschaft,Die Zeit (2014)
- Konrad Paul Liessmann, Kant — Dienst ohne Vorschrift, Der Standard (2004)
- Eric Topol, Human genomics vs Clinical genomics — Expectation vs. Facts
- Thomas Kuhn, The Function of Dogma in Scientific Research, 1963
- John P. A. Ioannidis, Why Most Published Research Findings Are False (2005)
- Warum KI-Werkzeuge gegen COVID-19 bislang versagt haben, Heise (2021)
- Physik Nobelpreis für österr. Quantenphysiker Anton Zeilinger (2022)
- Zitat Max Perutz aus Geoffrey West, Scale: The Universal Laws of Life and Death in Organisms, Cities and Companies, W&N (2018)
- Edith Widder, Glowing life in an underwater world, TED-Talk
- Magna Charta Univesitatum
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Friday Dec 16, 2022
066 — Selbstverbesserung — ein Gespräch mit Prof. Anna Schaffner
Friday Dec 16, 2022
Friday Dec 16, 2022
Das Thema Selbst-Verbesserung mag auf den ersten Blick wie eines wirken, das keinen großen gesellschaftlichen Bezug hat. Selbst-Vebesserung beziehungsweise Selbst-Optimierung hat teilweise auch einen schlechten Ruf, wenn man an die Bücherregale gefüllt mit fragwürdigen Ratgebern denkt, die so in den meisten Buchhandlungen zu finden sind, ganz zu schweigen von Coaching-Podcasts und YouTube-Videos.
Das Thema hat mich dann aber doch für eine Episode sehr angesprochen, nachdem ich das hervorragende Buch von Prof. Anna Schaffner gelesen. Anna Katharina Schaffner ist Professorin an der Univ. Kent und Executive und Personal Coach. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, unter anderem Exhaustion: A History und The Art of Self-Improvement: Ten Timeless Truths und hat neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch Artikel für Guardian, Psychology today und times Literary Supplement verfasst.
In diesem Gespräch beziehe wir uns im wesentlichen auf ihr letztes Buch zum Thema Selbst-Verbesserung. Prof. Schaffner arbeitet nicht nur den historischen Kontext der »Selbst-Verbesserungs-Ideen« auf, die Rolle, die sie für uns als Individuen hat, sie stellt diese auch in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext und öffnet damit auch den wichtigen Diskurs, wie wir uns als Gesellschaft auf die Zukunft vorbereiten können. Eine solche Vorbereitung hat eine persönliche, aber eben auch eine soziale Komponente.
Dabei verwendet sie den Begriff Self-Improvement, im Deutschen: »Selbstverbesserung« und nicht Selbst-Optimierung, wie sie im Podcast erklärt.
»Esse est percipi«, George Berkely
Zunächst stelle ich die Frage nach der Freiheit, die ja eine Grundlage für Selbstverbesserung zu sein scheint. Woher kommt unser Begriff der Freiheit? Hat Freiheit ein rein positives Moment oder ist sie gar eine Belastung (für viele Menschen)? Erkennen wir Selbstverwirklichung als Möglichkeit oder gar als Zwang? Alain Ehrenberg spricht von der
»Müdigkeit des Selbst, das sich permanent selbstverwirklichen muss«
Erleben wir also Freiheit zwischen Selbstverwirklichung und Selbstversagen? Außerdem: wie frei sind wir wirklich? Sind wir eine »Blank Slate«, eine leere Tafel, die nur beschrieben werden muss und beliebig beschrieben werden kann, oder ist alles determiniert, also vorherbestimmt? Welche rolle spielen einschränkende Strukturen der Gesellschaft?
Sehen wir im Extremen vielleicht sogar »Victim-blaming«, also ein Herunterblicken auf Opfer der Freiheit, auf Menschen, denen es nicht gelungen ist, sich selbst zu verwirklichen, ihre Freiheit »zu nutzen«? Die Wurzeln dieses Problems scheinen aber älter zu sein, wie wir am Beispiel des Calvinismus diskutieren:
»Calvinismus — weltlicher Erfolg als Zeichen, dass man zu den Auserwählten gehört.«
Pervertiert eine implizite Forderung zur Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung gar die Freiheit, die wir gerade erst gewonnen haben?
»Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein. Episode heißt Zwischenstück. Das Gefühl der Freiheit stellt sich im Übergang von einer Lebensform zur anderen ein, bis sich diese selbst als Zwangsform erweist. […] «
»Wir leben in einer besonderen historische Phase, in der die Freiheit selbst Zwänge hervorruft. Die Freiheit des Könnens erzeugt sogar mehr Zwänge als das disziplinarische Sollen, das Gebote und Verbote ausspricht. Das Soll hat eine Grenze. Das Kann hat dagegen keine.«, Byung-Chul Han
Prof. Schaffner zitiert in diesem Zusammenhang Franz Kafka:
»Das Tier entwindet dem Herrn die Peitsche und peitscht sich selbst um Herr zu werden und weiß nicht, dass das nur eine Phantasie ist, erzeugt durch einen neuen Knoten im Peitschenriemen des Herrn«
Welche (externen) Wertesysteme haben wir also unbewusst internalisiert? Sind diese gesund für uns? Wie können wir und selbst verbessern ohne uns gleichzeitig unserer Freiheit zu berauben, zumal in unserer Gesellschaft Bedeutung, Status und Identität oftmals mit einer eher oberflächlichen Ideen des Erfolgs verwoben sind?
Was ist von der Ratgeber-, der Self-Help-Industrie zu halten? Was ist der Unterschied zwischem »Mac Self-Help« und philosophisch fundierteren Ideen? Hat die zeitgenössische Philosophie hier eine wesentliche Wurzel — die Beschäftigung mit dem »guten Leben« vergessen?
»Der Mensch wird am Du zum Ich«, Martin Buber
Dann tauchen wir noch einmal tiefer in die Vergangenheit und Grundlagen ein und stellen die Frage nach dem Selbst. Was ist eigentlich »das Selbst«? Und was zählt als Verbesserung? Wie sind diese Ideen historisch einzuordnen? Prof. Schaffner erklärt dabei drei verschiedene Entwürfe des Selbst:
- relationales Selbst
- kein Selbst (in der buddhistischen Interpretation)
- atomares, individualistisches Selbst und homo oeconomicus
Sollten wir im Westen eine Rückkehr von starken individualistischen Ideen hin zu einem relationaleren Selbst suchen, gar »planetare Wesen« werden? Warum ist diese Frage für die Herausforderungen der Zukunft von großer Bedeutung?
Wie spielt das Dilemma zwischen Bildung und Ausbildung — im Sinne des Humboldtsches Ideals hier hinein? Und welche Rolle spielt das Systemdenken, beziehungsweise der Generalismus? Pointiert formuliert: erleben wir gerade in der Krise ein Abwendung vom »Fachidiotentum«?
Was ist die Rolle von Kultur und Ritualen, Zeremonien? Altmodisch und irrelevant, oder wesentliche Anker auch für moderne und zukünftige Gesellschaften?
Was ist vom heute sehr modischen Begriff der Authentizität zu halten?
»Authentisch ist der Mensch offensichtlich nur dann, wenn er sein Inneres, seine vermeintlich unverfälschte Natur, ungefiltert nach außen stülpt. Und das bedeutet letztlich: Authentizität ist das Gegenteil von Kultur. […] Anthropologisch ist das zwar Irrsinn, denn der Mensch ist bereits seiner Natur nach ein Kulturwesen, doch lässt dies der Authentizitätsdiskurs weitgehend außer Acht, der voraussetzt, dass sich unser unverfälschtes Ich in uns selbst findet und sich nicht in unserem Zusammenspiel mit Kultur und Gesellschaft entwickelt.«, Thomas Bauer
Wie spielt der heutige Begriff der Authentizität mit der Romantik als Geburt des Individualismus zusammen? Wo ist die Grenze zwischen Authentizität und performativem »Oversharing«, oder gar bis zum »vulnerability porn«?
Was bedeuten die Überlegungen zu Selbstverbesserung und Coaching für die heutige Arbeitswelt? Nur was messbar — quantifizierbar ist — ist etwas wert?
Und zuletzt, was bedeuten diese Überlegungen nun für die Zukunft der Gesellschaft und nicht nur des individuums? Verbreiten sich Tugenden (nach Konfuzius) wie gutartige Viren? Ist intellektuelle Bescheidenheit — vielleicht gar Weisheit — noch eine zeitgemäße Tugend?
»Wir dürfen nie vorgeben zu wissen, und dürfen nie große Worte gebrauchen«, Karl Popper
Der Mensch ist, nach Arnold Gehlen ein Mängelwesen, und Rupert Riedl macht schon in den 1970er Jahren deutlich:
»Der menschliche Verstand ist nicht dazu geschaffen, komplexe Systeme zu verstehen«
Aber wie weit geht; soll die Verbesserung die technische Erweiterung des Menschen gehen? Ist sie nicht notwendig um mit der wachsenden Komplexität unserer techno-sozialen Systeme umgehen zu können? Wo ist die Grenze? Sind die Ideen des Transhumanismus nicht letztlich die logische Konsequenz (und das natürliche Ende) der Selbst-Verbesserung? Gibt es eine (vernünftige) Grenze der technischen Verbesserung menschlicher (kognitiver) Fähigkeiten?
»The faith in Utopia, which killed so many in the centuries following the French Revolution, is dead.«, John Gray
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 17: Kooperation
- Episode 28: Jochen Hörisch: Für eine (denk)anstössige Universität!
- Episode 47: Große Worte
- Episode 49: Wo denke ich? Reflexionen über den »undichten« Geist
- Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
Anna Schaffner
- Executive and Personal Coaching | Exhaustion and Burnout Coaching
- Exhaustion: A History, Columbia University Press (2017)
- The Art of Self-Improvement: Ten Timeless Truths, Yale University Press (2021)
- The Truth about Julia, Atlantic Books (2016)
- Artikel in Psychology Today
Fachliche Referenzen
- George Berkeley
- Alain Ehrenberg, Das erschöpfte Selbst: Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Campus (2015)
- Byung-Chul Han, Psychopolitik, Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, S. Fischer (2014)
- Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt, Reclam (2018)
- Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt (1987)
- Arnold Gehlen, Der Mensch, Klostermann Vittorio (2016)
- Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1982)
- John Gray, Black Mass, Penguin (2008)
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Sunday Oct 16, 2022
063 – Museum der Zukünfte — ein Gespräch mit Dr. Gabriele Zipf
Sunday Oct 16, 2022
Sunday Oct 16, 2022
In Berlin gibt es ein Museum, ein Haus der Zukunft, das Futurium. Ich halte es für eine hervorragende Idee einen Raum zu schaffen, in dem über die Zukunft (beziehungsweise Zukünfte) diskutiert wird, vor allem auch darum, weil sich dieses Museum auch stark an Kinder, beziehungsweise junge Menschen wendet.
Es hat mich folglich sehr gefreut, dass die Leiterin der Ausstellung, Frau Fr. Dr. Zipf sich zu einem Gespräch bereiterklärt und mich ins Futurium eingeladen hat.
Im Gespräch stelle ich die Frage, warum Zukunft im Plural, also Zukünfte verwendet wird: Ziel ist das Aufzeigen von Möglichkeiten. Aber wie weit ist Zukunft gestaltbar, von wem, welche Rolle spielt das Individuum? Wie kann der Versuch, Zukunft vorstellbar machen funktionieren?
Dr. Zipf ist Archäologin und da stellt sich naturgemäß die Frage: wie passt die Archäologie zur Beschäftigung mit der »Zukunft«? Gibt es eine Herangehensweise an »Zeit«? Kann man möglicherweise Prinzipien aus der Geschichte ableiten?
»Die Geschichte wiederholt sich nicht«
Und dennoch ist, wie sich im Gespräch zeigt, die Beschäftigung mit der Vergangenheit von Wert, wenn man in die Zukunft blicken möchte. So diskutieren wir die Notwendigkeit eines inter- und intradisziplinären, also eines multiperspektivischen Blicks. Was ist die Rolle von Generalisten versus Spezialistentum, der Philosophie?
Das Futurium selbst besteht aus vier verschiedene Ebenen:
- Ausstellung
- Lab
- Veranstaltungen
- Digitales Futurium
Kann ein Haus, beziehungsweise ein Projekt wie das Futurium eine vermittelnde, eine Generalisten-Rolle einnehmen? Wie versucht das Futurium die »futures literacy« zu verbessern — also pädagogische Ansätze zu entwickeln um auch junge Menschen eine kritische aber konstruktive Perspektive der Zukunft anschaulich zu machen?
Was ist von Zukunftsforschung zu halten (jenseits von Individuen die sich breit inszenieren, deren Vorhersagen aber selten zutreffen?)? Was sagen die Bilder, die wir uns von der Zukunft machen über uns aus?
Dann diskutieren wir die sehr prinzipelle Frage, was ist eigentlich eine gute Zukunft? Das führt uns das zur Frage des Fortschrittes:
»Wir verwechseln systematisch Fortschritt mit Innovation.«, Harald Welzer
Apropos Innovation: Erleben wir wirklich eine solche Beschleunigung, wie das gängige Narrativ suggeriert, oder eher eine Stagnation? Was wir heute als Zukunft diskutieren, haben wir schon vor 30 Jahren diskutiert — vielleicht sogar noch früher.
»Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.«, Johann Nestroy
Helfen Dystopien, die Menschen zu bewegen, oder ist das zwar ein narrativ einfacher, aber letzlich wenig hilfeicher Pfad? Wie kommen wir von den Dystopien und einfachen Klischees/Stereotypen hin zu einer konstruktiven und sinnvollen Diskussion der Zukunft?
Wie können wir mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft umgehen: wieweit hilft Innovation? Wie kommen wir zu einer gemeinsamen Sicht auf Fortschritt? Wollen wir radikalen Wandel (siehe etwa die Vorstellungen Le Corbusiers, wie Paris umzugestalten wäre), Transformation, evolutionäre Veränderung?
Gibt es Kipp-Punkte in der Technik und Gesellschaft, die dazu führen können, dass eine an sich bekannte Technik (endlich) den Durchbruch schafft (siehe auch das Beispiel der Elektro LKWs in London 1917)?
Die Geschichte lehrt und jedenfalls eines: dass das, was aktuelle Generationen für richtig halten, nicht immer den Test der Zeit besteht. Was können und sollen wir tun um einerseit in unserer Zeit zu handeln, andererseits aber Handlungsspielraum für zukünftige Generationen zu erhalten?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 15: Innovation oder Fortschritt?
- Episode 17: Kooperation
- Episode 23: Frozen Accidents
- Episode 28: Jochen Hörisch — Für eine (denk)anstössige Universität!
- Episode 37: Probleme und Lösungen
- Episode 44: Was ist Fortschritt? Ein Gespräch mit Philipp Blom
- Episode 45: Mit Reboot oder Rebellion aus der Krise?
- Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
- Episode 59, 60: Wissenschaft und Umwelt
Futurium
Fachliche Referenzen
- Toronto wants to kill the smart city forever, MIT Technology Review (2022)
- Frank Schirrmacher, Neil Armstrongs Epoche: Das Drama einer Enttäuschung, FAZ Feuilleton (2012)
- Lorries being refuelled at St Pancras goods depot, London, 11 July 1917
- Frozen Accidents: Stewart Brand, How Buildings Learn, Penguin Books (1995)
- Why Architect Le Corbusier Wanted To Demolish Downtown Paris, Business Insider (2013)
- David Graeber, Bürokratie, Die Utopie der Regeln, Goldmann (2017)
- Attila Hörbiger, Johann Nestroy, Lumpazivagabundus
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Tuesday Sep 20, 2022
062 — Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn
Tuesday Sep 20, 2022
Tuesday Sep 20, 2022
Ich habe mich in früheren Episoden öfter mit Umweltfragen beschäftigt, im besonderen auch in Episode 59 und 60. Bisher ist aber die Rolle der Wirtschaft beziehungsweise der Wirtschaftswissenschaften zu kurz gekommen. Daher freut es mich ganz besonders, mit einem der führenden deutschen Ökonomen ein Gespräch führen zu können:
Prof. Hans-Werner Sinn ist Jahrgang 1948, studierte Volkswirtschaftslehre in Münster. Von 1984 bis 2016 war er Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Hinzu kamen Gastprofessuren und Forschungsarbeiten an der University of Western Ontario in Kanada, der London School of Economics sowie an den Universitäten Bergen, Stanford, Princeton und Jerusalem. Von 1999 bis 2016 war Hans-Werner Sinn Präsident des ifo Instituts, stand als Direktor dem Center for Economic Studies (CES) der LMU vor und war Geschäftsführer der CESifo GmbH, eine gemeinsame Initiative der LMU und des ifo Instituts.
Prof. Sinn kritisiert bereits seit vielen Jahren aus, wie ich meine, gutem Grund die deutsche Energiewende. In meinem Archiv habe ich einen Artikel aus dem Manager-Magazin aus dem Jahr 2014 gefunden, der bereits wesentlichen Probleme, die wir heute auch aufgreifen werden, beschreibt und der sich auch über die Jahre als zutreffend herausgestellt hat. Deutschland wäre meiner Einschätzung nach großer Schaden erspart geblieben, wenn man diese Kritik ernst genommen hätte.
Vor wenigen Monaten bin ich dann wieder auf einen Vortrag von Prof. Sinn gestossen, und zwar zum Klimasymposion — Konstanz Mai 2022 — mit dem Titel »Die Globale Energiewende: Sechs große Probleme«.
Dieser Vortrag hat mich sehr beeindruckt und ich werde auf wesentliche Themen, die Prof. Sinn in diesem Vortrag beschreibt im folgenden Gespräch bezugnehmen. Ich empfehle daher diesen Vortrag vorweg zu hören. Die sechs Probleme die in diesem Vortrag genannt werden sind:
- In Paris akzeptiert nur eine Minderheit von 61 der 191 Unterzeichner eine verbindliche quantitative Emissionsbeschränkung
- EU hat sich utopische Ziele gestellt. Deutschland will sogar gleichzeitig aus Kernkraft und Kohle aussteigen und hat sich dadurch von anderen Ländern abhängig gemacht
- Wind- und Sonnenstrom sind viel zu volatil um eine preisgünstige Vollversorgung zu gewährleisten
- Europa drangsaliert Autoindustrie und verstößt gegen Gesetzt des »einen Preis«. Der Markt als Entdeckungsverfahren für CO2-arme Technologie wird ausgeschaltet
- Beim deutschen Energiemix sind die E-Autos nicht CO2-günstiger als Dieselautos
- Bei handelbaren Brennstoffen ist der Effekt des europäischen Verzichts nicht nur klein sondern null
Wir sprechen in dieser Episode daher im besonderen über die deutsche Energiewende, aber auch generell über die Rolle der Ökonomie, beziehungsweise Wirtschaftswissenschaften, wenn es um die Bewältigung der ökologischen Probleme der Zeit und der Zukunft geht.
Eine für mich dabei wichtige Metafrage ist folgende: Keiner der sechs Probleme, die Prof. Sinn in seinem Vortrag darlegt scheinen besonders schwierig zu verstehen zu sein; im besonderen nicht die ersten drei, die schon ausreichen, um etwa die deutsche »Energiewende« in Frage zu stellen. Wie kann es sein, dass eine moderne und gebildete Gesellschaft, deren politische Vertreter und Medien diese fundamentalen Kritikpunkte kaum oder nur auf sehr niedrigem Niveau diskutiert?
»Utopien sind für Träume schön, aber für eine reale Politik macht das keinen Sinn«
Wie kommen wir von Wunschvorstellungen zu realem Fortschritt, der unsere Gesellschaft nicht im Kern gefährdet? Welche Rolle spielen »Externalitäten« in der Wirtschaft?
»Bei der Erderwärmung haben wir einen erheblichen Misstand, und dieser muss bekämpft werden«
Technik und Moral alleine werden dafür nicht ausreichen. Wie können die Menschen (global) dazu bewegt werden das Richtige zu tun? Die aktuellen Maßnahmen sind nicht nur wenig dazu geeignet das Problem anzugehen, sie sind in weiten Bereichen kontraproduktiv.
»Die Windräder sind keine zweckdinglichen Bauten für den Naturschutz, sondern es sind Sakralbauten. […] jeder Windflügel der errichtet wird ist sichtbar für jeden ein Nachweis dafür, wie dominant diese neue Religion ist.«
Was sind dann aber sinnvolle Maßnahmen? Kann Emissionshandel hier ein wesentlicher Puzzlestein sein? Wie geht man damit um, dass jeder Ansatz letztlich eine globale Perspektive hat? Wie soll die politische Seite einer tatsächlich funktionierenden Energiewende organisiert werden? Staatlich getrieben (mit welchen Maßnahmen?), libertär oder auf freiem Markt aufgebaut?
Was ist die Rolle der Wissenschaft? Beobachten wir bei wesentlichen Zukunftsthemen gerade eine zunehmende Verschränkung schlechter Forschung gepaart mit Aktivismus? Beschädigen Publikationszwang und Finanzierung aus der Wirtschaft den Wissenschaftsbetrieb?
Was ist die Rolle de Ökonomie? Erleben wir nicht seit Jahrzehnten eine Selbstüberschätzung der Wirtschaftswissenschaft, oder jedenfalls lautstarker Ökonomen in der Öffentlichkeit — denken wir an Prognostik und an die Idee steten Wirtschaftswachstums?
Prof. Sinn beschreibt die neoklassische Theorie als Suche nach Externalitäten und Markt-Fehlern. Welche sind dies?
Welche Rolle spielte die Studie des Club of Rome 1972 und das Symposium on the Economics of Exhaustible Resources 1974. Was bedeutet Wachstum für ökonomische Theorien und Modelle? Gibt es die oft zitierte Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Verbrauch an Ressourcen?
Welche Rolle spielt die Populationsgröße, ein politisch und ethisch sehr schwieriges Thema?
Zum Abschluss frage ich Prof. Sinn, was er einem jungen Menschen raten würde, der einen positiven Beitrag für die (Um)welt leisten möchte.
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 59 und 60: Wissenschaft und Umwelt
- Episode 46 über Aktivismus mit Zion Lights
- Episode 45: Mit Reboot oder Rebellion aus der Krise?
- Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, mit Herbert Saurugg
- Episode 36: Energiewende und Kernkraft, ein Gespräch mit Anna Veronika Wendland
Hans-Werner Sinn
- Homepage von Prof. Hans-Werner Sinn
- Prof. Hans-Werner Sinn am ifo
- Hans-Werner Sinn, Klimasymposion — Konstanz Mai 2022 — mit dem Titel »Die Globale Energiewende: Sechs große Probleme«
- ifo-Chef Sinn zur Energiewende: »Die einzige Hoffnung der Menschheit war die Atomkraft«, Manager Magazin (2014)
- Buch: Hans-Werner Sinn, Das grüne Paradoxon, Weltbuch Verlag (2020)
- Suzanne Thoma, Daniel Jositsch und Hans-Werner Sinn diskutieren mit Martin Meyer über die Zukunft der Energie. Neue Zürcher Zeitung (9.2.2022)
- Hans-Werner Sinn, Die Dinos
- Hans-Werner Sinn, Ist das E-Auto ein Rückschritt? Wirtschaftswoche (2019)
weitere fachliche Referenzen
- Pigou, Arthur Cecil. 1920. The Economics of Welfare. 4th ed. London: Macmillan
- Donella Meadows, Jorgen Randers, Dennis Meadows, Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update: Signal zum Kurswechsel, Hirzel (2020)
- Symposium on the Economics of Exhaustible Resources (1974)
- Tim Morgan, Life after Growth, Harriman House (2016)
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Sunday Aug 28, 2022
061 — Digitaler Humanismus, ein Gespräch mit Erich Prem
Sunday Aug 28, 2022
Sunday Aug 28, 2022
Meinen heutigen Gast habe ich ebenfalls schon länger auf meiner Wunschliste und es hat mich gefreut, dass er auch sofort zugesagt hat! Erich Prem ist nicht nur Vertreter des "digitalen Humanismus" (DH) — das Thema der heutigen Episode — sondern ein breit gebildeter, interdisziplinärer Denker, wie in dieser Episode deutlich werden wird.
Er ist in seiner Erstausbildung Computerwissenschafter, der sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Er hat am ÖFAI in Wien am sogenannten Symbol Grounding Problem gearbeitet und am MIT in den USA an verhaltensbasierter Robotik. Er leitet seit über zwei Jahrzehnte ein strategisches Technologieberatungsunternehmen, Eutema, in Wien, das neben der EU Kommission auch Ministerien und Universitäten berät.
Er beschäftigt sich als Philosoph — seiner Zweitausbildung — mit komplizierten Fragen an der Schnittstelle von Ethik, Digitalisierung und Technologiepolitik.
Neben vielen anderen Publikationen ist er Mitherausgeber des jüngst erschienen Buches »Perspectives of digital humanism«. Er unterrichtet Digitalen Humanismus an der TU-Wien und Datenethik an der Universität Wien.
In dieser Episode beginnen wir mit der Frage, wie unsere tägliche interaktion mit digitalen Geräten tatsächlich aussieht und wie wir uns das eigentlich wünschen würden. Wie verändert sich die Arbeitswelt? Wie gehen junge Menschen mit digitalen sozialen Räumen um?
Welche Rolle spielen digitale Technologien im geopolitischen und ökonomischen Sinne auch für Europa? Denken wir an Überwachung, langfristige Absicherung wesentlicher Technolgien.
Dann setzen wir uns mit dem relativ neuen Begriff des »digitalen Humanismus« etwas konkrete auseinander: Was ist Humanismus? Was ist die Rolle des Menschen, vom Menschenbild des alten Griechenlands über klassische Bildungsideale zur heutigen Zeit. Spielt Humanismus heute überhaupt noch eine Rolle und sollte er eine Rolle spielen?
Was ist nun der DH und warum braucht es diesen neuen Begriff? Die Kritik von Adorno und Horkheimer am Humanismus wird im DH aufgenommen und Freiheit, Menschenrechte — liberale, westliche Werte verankert, bei einigen Vertretern ist auch eine starke Kapitalismuskritik zu finden, sowie Hinweis zum Überwachungskapitalismus.
Allerdings betont Erich, dass das Individuum nicht alleine im Zentrum stehen darf, sondern sich immer in Reflexion mit der Gesellschaft befindet. Denn digitale Technologien sind auch Machtinstrument und bedürfen politischer und gesellschaftspolitischer Debatte um die Frage zu beantworten: wer formt »das Digitale« eigentlich, wem nutzt es?
Dann diskutieren wir die unterschiedliche Wahrnehmung digitaler Technologien zwischen Kulturen und Nationen, etwa am Beispiel des Techniums von Kevin Kelly, europäischer Philosophie und der Globalisierung, sowie der Frage, woher eigentlich das Design von Technik stammt: top down, bottom up oder gar ungesteuert?
Eine Besonderheit des DH, auch als Abgrenzung anderer wissenschaftlicher Strömungen wie etwa der Technikfolgenabschätzung ist, dass DH von Informatikern geprägt ist, mit dem Anspruch, die Folgen der eigenen Technologie besser zu bestimmen. Dies geschieht nicht Technologie-feindlich, sondern in der Erkenntnis, dass wir uns in Frühzeit der Digitalisierung befinden, die in vielen Bereichen schlicht noch nicht gut genug ist, beziehungsweise falsche Wege eingeschlagen hat. Der DH nimmt also an, dass es kein Schicksal ist sondern nach gesellschaftlichen Vorstellungen Technik gestaltbar ist.
Ich stelle dann die Frage, ob wir nicht teilweise auf Medien-Hypes hereinfallen und die Bedrohungen möglicherweise gar nicht so groß sind. Als Stichworte könnte man nennen: Social Score in China, Google Flue Trends oder Covid AI, und unterscheiden sich die rechtlichen Prinzipien in der analogen Welt wirklich so stark von der digialten, wie manchmal behauptet wird?
Auch wenn es hier und da Übertreibungen gibt, so erkennen wir doch zahlreiche Folgen der Digitalisierung, die sich mit dem Bild, den digitale Humanisten haben, nicht zur Deckung bringen lässt. Darf eine Person etwa auf ihre beobachtbaren Effekte reduziert werden — vor allem von der Vergangenheit in die Zukunft mit vielleicht anderen Kontexten? Wie sieht es mit dem Filtern und der Moderation von Inhalten auf Plattformen aus? Oder, was ist schlimmer: gute oder schlechte »künstliche Intelligenz«?
Einen Kritikpunkt des DH spreche ich noch an, nämlich die Frage des Anthtropozentrismus? Fokussiert sich der DH zu stark auf den Menschen? Was ist mit Nachhaltigkeit und anderen systemischen Fragen?
Zuletzt grenzen wir noch den Digitalen Humanismus vom ähnlich klingenden Begriff der Digital Humanities ab und, was wesentlicher ist, stellen die Frage, was unter Digitaler Souveränität zu verstehen ist: ist Souveränität das gleiche wie Autarkie? Was haben wir in Europa in dieser Hinsicht in den letzten Jahren übersehen, wie sollten wir politisch reagieren?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 4 und Episode 5: »Was will Technologie«, wo ich genauer auf die Ideen von Kevin Kelly eingehe, die wir im Gespräch erwähnen
- Episode 28 mit Prof. Jochen Hörisch zur Idee und aktueller Situation der Universität
- Episode 24 mit Peter Purgathofer: Hangover: Was wir vom Internet erwartet und was wir bekommen haben
- Episode 30 mit Tim Prilove über Techno-Optimismus
Erich Prem
fachliche Referenzen
- Manifest zum digitalen Humanismus
- Hannes Werthner, Erich Prem, Edward A. Lee, Carlo Ghezzi, Perspectives on Digital Humanism, Springer (2022)
- Erich Prem, A brave new world of mediated online discourse, Communications of the ACM (Feb. 2022)
- Shoshanna Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, campus (2018)
- Kevin Kelly, What Technology Wants, Penguin (2011)
- Edware Lee, The Coevolution, MIT Press (2020)
- Social Score China: Spectator Podcast, Chinese Whispers: Mythbusting the social credit system (2022)
- Why Google Flu is a Failure, Forbes (2014)
- What we can learn from the epic failure of Google Flu Trends, Wired (2015)
- Hundreds of AI tools have been built to catch covid. None of them helped. | MIT Technology Review (2021)
- Jonathan Haidt, Why the Past 10 Years of American Life Have Been Uniquely Stupid, The Atlantic (2022)
- Coleman Hughes on The Death Of Conversation with Jonathan Haidt (2022)
- Cathy O'Neill, Weapons of Math Destruction, Crown (2016)
- David Edgerton, The Shock of the Old (2019)
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Thursday Jun 16, 2022
058 — Verwaltung und staatliche Strukturen — ein Gespräch mit Veronika Lévesque
Thursday Jun 16, 2022
Thursday Jun 16, 2022
Ich hatte seit längerer Zeit in Thema im Hinterkopf, das für die Zukunft unserer modernen Gesellschaften von großer Bedeutung ist, und dennoch häufig unter dem Radar läuft, beziehungsweise in den letzten Jahren seit dem immer stärkeren durch systemisches Versagen in vielen Ländern unter Beschuss geraten ist. So weit, dass manche von einer fundamentalen Ablöse träumen — sei es in Blockchain-Träumen oder mondäneren Varianten davon:
Dieses Thema ist, »Verwaltung und staatlichen Strukturen«, denn beide bilden meiner Ansicht nach das Rückgrat jeder modernen Gesellschaft und es freut mich daher besonders mit Veronika Lévesque, eine äußerst kompetente Ansprechpartnerin zu diesem Themenfeld gefunden zu haben.
Veronika Lévesque ist Organisationsbegleiterin und Projektmensch am Institut für Arbeitsforschung und Organistionberatung IAFOB. Beschäftigt sich vorzugsweise mit Fragen, für die es noch keine fertige Antwort gibt. Das macht sie natürlich zu einer perfekten Ansprechpartnerin für diesen Podcast.
Ebenso, dass Frau Lévesque begeisterte Grenzgängerin ist: sie ist in vier Ländern, drei Sprachen und am liebsten in den Zwischenräumen zwischen Disziplinen unterwegs, mit den Schwerpunkten: Transformation, Organisations- und Entwicklungshandwerk, agile Spielfelder in nicht-agilen Umgebungen und Methodenentwicklung. Der Umgang mit Nicht-Planbarem ist dabei immer ein wesentliches Motiv.
»Ein ambitionierter Fehler ist oft hilfreicher als eine mutlose Wahrheit.«
Sie hat ihre Karriere im weiteren Sinne in der Erwachsenenausbildung begonnen, in Schulen weitergeführt und nutzt ihre Erfahrung in der Organisationsentwicklung um in der Verwaltung in der Schweiz für 15 Jahre zu arbeiten.
Wir werden daher eine Einsicht in die Situation der Schweiz bekommen, was mich freut, weil wir von der Schweiz im restlichen deutschsprachigen Raum ohnedies zu wenig erfahren, die Schweiz aber offensichtlich in einigen Bereichen sehr erfolgreich agiert; wir diskutieren aber auch über Deutschland und Österreich, sowie die globale Situation.
Wir beginnen mit der Frage, ob meine Ansicht, dass die Verwaltung das Rückgrat einer modernen Gesellschaft sei zutrifft? Wie spielen Exekutive, Legislative, Judikative und Verwaltung zusammen und — ist die Verwaltung damit die vierte Gewalt im Staate?
»Die Verwaltung schützt das gesetzte Recht und gleichzeitig hilft sie dabei es zu ändern.«
Ist die Verwaltung auch für Fragen »der Zukunft« verantwortlich, also Themen, die sich kurzfristigen ökonomischen Betrachtungen entziehen?
Mit dem Ansatz des New Public Management wurde der Anspruch gestellt, dass auch Verwaltungen effizient sein müssen, was zu einer deutlichen Verkleinerung in den letzten Jahrzehnten geführt hat. D.h. Aufgaben, die besser am freien Markt zu erledigen sind, wurde ausgelagert. Was ist das aktuelle Fazit dieser Veränderungen?
Auch stellt sich wieder das im Podcast häufiger genannte Dilemma zwischen Effizienz und Resilienz, das heißt der Fähigkeit sich auf eine unbekannte Zukunft mit neuen Herausforderungen und Risiken einzustellen.
»Most modern efficiencies are deferred punishment«, Nassim Taleb
Wie spielen politische Ideoligien (von sozialdemokratisch bis libertär) zusammen mit Verwaltung und: was zählen wir eigentlich zur Verwaltung? Eine weitere wichtige Rolle spielen staatsnahe Unternehmungen, die aber nicht im engeren Sinne zur Verwaltung zu zählen sind.
Wird die Verwaltung immer nur dann genannt, wenn etwas nicht funktioniert, oder anders ausgedrückt: leidet die Verwaltung darunter, dass sie im Kern unsichtbar wird, wenn sie (zu) gut funktioniert?
Wie geht die Verwaltung mit der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Anforderung nach Transparenz um und ist Transparenz überhaupt ein Wert an sich? Wem verantwortet sich die Verwaltung gegenüber?
»Demokratie ist eine träge Maschinerie, konzipiert um Entscheidungen zu verlangsamen«, Herfried Münkler, zitiert in Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht
Wie sieht es mit Zeitlichkeit aus, nach Herfried Münkler — ist Verwaltung vielleicht auch ein notwendiges und sinnvolles dämpfendes Element einer modernen Gesellschaft? Standardisierung, Stabilität, Nachvollziehbarkeit waren der Erfolgsmuster der Vergangenheit — das bereitet uns zunehmend Schwierigkeiten. Aber nicht nur die Verwaltung hat Probleme sich der Geschwindigkeit der Zeit anzupassen, auch die Gesetzgebung kommt selten hinterher, sie wird von den Themen getrieben und setzt sie selten.
»Die Verwaltung als Bastion gegen Willkür«
Wird, wie so häufig, das gemessen, was sich leicht messe lässt: also der Kosten, und nicht der Nutzen — zum Schaden der Gesellschaft?
Was macht die »Digitalisierung« mit der Verwaltung, beziehungsweise die Verwaltung mit der Digitalisierung?
Dann unterhalten wir uns über den Unterschied zwischen Politik und Verwaltung, die sehr gegensätzlich sind: erstere laut, schnell und flach, die letztere still, konzentriert und tief?
Haben wir Angst, gesetzlich die Idee (und nicht jedes Detail) klarzustellen und Verwaltung beziehungsweise Exekutive mehr Freiheit in der Umsetzung zu lassen und versuchen wir stattdessen (erfolglos) alles bis ins Letzte zu regeln und zu bestimmen und scheitern dabei naturgemäß an der Komplexität und Geschwindigkeit der Welt? Haben wir also, anders gesagt, Angst selbstständig zu denken? Wollen wir jeden kleinsten Schritt vorbestimmt haben, wissend, dass dies zum Scheitern verurteilt ist?
»When I look at people I have hope. When I look at institutions I am hopeless«, Donella Meadows via Vicki Robin
Was sind die Krisen der letzten Jahre und Jahrzehnte zu beurteilen und welche Rolle spielen dabei Verwaltung und staatliche Strukturen (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Versagen im Covid-Management usw.):
„Der Bund hatte die im Pandemiefall notwendigen organisatorischen Strukturen und personellen Grundvoraussetzungen nicht sichergestellt.“ und
„die Herausforderungen des Krisenmanagements in der COVID-19-Pandemie [waren] bislang ungelöst. Die seit Ausbruch der Pandemie gemachten Erfahrungen wurden zu wenig genutzt, um das Krisenmanagement im Sinne von Lessons Learned weiterzuentwickeln“, Rechnungshofbericht Österreich, Juni 2022
Also, nicht nur wurden erhebliche Fehler gemacht, man hat aus diesen bisher auch nicht nennenswert gelernt — ein rein österreichisches Problem?
Wie bekommt man Kompetenz, Schlagkraft, Handlungsfähigkeit und Agilität in die Verwaltung, die gleichzeitig auch Stabilität und Langfristigkeit sichern soll? Und damit im Zusammenhang: ist das Beamtenwesen überhaupt noch ein Zukunftsmodell, oder sollte die Verwaltung nicht vielmehr den Rest der Gesellschaft widerspiegeln?
Und nicht zuletzt zeichnet Frau Lévesque auch ein optimistischeres Bild für die Kooperation zwischen den Generationen — vom Übergang einer linearen in eine digitale Lebenslogik mit Hilfe anderer Denkmodelle der »Gamergeneration«?
Referenzen
Veronika Lévesque
- Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung
- Veronika Lévesque am IAFOB
- Veronika Lévesque, Wie innovierend, agierend und selbstaktiv getrieben kann und soll eine Verwaltung sein? (2017)
Andere Episoden
- Episode 17: Kooperation
- Episode 25: Entscheiden unter Unsicherheit
- Episode 26: Was kann Politik (noch) leisten? Ein Gespräch mit Christoph Chorherr
- Episode 30: (Techno-)Optimismus — ein Gespräch mit Tim Pritlove
- Episode 38: Eliten, ein Gespräch mit Prof. Michael Hartmann
- Episode 42: Gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Blick hinter die Kulissen: Gespräch mit Herbert Saurugg
- Episode 45: Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?
Fachliche Referenzen
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Friday Apr 29, 2022
056 — Kunst und Zukunft
Friday Apr 29, 2022
Friday Apr 29, 2022
In der heutigen Episode möchte ich ein Thema aufgreifen, über das ich schon längere Zeit nachdenke, wo ich aber bisher noch keinen guten Zugang gefunden habe. Das Thema ist »Kunst und Zukunft«. Mit anderen Worten: Welche Rolle spielt Kunst und Kultur in Betrachtung und Gestaltung unserer Zukunft, aber auch umgekehrt: wie wirkt Zukunft auf Kunst.
Ich freue mich daher ganz besonders für diese erste Episode in diesem Themenenbereich Hanno Rauterberg gewonnen zu haben:
Hanno Rauterberg ist Kunsthistoriker und stellvertretender Ressortleiter des Feuilletons der Wochenzeitung Die Zeit sowie Autor zahlreicher hervorragender Sachbücher.
Das Buch, das diese Episode motiviert hat ist »Die Kunst der Zukunft.« Daneben hat er aber eine Reihe weiterer Bücher veröffentlicht, unter anderem »Wie frei ist die Kunst« oder »Die Kunst und das gute Leben«.
In dieser Episode sprechen wir über die Kunst in der Zukunft aber auch über die Rolle, die Kunst spielt mit der Zukunft umzugehen.
Ich beginne mit der nur schwer zu beantwortenden Frage: Was ist Kunst? ist eine Definition möglich? Hier stellt sich auch eine Machtfrage: wer bestimmt (über Kunst)? Welche Aufgabe, welche Funktion hat die Kunst?
Ist Kunst eine konservative / konservierende / tradierende Brücke in die Vergangenheit oder ein progressiver, kritischer Blick der Gegenwart sowie ein Seismograph der Zukunft? Ist die Kunst gar elitär, belehrend oder ein Luxusgut, welche Rolle spielt der moderne Kunstmarkt? Muss Kunst Erwartungen enttäuschen? Will Kunst eine heilende Funktion wahrnehmen?
Dann sprechen wir über die Rolle des Museums. Geht es um Auswahl, Selektion oder um Verhandlung, was Kunst ist? Welche Rolle spielen dabei die klassischen Kriterien wie Komposition, Originalität, Ikonographie, handwerkliche Aspekte, Innovation technischer Merkmale? Tritt Produktion und Ästhetik in den Hintergrund? Wird Kunst zur Deklaration, »Ready Made« à la Marcel Duchamp, zur reinen Pose? Wann ist ein Werk abgeschlossen, wie verhält es sich mit Performance und Immersion?
»Die Kamera der Gegenwart ist ein hochgezüchteter Computer, eine Manipulationsmaschine, die darauf ausgelegt ist, das Wirkliche dem Idealbild ihrer Programmierer anzugleichen — und die zugleich dazu auffordert, das Foto nicht als Endprodukt zu verstehen, sondern als Rohmaterial, das lustvoll bearbeitet und den inneren Bildern der Fotografen angeglichen werden will.«
Welche Rolle spielt(e) Technik für Schöpfung (Methoden der Produktion, Distribution verändern sich nachhaltig) aber auch für die Rezeption und Interaktion mit Kunst und Künstlern? Das Private und öffentliche Leben sind nicht mehr so klar voneinander getrennt wie in der Vergangenheit, was sind die Folgen?
»Das Private wird als etwas öffentliches gestaltet und das Öffentliche als etwas Privates«
Der Technikphilosoph Günter Anders wesentliche Trends, die wir heute beobachten bereits in den 1960er Jahren beschrieben:
»Wenn das Ferne zu nahe tritt, entfernt oder verwischt sich das Nahe.«
sowie
»Wenn das Ereignis in seiner Reproduktionsform sozial wichtiger wird als in seiner Originalform, dann muß das Original sich nach seiner Reproduktion richten, das Ereignis also zur bloßen Matrize ihrer Reproduktion werden.«
Dann sprechen wir über die Rolle von Machine Learning sowie neuen Formen der Vermarktung, wie etwa NFTs. Sind Maschinen kreativ und schaffen sie Kunst? Ist Kreativität das nicht vorhersehbare, was sind dann die Bilder von Wombo?
»In dem Maße, in dem Maschinen kreativ erscheinen, als begabte, künstlerhafte Wesen erscheinen, kann man sie auch für zivilisiert halten. […] Die Technik rückt uns Menschen näher.«
Die Technik soll also über »Kunst« anders in der Welt verankert werden!
»Nur die Maschine weiß noch, wie wir aus der Krise herauskommen […] darum müssen wir uns ihr anvertrauen«
Damit kommen wir von der menschlichen zur maschinellen Avant Garde? Ist das der freie Weg zum Transhumanismus? Die Maschinen als bessere Menschen?
»So überwindet der Mensch alles, was ihm fremd und bedrohlich scheint, nur um mit sich selbst zu fremdeln und das eigene Tun als Bedrohung wahrzunehmen.«
Zuletzt stelle ich die Frage, welche Rolle die Kunst in der Bewältigung unserer Zukunft spielt? Wir sprechen über gemeinschaftsstiftende Funktion der Kunst. Aber auch die schwere Greifbarkent. Die Kunst ist unwirklich, aber wie wirkt sie dann auf die Wirklichkeit?
»Das Bedürfnis nach dem Eigentlichen nimmt in dem Maße zu indem wir uns im Uneigentlichen Bewegen«
Ambivalenz wird somit produktiv erfahrbar?
Referenzen
Andere Episoden
- Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
- Episode 43: Deep Fakes: Wer bist du, und – was passiert da eigentlich?
- Episode 53 und 54: Data Science und Machine Learning, Hype und Realität
fachliche Referenzen
- Hanno Rauterberg, Die Kunst der Zukunft (2021)
- Hanno Rauterberg, Wie frei ist die Kunst? (2018)
- Hanno Rauterberg, Die Kunst und das gute Leben: Über die Ethik der Ästhetik (2015)
- Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Teil 1 und Teil 2
- Wombo Art
- Anicka Yi (Gladstone Gallery)
- Anicka Yi (Tate Gallery)