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39 minutes ago
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Offensichtlich habe ich Vince Ebert bei unserem letzten Gespräch nicht hinreichend abgeschreckt. Ich habe tatsächlich erneut die Freude, ihn zu einem Gespräch begrüßen zu dürfen! Der Titel der heutigen Episode folgt dem Buchtitel seines neuen Buches: »Wot Se Fack, Deutschland?« und statt Deutschland könnte ebenso – wie Vince Ebert im Gespräch erwähnt – Österreich stehen.
Vince Ebert ist Diplom-Physiker und Kabarettist seit über 25 Jahren. In der ARD moderierte er jahrelang die Sendung „Wissen vor Acht“. Seine Bücher sind Bestseller und haben sich über eine Million Mal verkauft. Außerdem ist er einer der gefragtesten Vortragsredner Deutschlands.
Das Buch von Vince Ebert erscheint am 14. August 2025, und ich wünsche an dieser Stelle natürlich viel Erfolg, denn dieses Buch ist es wert, gelesen zu werden!
Weiters möchte ich erwähnen, dass zwischen der Aufnahme unseres Gesprächs und der Veröffentlichung bekannt wurde, dass Vince Ebert mit der Hayek-Medaille 2025 ausgezeichnet wird. – Herzliche Gratulation dazu!
Diese Episode kreist um die Themen seines neuen Buches, beschränkt sich aber nicht darauf. Ich stelle zunächst die Frage, ob das Buch nachdenklicher als die früheren ist – oder ärgerlicher – oder ist es etwa eher Fassungslosigkeit, die man herausliest? Werfen wir unsere westlichen Werte und Errungenschaften ohne Not aus dem Fenster?
»Tagtäglich prasseln Meldungen auf uns ein, die immer absurder, bizarrer und bedrückender werden.«
Warum bestätigen viele Menschen die Probleme und die Verrücktheit der Situation in Vier-Augen-Gesprächen, sind aber nicht bereit, dies im täglichen Leben auszudrücken und zu verändern?
Gibt es wieder – wie früher in der DDR – eine private und eine öffentliche Meinung, die sich komplett von der privaten Meinung unterscheidet? Wie kann der Weckruf aussehen, um die Menschen, die den Großteil der Bevölkerung ausmachen, aus dieser Angststarre zu befreien?
Wird der Sturm gar über uns hinwegziehen, wenn die Mehrheit der Menschen sich duckt und stillhält?
Warum schweigen führende Manager, wenn offensichtlich verheerende Ideen in der Politik umgesetzt werden?
»The fraud investigator Bill Black had coined the concept of a ‘criminogenic organisation’. It referred to an institution in which incentives and management systems were structurally designed to ensure that crimes would be committed.«, Dan Davies
Müssen Mitarbeiter und Bürger zunehmend die Feigheit des opportunistischen Managements ausbaden? Gibt es nicht auch im Alltag immer weniger Mut, seine Ansicht auszudrücken und sich schlechten Ideen entgegenzustellen – vom Elternabend bis zum beruflichen Umfeld?
Erleben wir einen solchen Tsunami an irren Ideen, dass die meisten Menschen davon überfordert sind? Gibt es eine Empörungserschöpfung?
»Das nimmt uns Satirikern eigentlich den Job weg.«
Kommen wir in ein neues Biedermeier? Werden die Narren, die häufig die Deutungshoheit zu haben scheinen, dadurch noch kecker?
»Wenn die Vernünftigen den Diskurs verlassen, überlassen sie den Narren das Feld.«
Die Krise, die wir erleben, scheint noch dazu im Kern hausgemacht und eben nicht von großen externen Problemen getrieben zu sein. Wie ist das zu erklären?
Was sind die drei großen Baustellen, die wir nach wie vor ignorieren und die das Potenzial haben, unsere Nationen zu zerstören?
- Bürokratie (»Wir müssen da jetzt eine Kommission gründen, für Bürokratieabbau«)
- Energieversorgung (siehe auch frühere Episode mit Vince Ebert)
- Migration (in beide Richtungen)
Was war die Rolle der Merkel-Regierung ab ca. 2011? Hat sie die Schienen für die heutige tiefe Krise gelegt? Neben der politischen Dimension gibt es aber auch die Frage, wer überhaupt noch als Experte gelten darf?
»Besonders die sogenannten Expertenrunden im Zuge der Diskussionen um Klima, Corona und Migration haben einen neuen Oberlehrertypus hervorgebracht. Dieser verkauft seine Weltanschauung als Wissenschaft, flankiert von latenter Aggressivität und einer kaum zu überbietenden Überheblichkeit, mit der alle diejenigen abserviert werden, die es wagen, zu widersprechen oder auch nur Nachfragen zu stellen.«
Expertise wird gerade auch an Unis gesucht, aber was ist an den Unis los? Wie ist es zur starken Politisierung der Wissenschaft und der Uni-Landschaft gekommen? Ist das überhaupt ein neuer Trend? Sind Entscheidungen, etwa in Klima- oder Energiefragen, tatsächlich alternativlos, wie sie häufig dargestellt werden?
»Klimaforschung ist natürlich objektiv, wenn sie korrekt betrieben wird, aber Klimapolitik ist eine gesellschaftliche Frage. Da muss eine Gesellschaft darüber diskutieren.«
Wie ist das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Politik zu interpretieren?
»Man weiß dann immer nie, ob die Politik sich die Wissenschafter raussucht, die eine passende Meinung vertreten, oder ob sich die Wissenschaftler politisiert und angepasst haben.«
Darf man sich über die qualitativ fragwürdigen Ergebnisse wundern, wenn Anreizsysteme eingerichtet werden, die Opportunität fördern? Werden politisch erwünschte Erkenntnisse gefordert, so ist das für den Wissenschaftsbetrieb fatal. Gibt es jedoch Unterschiede zwischen Geistes- und Naturwissenschaften?
Fahren Aktivisten eine »Bait and Switch«-Strategie – was ist darunter konkret zu verstehen?
Wem haben wir die woken Ideen zu verdanken? Welche Rolle spielt der Postmodernismus und davor die Entwicklungen der Naturwissenschaft und die Versuche, die Erfolge der Naturwissenschaft in die Geisteswissenschaften zu übernehmen (etwa im Rahmen des Wiener Kreises)?
»Das Schiff wird während der Fahrt laufend neu gebaut«, Otto Neurath
Geht es nicht mehr um Wahrheit, sondern nur noch um die (irrige) Idee, alles wäre eine Frage von Machtverhältnissen? Wenn alles eine Frage der Machtstruktur ist, dann habe ich kaum Verantwortung mehr, dann läuft mein Leben nicht rund, weil ich schlechte Entscheidungen getroffen habe, sondern weil mich das Machtsystem unterdrückt und meine Genialität nicht erkennen will. Ist das eine Perpetuierung einer selbstverursachten Opferrolle? Eine bequeme Möglichkeit, die Verantwortungsübernahme zu vermeiden?
In der Geschichte gab es Gegenbewegungen, etwa die Romantik – stecken wir in einer neuen Romantik fest? Alles Emotion, nichts real? Ist alles subjektiv und es gibt keine objektiven Wahrheiten – aber ist diese Behauptung nicht selbstwidersprüchlich? Wie weit ist der Weg von der Postmoderne zur völligen Beliebigkeit?
»1986 hat Herbert Grönemeyer gesungen: Kinder an die Macht. Und immer öfter denke ich: Sein Wunsch hat sich erfüllt.«
Die Umdefinition von Worten ist auch ein gängiges Machtmittel, wie Hayek schon 1945 festgestellt hat:
»Freiheit ist keineswegs das einzige Wort, dessen Bedeutung ins Gegenteil verkehrt worden ist, damit es zum tauglichen Instrument der totalitären Propaganda wird. Wir haben schon gesehen, wie dasselbe mit den Wörtern Gerechtigkeit, Gesetz, Recht und Gleichheit geschieht. Diese Liste könnte so lange fortgesetzt werden, bis sie fast alle gebräuchlichen Ausdrücke der Moral und der Politik umfasst.«
Werden uns Begriffe genommen oder durch stete Umdefinition wertlos gemacht, so werden uns auch Wege der Argumentation genommen. Ist es das, was wir gerade erleben?
So provoziert beispielsweise Jette Nietzard mit »Eat the Rich«-Kappe und »All Cops are Bastards«-Pullover – während andere Vertreter der Partei regelmäßig vor der vermeintlichen Bedrohung der Demokratie durch Hass und Hetze warnen. Ist Hass und Hetze immer Hass und Hetze der anderen?
Woher kommt diese Polarisierung in der Gesellschaft?
»Wir sind ein evolutionäres Produkt. Wir sind rationale Wesen und wir sind auch Gefühlswesen. Wir sind gruppenzentriert, wir sind Individualisten. Wir pendeln immer zwischen dieser Herdenmentalität und diesem individualistischen Selbstentfaltungstrieb.«
Gelingt es zu vielen Menschen, besonders auch Wissenschaftlern und »Experten«, sich dem Test ihrer Ideen an der Realität zu entziehen beziehungsweise den Folgen solcher Tests? Kurz gesagt: Immunisieren sie sich selbst gegen die Fehler, die andere machen, wenn sie den Theorien folgen?
Was ist von der These zu halten, dass das Behaupten offensichtlich absurder Ideen eine Demonstration von großer Macht sein kann, die Menschen noch dazu demütigt?
Wie steht es mit Rationalität und Glauben? Was macht eine Religion heute erfolgreich?
Wie steht es eigentlich um den Rest der Welt – ist dort der Drang, sich selbst abzuschaffen, ebenso groß wie in Europa?
»Die Welt wird natürlich besser – aber wir nehmen uns heraus.«
Wie läuft hingegen der Diskurs in weiten Bereichen deutscher Eliten?
»Hier zulande sprechen wir ganz liebevoll von Familienunternehmern – in anderen Ländern nennt man sie Oligarchen.«, Martyna Linartas
Wieso kämpfen wir im Westen mit solcher Inbrunst gegen genau die Dinge, die uns erfolgreich gemacht, die unseren Wohlstand begründet haben und um die uns die Welt beneidet — oder beneidet hat?
»Der große Vorteil der westlichen Kultur ist die Selbstreflexion, der Selbstzweifel. Nicht umsonst haben wir eine Erinnerungskultur. […] Da sind Dinge schlecht gelaufen, wir versuchen sie jetzt besser zu machen – und wir haben sie auch verbessert. In den letzten zwanzig Jahren ist diese Selbstkorrektur in Selbstverachtung und dieser Selbstzweifel in komplette Selbstzerstörung umgeschlagen. […] Das ist vielleicht das, was man Wohlstandsverwahrlosung nennt.«
Wann kommt es zu Kipppunkten in Gesellschaften?
»Diversität bedeutet, alle denken das Gleiche und sehen dabei unterschiedlich aus. Dabei sollte Diversität eigentlich eine Vielfalt in Meinungen und Ansichten bedeuten.«
Menschen reagieren auf Anreize. Wie kann man diese in unserer Gesellschaft aber verändern?
»You get what you reward for.«, Charlie Munger
Wie hat sich die Rolle des Staates verändert – haben wir unsere Freiheit aufgegeben, um einen Nanny-State zu schaffen? Kann das überhaupt funktionieren – selbst wenn wir gewillt sind, unsere Freiheit aufzugeben?
»Seit ich denken kann, überfrachten wir die Politik mit so hohen Erwartungen, dass sie nur scheitern kann.«
Ist es wirklich die Politik, die scheitert, oder ist es zu einem systemischen Problem geworden? Wie kann uns ein Blick über den Tellerrand helfen? Brauchen wir mehr liberales oder libertäres Gedankengut in Europa?
»Das Gegenteil von links und rechts ist liberal.«
In der Biologie lehnt die Moderne zurecht einen »intelligenten Designer« ab, aber in der Wirtschaft soll das funktionieren? Passt das zusammen? Hat Marktwirtschaft nicht in Wahrheit eine emanzipierende Wirkung? Fürchtet man sich davor? Brodeln in der Gesellschaft so stark Spannungen, dass wir vor neuen Kipppunkten stehen? Können wir das Schiff noch vor dem Eisberg umsteuern?
»Die Revolution hat schon immer ihre eigenen Kinder gefressen.«
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 130: Populismus und (Ordo)liberalismus, ein Gespräch mit Nils Hesse
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Episode 128: Aufbruch in die Moderne — Der Mann, der die Welt erfindet!
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Episode 126: Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
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Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger über Generationen
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
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Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer
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Episode 113: Liberty in Our Lifetime 1: Conversations with Massimo Mazzone, Vera Kichanova and Tatiana Butanka
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
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Episode 101: Live im MQ, Macht und Ohnmacht in der Wissensgesellschaft. Ein Gespräch mit John G. Haas.
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Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
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Episode 91: Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit Prof. Ehrmann und Prof. Sommer
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Episode 84: (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
Vince Ebert
Fachliche Referenzen
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Dan Davies, The Unaccountability Machine, Why Big Systems Make Terrible Decisions - and How The World Lost its Mind, Profile Books (2024)
- Wiener Kreis: In Our Time, Logical Positivism (2009)
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Friedrich von Hayek, The Road to Serfdom, Routledge (1944)
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Thomas Sowell, intellectuals and Society, Basic Books (2010)
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James Burnham, The Managerial Revolution; What is Happening in the World, John Day Company (1941)

Monday Jul 28, 2025
130 — Populismus und (Ordo)liberalismus, ein Gespräch mit Nils Hesse
Monday Jul 28, 2025
Monday Jul 28, 2025
Der Titel der heutigen Episode ist: Populismus und Ordoliberalismus. Das ist wieder eine sehr spannende Episode, denn die Frage, was Populismus eigentlich ausmacht, wie man ihn sinnvollerweise definiert und verortet, scheint in Zeiten, wo solche Begriffe doch verstärkt aktivistisch eingesetzt werden, höchst relevant.
Ich führe dieses Gespräch mit Nils Hesse, der als freier Ordnungsökonomen arbeitet, derzeit zwar in den USA lebt, sich aber mit Artikeln, Beiträgen oder als Host des R21-Klimapodcasts »Der Preis ist heiß« in die deutsche wirtschafts- und klimapolitische Debatte einbringt. Wissenschaftlich setzt er sich ideengeschichtlich und institutionenökonomisch mit dem Verhältnis von Ordoliberalismus und Populismus auseinander und schreibe dazu am Walter-Eucken-Institut an einer Habilitationsschrift. Diese Arbeit ist das Thema unseres Gesprächs.
Wir beginnen das Gespräch mit der Frage, was eigentlich unter Populismus zu verstehen ist? Populistische Bewegungen unterscheiden zwischen Volk und Elite. Welche Ausprägungen des Populismus gibt es in Folge? Was ist der Zusammenhang zwischen Populismus und repräsentativer Demokratie? Welche politischen Folgen können von populistischen Gruppierungen abgeleitet werden?
Wie ist Populismus zu bewerten? Ist »Populismus« als abwertende Marke, als politischer Kampfbegriff sinnvoll verwendet?
Ist die Verwendung global einheitlich, oder unterscheidet sie sich im europäischen und US-amerikanischen Kontext? Wann und unter welchen Rahmenbedingungen wird der Populismus zum Problem?
Welche Typen des Populismus gibt es?
Was sind Trägergruppen des Populismus? Wie formen sich aus dem Populismus politisch (wirksame) Strömungen?
Was bedeutet der Begriff der Elite? Wie ist diese definiert? Was bedeutet der Begriff »Nobilitas Naturalis« nach Röpke?
Wie können die folgenden Gegenreaktionen auf Populismus beschrieben werden:
- Isolationsstrategie
- Strategie der Annäherung
- Beschäftigung mit den strukturellen Mängeln und Problemen, die zum Populismus geführt haben
Warum werden intellektuelle und »abstraktere« Berufe von Populisten häufig abschätzig betrachtet? Was sind die Folgen davon?
»Wenn man die Leute als radikal bezeichnet, dann gehen Leute, die mit diesen Zuschreibungen Probleme haben, eher weg, und die Leute, die drinnen sind, erkennen sich dann eher als bestätigt [von den Eliten ausgegrenzt]. Das führt dann eher dazu, dass sie sich weiter radikalisieren.«
Werden wir zum Nanny-State, weil politische Entscheidungsträger glauben, immer mehr Aspekte der Gesellschaft durch Zentralisierung vermeintlich verbessern zu können?
Wie ist das Rousseausche Rätsel aufzulösen?
»Wie können wir frei sein, obwohl wir unter Regeln leben müssen, denen wir selbst nicht zugestimmt haben?«
Welche Rolle spielt Dezentralisierung, und mit welchen praktischen Problemen ist man konfrontiert? Warum sind Repräsentationslücken ein Problem?
Gibt es einen Volkswillen, den die Politik »erkennen« kann? Oder gibt es in einer freiheitlichen Gesellschaft prinzipiell sehr unterschiedliche Ziele, die zu respektieren sind? Wie ist das in der Praxis umzusetzen?
Was hat Elinor Ostrom zum Problem der Tragedy of the Commons beigetragen? Auf welcher Ebene kann man sinnvollerweise welchen Mehrwert schaffen? Warum können Regelwettbewerbe sehr nützlich sein?
Kommen wir zum Ordoliberalismus. Um welche politisch-ökonomische Strömung handelt es sich dabei? Wer hat ihn begründet, und warum ist es heute relevant, sich damit auseinanderzusetzen?
Geschichtlich greifen wir hier auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück und dann auf die Verwerfungen, die sich durch die Weltkriege ergeben haben und das Deutschland der Nachkriegszeit substantiell definiert haben.
Welche emanzipatorische Wirkung kann von der Marktwirtschaft ausgehen? Warum ist Machtkonzentration und die Vermischung von politischer und wirtschaftlicher Macht ein Problem, und wie kann dies vermieden werden? Welche Art der Wettbewerbsordnung entspringt diesen Überlegungen und Herausforderungen?
Was ist die Basis einer freien und menschenwürdigen Gesellschaft?
Führt all das zur sozialen Marktwirtschaft, einem nach dem Zweiten Weltkrieg sehr erfolgsbewährten Konzept? Was hat all das für Deutschland der Nachkriegszeit bedeutet, was waren die Gründe für das Wirtschaftswunder? Woher kam der Konflikt mit den angelsächsischen Libertären, und was ist in den letzten Jahrzehnten geschehen?
Sind diese Ideen auf die Probleme der heutigen Zeit anwendbar? Was sind die Prinzipien dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, und warum war sie so erfolgreich?
Können Märkte als anti-elitäre Maßnahmen verstanden werden? Was ist das Verhältnis zwischen Populismus und Marktwirtschaft?
Wie ist die politische Orientierung der AfD, und wie ist deren Veränderung über die Zeit zu verstehen?
Warum konnte sich der Ordoliberalismus international nicht durchsetzen?
Erleben wir in den letzten Jahrzehnten, speziell in Mitteleuropa und Großbritannien, die Situation, dass die Probleme ständig zunehmen und die Regierungen glauben, diese mit immer stärkeren staatlichen Eingriffen zu lösen – wie es scheint, mit immer weniger Erfolg? Welche Rolle spielt die Europäische Union in dieser Gemengelage?
Wie ist Javier Milei und dessen Politik – insbesondere vor dem Hintergrund der Geschichte Argentiniens – zu begreifen? Kann es uns in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich gelingen, aus den schweren Verwerfungen und politisch herbeigeführten Krisen evolutionär herauszukommen, oder ist ein totaler Abstieg wie in Argentinien notwendig, bis wir die notwendigen Lehren ziehen?
Anders ausgedrückt: Brauchen wir die Motorsäge, oder reicht der ordoliberale Unkrautstecher?
Sind wir auf dem dauerhaften Weg in die Misere, oder werden manche/viele Dinge tatsächlich besser? Alles schlechtzureden ist ebenfalls kein funktionierendes Rezept für die Zukunft.
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 129: Rules, A Conversation with Prof. Lorraine Daston
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Episode 126: Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
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Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger über Generationen
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Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer
-
Episode 108: Freie Privatstädte Teil 2, ein Gespräch mit Titus Gebel
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
-
Episode 90: Unintended Consequences (Unerwartete Folgen)
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Episode 89: The Myth of Left and Right, a Conversation with Prof. Hyrum Lewis
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Episode 88: Liberalismus und Freiheitsgrade, ein Gespräch mit Prof. Christoph Möllers
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Episode 72: Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft — Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
-
Episode 58: Verwaltung und staatliche Strukturen — ein Gespräch mit Veronika Lévesque
Nils Hesse
- Publikationen von Nils Hesse
- Dickere Bretter bohren! Wie reagieren auf erfolgreiche Populisten?, Denkfabrik R21 (2023)
- Der Preis ist heiß — Podcast
Fachliche Referenzen
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Reckwitz, Andreas (2020): Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin: Suhrkamp.
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Röpke, Wilhelm (1942/1979): Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart. 6. Aufl., Bern, Stuttgart: Paul Haupt.
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Röpke, Wilhelm (1958/1979): Jenseits von Angebot und Nachfrage. 5. Aufl., Bern: Paul Haupt.
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Ostrom, Elinor (1990): Governing the Commons. Cambridge: Cambridge University Press.
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Eucken, Walter (1952/2004): Grundsätze der Wirtschaftspolitik. 7. Aufl., Tübingen: Mohr-Siebeck.
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Böhm, Franz, Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth (1936/2008): Unsere Aufgabe. In: Goldschmidt, Wohlgemuth (Hrsg.): Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 27-37.
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Erhard, Ludwig (1957/2009): Wohlstand für Alle. Köln: Anaconda.
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Müller-Armack, Alfred (1946/1990): Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft. München: Kastell.
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Hayek, Friedrich A. von (1971/1983): Die Verfassung der Freiheit. 2. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck.
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Friedrich Hayek, Der Weg zur Knechtschaft (1945)
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Mervyn King, John Kay, Radical Uncertainty, Bridge Street Press (2021)

Monday Jul 14, 2025
129 — Rules, A Conversation with Prof. Lorraine Daston
Monday Jul 14, 2025
Monday Jul 14, 2025
The title of today’s episode is “Rules.” The term “rules” encompasses a variety of concepts, including algorithms, maxims, principles, models, laws, regulations, and even laws of nature. In essence, rules shape our world and our lives. My guest for this conversation is Prof. Lorraine Daston.
Lorraine Daston is Director Emerita at the Max Planck Institute for the History of Science in Berlin, a Permanent Fellow of the Wissenschaftskolleg zu Berlin, and a Visiting Professor in the Committee on Social Thought at the University of Chicago. After studying at Harvard and Cambridge Universities, she taught at Princeton, Harvard, Brandeis, Chicago, and Göttingen Universities before becoming one of the founding directors of the Max Planck Institute for the History of Science in Berlin, serving from 1995 until her retirement in 2019. She has published extensively on topics in the history of science, including probability, wonders, objectivity, and observation. She is a member of the American Academy of Arts and Sciences, the American Philosophical Society, the Leopoldina National Academy of Germany, and a corresponding member of the British Academy.
One of her recent books, titled Rules — the namesake of this episode — will be at the center of our discussion. For our German audience, a German translation of this book is also available.
This episode has another inspiring connection: in Episode 120, I spoke with her husband, Prof. Gerd Gigerenzer. If you are German-speaking, I highly recommend listening to both episodes, as you’ll find a number of overlapping and complementary topics and ideas.
We start with tie question: what are rules, algorithms, maxims, principles, models, laws, regulations — and why such a wide net was cast in the book.
»One way of thinking about rules is to think about them along the axis of specificity versus generality.«
What are thick and thin rules then? Is this a second axis, perpendicular perhaps, to the previous? When are we supposed to exercise judgement — or is a rule supposed to cover all circumstances? How does an unstable and unpredictable world fit into this landscape of rules?
“No rules could be given to oversee when and how rules could be legitimately broken without an infinite regress of rules, meta-rules, meta-meta-rules, and so on. At some point, executive discretion must put an end to the series, and that point cannot be foreseen.”
What about Immanuel Kant and his book titles?
Did our lives become more or less predictable?
»Seit der Antike gilt: es ist egal wann sie geboren sind oder sterben, es läuft immer dasselbe Stück – Dies stimmt seit 200 Jahren nun nicht mehr.«, Peter Sloterdijk
Is the assumption correct that in the past lives were very unpredictable in the short term but rather predictable in the mid and long term, where this is the opposite today?
What can we learn from the rule of St. Benedikt?
Why is it impossible to define rules without exceptions and judgement — what is Wittgensteins example?
“Even what seems to us a straightforward rule — does require interpretation. […] We cant simply solve the problem of rule following by adding meta-rules of interpretation. This is a procedure which will go on to infinity.”
Why is this a deep and fundamental problem for bureaucracies? What happens if rules get overbearing?
How do we teach rules? Why is “rule as model” an important concept? How do we know that we mastered something?
»I think typical of the things we do best that we are no longer conscious of doing them«
What is the relation between power and rules? We makes the rules, who executes the rules and who has to follow the rules?
“sovereignty as the power to decide on the exception” Carl Schmitt
The German scientist Thomas Bauer asks the question: Did we loose are tolerance for ambiguity?
»Wer Eindeutigkeit erstrebt, wird darauf beharren, dass es stets nur eine einzige Wahrheit geben kann und dass diese Wahrheit auch eindeutig erkennbar ist.«
»Nur dann, wenn etwas rein ist, kann es eindeutig sein.« Thomas Bauer
What is the connection between tolerance for ambiguity and trust?
»There is something really quite strange going on here about this voracios appetite for control, predictability and certainty. The more you have, the more you want.«
Does the desire for purity lead to moralistic arguments and dogmatism? What can we learn from Francois-Jacques Guillote and total surveillance and control in the 18th century and today?
»The more you try to close the loop holes, the more loop holes you create«
What do we learn from all that about the modern world? Do complex societies/organisations need more or less rules? How should these rules be designed?
»It's much better to have a system which has very few rules and the rules are formulated as general principles.«
Roger Scruton asks a fundamental question: What comes first, rules or order?
»We should always remember that legislation does not create legal order but presupposes it.«
What is the relation between knowlesge and power (of rules)?
»It is far easier to concentrate power than to concentrate knowledge.«, Tom Sowell
What about »laws of nature« — how do they fit into the picture of rules? Why do we call regularities of nature »laws«? Can god change the laws of nature? What did Leibniz have to say about that question?
»Something which is entirely without precedent and without any kind of reference to a previously existing genre often just appears chaotic to us.«
And finally, what do rules mean for culture and entertainment? Is there entertainment without rules? Do rules trigger creativity?
»Much as we complain about rules, much as we feel stifled by rules, we nonetheless crave them. […] one definition of culture is: culture and rules are the same thing,«
Is individual freedom in an over-regulated society even possible? Have we traded alleged safety for freedom? Will we finally make the important steps back to accountability and further to resposibility?
Other Episodes
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Episode 122: Komplexitätsillusion oder Heuristik, ein Gespräch mit Gerd Gigerenzer
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Episode 126: Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
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Episode 123: Die Natur kennt feine Grade, Ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
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Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof. Jessica Weinkle
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Episode 110: The Shock of the Old, a conversation with David Edgerton
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
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Episode 90: Unintended Consequences (Unerwartete Folgen)
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Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
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Episode 58: Verwaltung und staatliche Strukturen — ein Gespräch mit Veronika Lévesque
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Episode 55: Strukturen der Welt
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Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
References
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Prof. Lorraine Daston
- Selected Books by Prof. Daston
-
Lorraine Daston, Regeln: Eine kurze Geschichte, Suhrkamp (2023)
-
Lorraine Daston, Rules: A Short History of What We Live By, Princeton Univ. Press (2022)
-
Lorraine Daston, Peter Galison, Objectivity, MIT Press (2010)
-
Lorraine Daston, Against Nature, MIT Press (2019)
-
Lorraine Daston, Katharine Park, Wonders and the Order of Nature, 1150-1750, Zone Books (2001)
-
Lorraine Daston, Rivals: How Scientists Learned to Cooperate, Columbia Global Reports (2023)
-
-
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781)
-
Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783)
-
Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt: Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Reclam (2018)
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Roger Scruton, How to be a Conservative, Bloomsbury Continuum (2014)
-
Thomas Sowell, intellectuals and Society, Basic Books (2010)

Tuesday Jul 01, 2025
128 — Aufbruch in die Moderne — Der Mann, der die Welt erfindet!
Tuesday Jul 01, 2025
Tuesday Jul 01, 2025
Ich war im April in England. Ich erzähle das nicht deshalb, weil ich jetzt einen neuen Reise-Podcast mache oder ihnen Urlaubsphotos zeigen möchte. Aber diese Reise war eingerahmt von zwei Themen: Isambard Kingdom Brunel und einem Abend des Spectator-Magazins mit Douglas Murray, der sein neues und sehr wichtiges Buch vorgestellt hat.
Isambard Kingdom Brunel vor der SS Great Western
Ich hatte eigentlich vor, eine schnelle Episode (?) zu dem Thema zu machen und über die Eindrücke zu plaudern und zum Nachdenken anzuregen— und dann sind es wieder mehr als zwei Monate intensiver Recherche und das Lesen von vier Büchern geworden, bis ich mich hier sozusagen eingeschwungen habe. Keine Minute davon war für mich allerdings verloren.
Sollten Sie, wie viele, den Namen Brunel noch nie gehört haben, umso besser: bleiben sie dran, ich garantiere ihnen, es wird eine faszinierende und vor allem inspirierende Geschichte, die zum Weiterdenken anregen wird.
SS Great Britain
Die heutige Episode steht für mich auch vor dem Hintergrund meiner Buch-Recherche vor allem was die Zeit des 19. Jahrhunderts betrifft und die Folgen für unsere moderne Zivilisation. Diese Recherche hat mich auf mehreren Ebenen beeindruckt und verändert, aber auch etwas ärgerlich gemacht, um ehrlich zu sein. Ich war überrascht, wie wenig ich über diese absolut transformative Zeit wusste, in der Schule gelernt habe und wie wenig dies in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Damit meine ich nicht nur die geschichtliche Dimension, sondern auch die Lehren, die man daraus ziehen kann und, wie ich denke, ziehen muss.
Welchen Pfad bin ich über die letzten sechs Jahre im Podcast gegangen? Bin ich schlauer geworden? Habe ich meine Ansichten verändert?
Welche unglaubliche Geschichte des Erfolgs und der Transformation zeichnet diese Generation von Erfindern und Unternehmern des 19. Jahrhunderts und was können (oder sollen?!) wir von ihnen lernen?
Sir Joseph Paxton
»Paxton war vor natürlich ein Gärtner, aber als Pionier unter den self made Männern der viktorianischen Ära gehörte er einer Generation an, die ihre Zeit als Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft betrachtete und die Innovationen des Tages begrüßte.«
Wir begegnen einer Generation von Machern, nicht Raunzern und Defätisten.
»Wie viele seiner Zeitgenossen, schien er fähig zu sein, nahezu jede Aufgabe zu lösen.«
Crystal Palace im Hyde Park
Aber hilft uns dies in der heutigen Welt?
»Could our society produce another Brunel? It is difficult to see how.«, Steven Brindle
Das wäre ein unfassbarer Stillstand. Wollen wir uns mit einem solchen Gedanken zufrieden geben?
»One of the sad signs of our times is that we have demonized those who produce, subsidized those who refuse to produce, and canonized those who complain.«, Thomas Sowell
Sind wir eine von Ängsten erfüllte, stagnierende Gesellschaft geworden, vor allem in Europa?
»No Risk no fun, aber stärker: no Risk, no survival.«
Der Versuch, alle Risiken zu vermeiden wird selbst zum größten Risiko.
»Man kann mit den Ideen der Vergangenheit nicht in die Zukunft gelangen. Das Gestalten der Zukunft birgt Risiken und bringt Probleme mit sich. Diese Risiken nicht einzugehen legt aber noch viel größere Risiken offen.«
Und der Blick in die Vergangenheit stellt weitere Fragen: gab es je Zeiten, die sicher waren, in denen man ruhig und entspannt an der Zukunft arbeiten konnte?
»Human life has always been lived on the edge of a precipice. Human culture has always had to exist under the shadow of something infinitely more important than itself. If man had postponed the search for knowledge and beauty until they were secure, the search would never had begun. […]
Life has never been normal.«, C. S. Lewis
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 126: Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
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Episode 122: Komplexitätsillusion oder Heuristik, ein Gespräch mit Gerd
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Episode 121: Künstliche Unintelligenz
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Episode 120: All In: Energie, Wohlstand und die Zukunft der Welt: Ein Gespräch mit Prof. Franz Josef Radermacher
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Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer
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Episode 110: The Shock of the Old, a conversation with David Edgerton
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Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr
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Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
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Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
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Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with Dr. Judith Curry
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Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
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Episode 76: Existentielle Risiken
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Episode 74: Apocalype Always
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Episode 71: Stagnation oder Fortschritt — eine Reflexion an der Geschichte eines Lebens
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Episode 65: Getting Nothing Done — Teil 2
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Episode 64: Getting Nothing Done — Teil 1
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Episode 50: Die Geburt der Gegenwart und die Entdeckung der Zukunft — ein Gespräch mit Prof. Achim Landwehr
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Episode 35: Innovation oder: Alle Existenz ist Wartung?
-
Episode 29: Fakten oder Geschichten? Wie gestalten wir die Zukunft?
-
Episode 6: Messen, was messbar ist?
Photos
- Isambard Kingdom Brunel (Wikimedia)
- The Crystal Palace in Hyde Park for Grand International Exhibition of 1851 (Wikimedia)
- Joseph Paxton (Wikimedia)
- Launch of the SS-Great Britain (Wikimedia)
Fachliche Referenzen
- Steven Brindle, Brunel: The Man Who Built the World, W&N (2006)
- Isambard Brunel, The Life of Isambard Kingdom Brunel, Civil Engineer, Longmans, Green, And CO (1870)
- Helen Doe, SS Great Britain, Amberley (2022)
- Helen Doe, The First Atlantic Liner, Brunel's Great Western Steamship, Amberley (2020)
- Kate Colquhoun, A Thing in Disguise, The Visionary Life of Joseph Paxton, Fourth Estate (2012)
- Brunel And His Great Bridges
- C. G. Merridew, I. K. Brunel's Crimean War Hospital (2014)
- Douglas Murray, On Democracies and Death Cults: Israel and the Future of Civilization, Broadside (2025)
- Thomas Sowell, Ever Wonder Why?, Hoover Institution Press (2006)
- C. S. Lewis, Learning in Wartimes (1939)

Thursday Jun 19, 2025
127 — Nicht einmal die Schweiz ist neutral...
Thursday Jun 19, 2025
Thursday Jun 19, 2025
Der Titel dieser kurzen Episode ist »Nicht einmal die Schweiz ist neutral...«, was können wir dann von Wissenschaftern, Journalisten und anderen öffentlichen Denkern und Kommentatoren erwarten? Es ist aufs Neue eine Episode die zum Nachdenken und Widerspruch anregen soll.
Der Auslöser dieser Episode ist ein Tweet, wo mir vorgeworfen wurde, ich würde meiner Glaubwürdigkeit schaden, weil ich eine bestimmte Position in einer Sachfrage vertrete und einen diesbezüglichen Tweet retweetet hätte. Es geht hier nicht um diese Sache an sich, sondern um die dahinterliegende Frage, die ich für gerechtfertigt halte.
Zunächst einmal stellt sich die Frage: Ist Neutralität überhaupt ein Ziel?
Noch grundsätzlicher gedacht: Niemand ist neutral. Damit haben wir eine Überschneidung mit dem Titel der letzten Episode. Sie erinnern sich vielleicht an den Kohlenkeller. Das Zitat von Karl Popper lautete:
»Wissenschaft ist, wenn man schwarz gekleidet in einem dunklen Kohlenkeller nach einer schwarzen Katze sucht, von der man gar nicht weiß, ob sie existiert.«
Wie sollte eine solche Neutralität auch aussehen? Wozu dürfte ich mich äußern? Ist Neutralität auf der individuellen Ebene in Wahrheit unmöglich?
An dieser Stelle möchte ich wieder zwei meiner Lieblingszitate von Karl Popper aus dem Buch »Auf der Suche nach einer besseren Welt« aus dem Jahr 1987 bringen:
»Klarheit ist ein intellektueller Wert an sich; Genauigkeit und Präzision aber sind es nicht.« und »Wir dürfen nie vorgeben zu wissen, und dürfen nie große Worte gebrauchen«
Leider wird das oftmals nicht gemacht und Popper folgert:
»Das Verfahren – wo die Argumente fehlen, da ersetze man sie durch den Wortschwall – war erfolgreich.«
Wann und wie sollte man sich also in der Öffentlichkeit äußern? Welches Risiko eingehen? Verliert man Freunde oder Kollegen, wenn man seine Ansicht äußert? Was sagt das über unsere Gesellschaft? Sind wir in Geiselhaft einer kleinen, aber aggressiven und illiberalen Elite?
»When you are the smartes person in the room, you are in the wrong room.«
Aber es gibt nicht nur die individuelle Ebene. Gibt es einen fundamentalen und wichtig zu verstehenden Unterschied zwischen Individuum und Organisation/Gruppe? Was sollten wir hier bedenken?
»Strongly held convictions that are prior to research often seem to be a precondition for success in the sciences.«, Thomas S. Kuhn
Die Suche nach Erkenntnis und Wahrheit ist ein ewiger Kampf. Ein Kampf, der sich nicht delegieren lässt. Nur Diktatoren behaupten, dieses Problem lösen zu können; behaupten Organisationen zu haben, die Missinformation (was immer das konkret bedeuten soll) erkennen und verhindern.
Ich bin davon überzeugt, dass autoritäre, paternalistische und totalitäre Ideen immer schreckliche Folgen haben. Niemand ist neutral, niemand hat die Wahrheit gepachtet. Versuchen wir also, unsere unterschiedlichen Ansichten fundiert und nachvollziehbar darzustellen und in den kritischen Diskurs zu gehen.
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 126: Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
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Episode 121: Künstliche Unintelligenz
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
-
Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer
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Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof. Jessica Weinkle
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
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Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
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Episode 88: Liberalismus und Freiheitsgrade, ein Gespräch mit Prof. Christoph Möllers
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Episode 84: (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
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Episode 1: Zukunft Denken – eine gemeinsame Reise
Fachliche Referenzen
- Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt (1987)
- Thomas S. Kuhn, The Function of Dogma in Scientific Research, in A.C. Crombie, ed. Scientific Change: Historical Studies in the Intellectual, Social and Technical Conditions for Scientific Discovery and Technical Invention, From Antiquity to the Present. New York: Basic Books, pp. 347-69. (1963)

Tuesday Jun 10, 2025
126 — Schwarz gekleidet im dunklen Kohlekeller. Ein Gespräch mit Axel Bojanowski
Tuesday Jun 10, 2025
Tuesday Jun 10, 2025
Das ist ein Gespräch, das mir sehr viel Spaß gemacht. Axel Bojanowski und ich haben gleich zu Beginn der virtuellen Session losgelegt und diskutiert, bis ich dann den Notstopp ziehen musste — schließlich sollte das eine Podcast-Folge werden und nicht nur eine höchst interessante Diskussion unter vier Augen.
Der Titel dieser Folge ist vielleicht kurios, aber mir ist das Zitat von Karl Popper aus den 1980er Jahren eingefallen:
»Wissenschaft ist, wenn man schwarz gekleidet in einem dunklen Kohlenkeller nach einer schwarzen Katze sucht, von der man gar nicht weiß, ob sie existiert.«
Davon leiten sich alle möglichen Folgen ab, unter anderem, dass Wissenschaft immer von Annahmen geprägt ist. Sie ist auch mit zum Teil großer Unsicherheit verbunden. Viel Bescheidenheit und Selbstkritik wären in der Interpretation und Darstellung notwendig.
Davon ist in der heutigen Welt nicht viel zu finden. Besonders nicht Bescheidenheit und kritische, kluge Reflexion als Fundament unserer politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, eher aktivistische Grabenkämpfe, die mehr mit dem Circus Maximus als mit Expertenwesen zu tun haben.
Wir behandeln folglich in dieser Episode Qualitätsprobleme in der Wissenschaft, Aktivismus, die Rolle von Journalisten und Medien, Anreizsysteme, welche Themen in der Wissenschaft überhaupt diskutiert werden und von wem. Außerdem, welchen Schaden wir anrichten, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, in kritischen Zeiten Ideen klug zu reflektieren und was wir mit unseren Kindern und Jugendlichen machen, wenn wir sie ständig mit apokalyptischen Visionen konfrontieren.
Wo sind wir also falsch abgebogen? Was können wir alle tun, damit wir ein positives Bild der Zukunft entwickeln können und wir wieder darüber sprechen, wie wir Fortschritt erzielen können und nicht nur ständig im defätistisch/apokalyptischen Denken stecken bleiben.
Ich sollte an dieser Stelle nicht vergessen, meinen Gast vorzustellen, auch wenn ihn die meisten sicher schon kennen: Axel Bojanowski diplomierte an der Universität Kiel über Klimaforschung. Seit 1997 arbeitet er als Wissenschaftsjournalist, u. a. für "Die Zeit", "Nature Geoscience", "Geo", "Stern" und der "Süddeutschen Zeitung". Er war Redakteur beim "Spiegel" , dann Chefredakteur bei "Bild der Wissenschaft" und "Natur". Seit August 2020 ist er Chefreporter für Wissenschaft bei "WELT". Bojanowski hat fünf Sachbücher verfasst. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler hat ihn 2024 für seine publizistischen Leistungen ausgezeichnet.
Aus meiner persönlichen Sicht ist Axel Bojanowski einer der besten Wissenschaftsjournalisten, die ich kenne. Gerade im deutschsprachigen Raum würden wir viel mehr Journalisten seiner Güte dringend benötigen. Er hat auch zwei wichtige und sehr zugängliche Bücher geschrieben, deren Themen natürlich in diesem Gespräch auch thematisiert werden.
Wir beginnen mit der Frage, wie die Qualität wissenschaftlicher Aussagen zu beurteilen ist. Wird es immer schwieriger zu erkennen, was ernsthafte Wissenschaft und was irrelevant, falsch oder Ideologie oder Aktivismus ist?
»Science und Nature sind mittlerweile journalistische Produkte. Letztlich gelten sie als die wichtigsten Impact-Magazine für die Wissenschaft, aber eigentlich funktionieren sie nach den Gesetzen von Massenmedien.«
Es wird so getan, als ob es vollkommen klar wäre, wie man den Klimawandel begrenzt. Es wird nicht verstanden oder aufgegriffen, dass es sich um komplexe Zielkonflikte handelt.
»The time for debate has ended.« Marcia Nutt
Funktionieren journalistische Medien heute immer stärker so, dass es um persönliche Absicherung geht, indem man Nachrichten publiziert, von denen man annimmt, dass sie dem aktuellen Zeitgeist entsprechen und somit sozial erwünscht sind?
»Wenn man Artikel dieser Art bringt, hat man nichts zu befürchten.«
Welche Geschichten erzählen wir uns als Gesellschaft und unseren Kindern und Jugendlichen?
»Es handelt von weitgehend ignorierten Sensationen der jüngeren Menschheitsgeschichte der letzten 200 Jahre, also von der Industrialisierung und ihren Folgen, die die Welt besser gemacht haben, als die meisten Leute ahnen. Diese Geschichten werden kaum erzählt.«
Erleben wir aktuell ein Multiorganversagen der wesentlichen Strukturen und Institutionen, die unsere moderne Zivilisation bisher ermöglicht haben?
»Covid war sozusagen Klimadebatte im Schnelldurchlauf.«
Sollten in einer Krise nicht verschiedene kluge Ideen unterschiedlicher Art diskutiert und abgewogen werden?
»Es wurde ganz schnell verlangt, sich einem Lager zuzuordnen. Wenn man das nicht eindeutig selbst tut, dann wird man in ein Lager eingeordnet.«
Was ist der Zusammenhang von Risiko, Unsicherheit und welche Entscheidungen folgen aus wissenschaftlicher Erkenntnis?
»Man hat bei Covid wie beim Klima hohe Risiken mit mit großen Unsicherheiten verbunden.[…] Dann wird aber so getan als ob es eindeutig wäre und man im Grunde ganz klare Fakten aus der Wissenschaft bekäme und Handlungsanweisungen — was nie der Fall ist. Aus wissenschaftlichen Fakten folgen keine Handlungensanweisngen. Nie.«
Gibt es tatsächlich immer nur die eine richtige Antwort auf ein Problem, follow the science — alternativlos?
»Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, auf dieses Problem zu reagieren [Klima, Covid|. Es ist letztlich eine Wertefrage.«
Finden wir immer wieder dieselbe Lagerbildung vor, die aber aus anderen »Quellen« gespeist ist, etwa Technologieoptimisten vs. -pessimisten, Liberale vs. Etatisten, und dergleichen? Das ist sehr ungünstig, denn:
»Wissenschaft ist nun mal der beste Erkenntnisprozess, den wir haben. […] Um Wissenschaft richtig zu verstehen, müsste man aber Unsicherheiten immer klar mitkommunizieren.«
Ist es besser, eine falsche Karte oder gar keine Karte zu haben, wenn man eine Wanderung unternimmt?
»Es geht auf diesen Ebenen [wissenschaftliche Prozesse] immer auch um Macht, das darf man nicht vergessen. Wenn man es versäumt, sich auf die Seite zu schlagen, die den Ton angibt, dann verliert man an Einfluss.«
Im Journalismus wurde jede Form der Differenzierung sofort bekämpft. Wie kann man aber als Gesellschaft unter solchen Bedingungen bei komplexen Herausforderungen klug entscheiden?
Wissenschaft und Journalismus sollten aber beide Prozesse der Wahrheitsfindung sein. Betonung liegt dabei auf »Prozess« — was bedeutet dies für die praktische Umsetzung?
Werden Opportunismus und Feigheit, seine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, zur größten Bedrohung unserer Gesellschaft?
»Journalisten sind vor allem feige.«
Wie sollten wir mit Unsicherheiten umgehen?
»Die Unsicherheiten aber, und das ist ein wichtiger Punkt, können gerade nicht beruhigen. Es sind die Unsicherheiten, ein Problem an sich.«
Gibt es nur umstrittene und irrelevante Wissenschafter?
Falsche Prognosen und Aussagen in der Öffentlichkeit haben für opportunistische Wissenschafter auch fast nur positive Seiten und werden in der Praxis kaum bestraft. Sie können dieselben falschen Ideen über Jahrzehnte breit publik machen und werden auch noch belohnt — weil sie ja vermeintlich auf der »richtigen« Seite stehen.
Die grundlegende Frage dahinter scheint zu sein: Welche Geschichten erzählt sich eine Gesellschaft, von welchen wird sie geleitet, welche sind konstitutiv für ihre Kultur und wie können wir diese ändern, um damit wieder einen positiven Blick auf die Zukunft zu bekommen?
Nadelöhre der Wissenschaft
Die Universitäten haben sich, wie auch die Medien, immer weiter homogenisiert — von Vielfalt leider keine Spur.
»Das Milieu verstärkt sich selbst.«
Was bedeutet das, etwa am Beispiel der Attributionsforschung? Was bedeutet dies für große politische Projekte, wie die deutsche Energiewende, die nicht nur im großen Maßstab gescheitert ist, sondern auch Deutschland schwer beschädigt hat. Wer trägt dafür nun die Verantwortung? Und die Medien stimmen alle das gleiche Lied an, ohne kritisch zu hinterfragen — warum eigentlich?
»Man guckt gar nicht mehr, was stimmt, sondern: Was schreiben die anderen?«
Warum ist es so schwer bei Klimafragen, die Fakten korrekt darzustellen? Aktuell wird von Politik und Aktivisten ständig betont, dass es viele Hitzetote gäbe. Es wird nicht erwähnt, dass es zehnmal so viele Kältetote gibt:
»Across the 854 urban areas in Europe, we estimated an annual excess of 203 620 deaths attributed to cold and 20 173 attributed to heat.«, Pierre Masselot et al
Diese einseitige Propaganda wird überall in der Gesellschaft verbreitet, auch an den Schulen:
»Papa, wenn der Meeresspiegel steigt, sterben wir?!«
Was richten wir mit unseren Kindern an?
»Der Erfolg der menschlichen Zivilisation beruht darauf, dass man sich von der Natur unabhängig gemacht hat und dass man die Natur auch für sich genutzt hat. […] Diese Geschichten des Fortschritts sind wichtig zu verstehen; gerade für Kinder!«
Wir leben nicht, wir sterben in Harmonie mit der Natur:
»Have you heard people say that humans used to live in balance with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans lived in balance with nature. Humans died in balance with nature. It was utterly brutal and tragic.«, Hans Rosling
Erst seit rund 100 Jahren können wir davon sprechen, dass Menschen ansatzweise in modernem Lebensstandard leben.
»Wir zogen in die Stadt zu einem alten Ehepaar in eine kleine Kammer, wo in einem Bett das Ehepaar, im andern meine Mutter und ich schliefen. Ich wurde in einer Werkstätte aufgenommen, wo ich Tücher häkeln lernte; bei zwölfstündiger fleißiger Arbeit verdiente ich 20 bis 25 Kreuzer im Tage. Wenn ich noch Arbeit für die Nacht nach Hause mitnahm, so wurden es einige Kreuzer mehr. Wenn ich frühmorgens um 6 Uhr in die Arbeit laufen mußte, dann schliefen andere Kinder meines Alters [ca. 11 Jahre] noch.«
»Es war ein kalter strenger Winter und in unsre Kammer konnten Wind und Schnee ungehindert hinein. Wenn wir morgens die Tür öffneten, so mußten wir erst das angefrorene Eis zerhacken, um hinaus zu können, denn der Eintritt in die Kammer war direkt vom Hof und wir hatten nur eine einfache Glastür. Heizen konnten wir daheim nicht, das wäre Verschwendung gewesen, so trieb ich mich auf der Straße, in den Kirchen und auf dem Friedhof herum.«, Adelheid Popp ca. 1890
Ist der Mensch das Krebsgeschwür des Planeten? Was passiert, wenn wir über Jahrzehnte solche Narrative in Schulen, Universitäten und Medien verbreiten? Wird der Fortschritt paradoxerweise von denen bekämpft, die fortgeschritten sind? Welches eigenartige und ethisch fragwürdige Signal senden wir da an den Rest der Welt?
»Elend bedarf keiner Erklärung. Das ist der Normalfall. Wohlstand bedarf der Erklärung.«
Wir scheinen aber in einer Zeit zu leben, wo Wohlstand, zumindest für einige, so normal geworden ist, dass man jedes Gefühl für die realen Prozesse der Welt verlernt hat und ignoriert. Wo man selbst die vermeintlich wichtigsten eigenen Ziele obskuren Ideologien opfert:
»Zu Zeiten, wo der Klimawandel angeblich das größte Problem ist, schaltet man klimafreundliche Kernkraftwerke ab.«
Warum findet die Diskussion komplexer Phänomene so gespalten und so feindselig und gleichzeitig so pseudo-elitär statt?
Wie das gut gemeinte Definieren von simplistischen Indikatoren das Gegenteil des gewünschten Ziels erreichen kann. Aus einem Indikator wird ein Götz, dem bedingungslos in den Untergang gefolgt wird. Klimaschutz nur mit Wind und Sonne ist eine Irreführung deutscher Aktivisten und gedankenloser Politik. Oder ist es vielmehr eine bait and switch Strategie? Man lockt mit dem einen, tauscht es dann aber durch eine andere Sache aus? Man lockt mit Klimawandel, möchte aber tatsächlich eine radikale politische Wende erzielen?
Der Gipfel der Ideologie: ein Giga-Projekt wie die »Energiewende« ganz bewusst ohne Kostenkontrolle? Ein Bürger stellt eine Anfrage:
»Zunächst dürfen wir anmerken, dass die Bundesregierung keine Gesamtkostenrechnung zur Energiewende unternimmt.«, Frage den Staat (2023)
Damit bleibt noch eine grundlegende Frage: Wer soll, oder genauer, wer kann eigentlich die Verantwortung für die komplexen Entscheidungen der heutigen Zeit tragen? Soll eine Expertokratie die Welt retten, oder sind es letztens nur die Menschen selbst, die diese Verantwortung tragen müssen?
Referenzen
Andere Episoden
-
Episode 125: Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger über Generationen
-
Episode 120: All In: Energie, Wohlstand und die Zukunft der Welt: Ein Gespräch mit Prof. Franz Josef Radermacher
-
Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
-
Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof. Jessica Weinkle
-
Episode 112: Nullius in Verba — oder: Der Müll der Wissenschaft
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Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
-
Episode 96: Ist der heutigen Welt nur mehr mit Komödie beizukommen? Ein Gespräch mit Vince Ebert
-
Episode 94: Systemisches Denken und gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg
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Episode 93: Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
-
Episode 91: Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit Prof. Ehrmann und Prof. Sommer
-
Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with Dr. Judith Curry
-
Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
-
Episode 76: Existentielle Risiken
-
Episode 74: Apocalype Always
Axel Bojanowski
- Axel Bojanowski, Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: Der Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft, Westend (2024)
- Axel Bojanowski, 33 erstaunliche Lichtblicke, die zeigen, warum die Welt viel besser ist, als wir denken, Westend (2025)
- Homepage Axel Bojanowski
- Substack
- Die Welt
- Twitter/X
Fachliche Referenzen
- Marcia McNutt, The beyond-two-degree inferno, Science Editorial (2015)
- Patrick Brown, Do Climate Attribution Studies Tell the Full Story? (2025)
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about ... hurricanes (2022)
- Roger Pielke Jr., Making Sense of Trends in Disaster Losses (2022)
- Roger Pielke Jr., What the media won't tell you about . . . Drought in Western and Central Europe (2022)
- Rob Henderson, 'Luxury beliefs' are latest status symbol for rich Americans (2019)
- Bernd Stegemann, Die Klima-Gouvernanten und ihre unartigen Zöglinge (2025)
-
Steven Koonin, Unsettled: What Climate Science Tells Us, What It Doesn’t, and Why It Matters, BenBella Books (2021)
- Hart aber Fair (Sonja Flaßpöhler) (2021)
- Pierre Masselot et al, Excess mortality attributed to heat and cold; 854 cities in Europe, Lancet Planet Health (2023)
- Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)
- Adelheid Popp, Jugendgeschichte einer Arbeiterin (1909)
- Axel Bojanowski, Scheuklappen der Klimaforschung (2024)
- Frag den Staat: Kosten der Energiewende von 2000 bis 2022 (2023)

Thursday May 22, 2025
125 — Ist Fortschritt möglich? Ideen als Widergänger über Generationen
Thursday May 22, 2025
Thursday May 22, 2025
Was hat mich zu der heutigen Episode motiviert? Ich war eigentlich in der Nacharbeit der nächste Folge, da bin ich auf einen Artikel, genauer gesagt, eine Artikelserie aufmerksam gemacht worden. Und ich möchte in dieser Folge im Wesentlichen diesen einen Artikel zum Thema machen, weil er mich wirklich beeindruckt hat, und denke, dass er auch Sie zum Nachdenken anregen wird.
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Im Jahr 1958 veröffentlicht der britische Observer eine Artikelreihe zum Thema »Ist Fortschritt möglich«. Autoren in dieser Serie sind:
- C. P. Snow
- C. S. Lewis
- Jacquetta Hawkes
- J. Z. Young
- Arnold Toynbee
Zunächst steigen wir mit dem Artikel von C. P. Snow mit dem Titel »Man in Society« ein, um einen Kontext zu geben. Der Fokus liegt dann aber auf dem Artikel von C. S. Lewis mit dem Titel »Willing Slaves of the Welfare State«.
C. S. Lewis war Wissenschafter in Oxford und Cambridge war uns bis heute für seine Chroniken von Narnia bekannt ist. Er war außerdem ein Freund von J. R. R. Tolkien.
Hier in den Shownotes noch einige der verwendeten Originalzitate aus dem Artikel, die ich, wie immer selbst ins Deutsche übersetzt habe.
»Through luck we got in first with the scientific-industrial revolution; as a result, our lives became, on the average, healthier, longer, more comfortable to an extent that had never been imagined; it doesn’t become us to tell our Chinese and Indian friends that that kind of progress is not worth having.«, C. P. Snow
Die weiteren Zitate sind von S. S. Lewis:
»The desire here is for mere survival. Now I care far more how humanity lives than how long. Progress, for me, means increasing goodness and happiness of individual lives. For the species, as for each man, mere longevity seems to me a contemptible ideal.«
»I am more concerned by what the Bomb is doing already.«
»The H-Bomb a Red Herring: One meets young people who make the threat of it a reason for poisoning every pleasure and evading every duty in the present. Didn’t they know that, Bomb or no Bomb, all men die (many in horrible ways)? There’s no good moping and sulking about it.«
»Observe how the “humane” attitude to crime could operate. If crimes are diseases, why should diseases be treated differently from crimes? And who but the experts can define disease?«
»Two wars necessitated vast curtailments of liberty, and we have grown, though grumblingly, accustomed to our chains.«
»The modern State exists not to protect our rights but to do us good or make us good – anyway, to do something to us or to make us something. Hence the new name “leaders” for those who were once “rulers”. We are less their subjects than their wards, pupils, or domestic animals. There is nothing left of which we can say to them, “Mind your own business.” Our whole lives are their business.«
»If we are to be mothered, mother must know best. This means they must increasingly rely on the advice of scientists, till in the end the politicians proper become merely the scientists’ puppets. Technocracy is the form to which a planned society must tend. Now I dread specialists in power because they are specialists speaking outside their special subjects.«
»Let the doctor tell me I shall die unless I do so-and-so; but whether life is worth having on those terms is no more a question for him than for any other man.«
»On just the same ground I dread government in the name of science. That is how tyrannies come in.«
»The question about progress has become the question whether we can discover any way of submitting to the worldwide paternalism of a technocracy without losing all personal privacy and independence.«
»What assurance have we that our masters will or can keep the promise which induced us to sell ourselves?«
»The more completely we are planned the more powerful they will be. Have we discovered some new reason why, this time, power should not corrupt as it has done before?«
Referenzen
Andere Episoden
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Episoce 124: Zeitlos
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Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
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Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
-
Episode 76: Existentielle Risiken
-
Episode 74: Apocalype Always
-
Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters
-
Episode 72: Scheitern an komplexen Problemen? Wissenschaft, Sprache und Gesellschaft — Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
-
Episode 71: Stagnation oder Fortschritt — eine Reflexion an der Geschichte eines Lebens
Fachliche Referenzen

Wednesday May 14, 2025
124 — Zeitlos
Wednesday May 14, 2025
Wednesday May 14, 2025
Der Titel der heutigen Episode ist »Zeitlos«. Wie komme ich darauf? Die Motivation für diese kurze Episode der Reflexion ist eine Reihe von Tweets. Der erste war von Axel Bojanowski, dem — wie ich meine — führenden Wissenschaftsjournalisten im deutschsprachigen Raum. Er schreibt:
»Der mit Abstand beste deutsche Wissenschaftspodcast ist Zukunft Denken«
Natürlich freut mich eine solche Empfehlung aus derartig berufenem Munde ganz besonders. Es spornt auch an, weiter hart an diesem Projekt zu arbeiten. Es gab dann aber noch eine Reaktion eines Hörers, der den Aspekt der Zeitlosigkeit der Episoden betont hat.
Das hat mich zum Nachdenken angeregt.
Der erste Aspekt von Zeit ist ein eher banaler, aber einer, auf den ich gerne kurz eingehen möchte. Ich bekomme immer wieder Zuschriften, wo sich Hörer öfter neue Folgen wünschen. Warum das schwierig ist, erkläre ich in aller Kürze.
Dann aber zu weiteren Aspekten der Zeitlosigkeit, die eher inhaltlicher Natur sind, denn dieser Kommentar hat mich zum Nachdenken gebracht zumal es einige Überschneidungen zu vorigen Episoden gibt. Was hat etwas das Zitat von Gerd Gigerenzer aus Episode 122
»Je größer die Unsicherheit ist, desto mehr Informationen muss man ignorieren.«
mit dem Zitat von Stafford Beer aus Episode 121 gemein?
»Information and Action are one and the same thing«
Zur Dimension der Informationsdichte kommt noch die Dimension der Zeit auf eine sehr interessante Weise hinzu. Je Größer die Unsicherheit, desto wichtiger ist also nicht nur die Auswahl der Parameter, der Daten, sondern auch die richtige Zeitlichkeit im Umgang mit dem Problem.
Was bedeutet dies für News? Für den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit komplexen Problemen?
»Die relevanten Information entstehen Wochen, Monate, bei aktivistischen Großereignissen wie etwa Covid auch Jahre später. Diese geht dann aber im Lärm des nächsten Events unter.«
Fortschritt und Entschleunigung haben aber eine durchaus interessante Gemeinsamkeit, wir Herfried Münkler bemerkt:
“...Chance des Reflexionsgewinns durch Entschleunigung: Man kann die Bedeutung beim Treffen von Entscheidungen über größere Zeitspannen zu verfügen kaum überschätzen. und diese Zeitspannengewinn hängt nun einmal am Übergang vom mündlichen zum schriftlichen.” […] »Man konnte nunmehr sehr viel komplexere Fragen zum Gegenstand von Beratungen machen, als das in den direkten partizipatorischen Formen der Antike möglich war. Und man konnte Herausforderungen und Probleme in längerfristigen Perspektiven ins Auge fassen.«
Sind wir immer am Puls der Zeit? Oder sind wir eher am Puls des Rauschens?
Warum gibt es keine Wissenschafts-News und warum ist es gerade in komplexen Zeiten wichtig, Abstand von schnellen Medien zu halten? Warum sind Bücher gerade in schnellen Zeiten von besonderer Bedeutung?
Wie kann man die Welt in Schichten verschiedener Geschwindigkeiten begreifen? Stewart Brand bezeichnet dies als Pace Layering:
»Build a thing too fast, and mistakes cascade.
Build a thing at the right pace, and mistakes instruct.
Build a thing too slow, and mistakes are forgotten, then endlessly repeated in the endless restarts.
For instance, with infrastructure:
Building a thing at the right pace steadily all the way to completion probably works best with:
Continuity of control
Protected and guided by continuity of oversight and
Guided by continuously monitored undersight—from workers and early customers.
Continuity is the key.«
Was aber machen wir mit Systemen — um wieder auf Stafford Beer zurückzukommen — deren tatsächlicher Zweck sich vom deklarierten Zweck entfernt hat?
Wir enden nochmals mit einem Zitat von Stewart Brand:
»Fast learns, slow remembers. Fast proposes, slow disposes. Fast is discontinuous, slow is continuous. Fast and small instructs slow and big by accrued innovation and by occasional revolution. Slow and big controls small and fast by constraint and constancy. Fast gets all our attention, slow has all the power.«
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Andere Episoden
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Episode 122: Komplexitätsillusion oder Heuristik, ein Gespräch mit Gerd Gigerenzer
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Episode 121: Künstliche Unintelligenz
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Episode 119: Spy vs Spy: Über künstlicher Intelligenz und anderen Agenten
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Episode 104: Aus Quantität wird Qualität
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Episode 99: Entkopplung, Kopplung, Rückkopplung
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Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
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Episode 84: (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann
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Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
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Episode 49: Wo denke ich? Reflexionen über den »undichten« Geist
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Episode 47: Große Worte
-
Episode 32: Überleben in der Datenflut – oder: warum das Buch wichtiger ist als je zuvor
Fachliche Referenzen
- Tweet von Axel Bojanowski (2025)
- Herfried Münkler, Verkleinern und entschleunigen. Die Zukunft der Demokratie? ARD (2022)
- Stewart Brand, Pace Layering: How Complex Systems Learn and Keep Learning (2018)
- Stewart Brand, How Buildings Learn: What Happens After They're Built, Penguin (1995)

Sunday May 04, 2025
123 — Die Natur kennt feine Grade, Ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos
Sunday May 04, 2025
Sunday May 04, 2025
Der wunderbare Titel der heutigen Episode lautet: »Die Natur kennt feine Grade«. Leider stammt er nicht von mir, sondern ist der Titel des neuen Buches meines heutigen Gasts, Prof. Frank Zachos. Aufmerksame Hörer werden sich an Frank erinnern, dazu aber mehr später.
Frank Zachos ist seit 2011 Wissenschaftler am Naturhistorischen Museum in Wien und außerdem externer Professor an der Universität in Bloemfontein in Südafrika. Er hat Biologie, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert und beschäftigt sich außer mit Zoologie und Evolutionsbiologie auch mit theoretischen und philosophischen Aspekten der Biologie.
In dieser Episode beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Beiträge Naturwissenschaft im Allgemeinen und Biologie im Besonderen bei fundamentalen Fragen des Menschseins leisten kann. Wir beginnen dabei mit den bekannten Kant'schen Fragen:
- Was kann ich wissen? (Erkenntnistheorie)
- Was darf ich hoffen? (Religionsphilosophie)
- Was soll ich tun? (Ethik / Moralphilosophie)
- Was ist der Mensch? (Anthropologie im weitesten Sinne)
Und zu allen Fragen gibt es, wir wir erkunden werden, eine biologische Dimension. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen: Wie unterscheiden sich Mensch und Tier? Welche Rolle spielt Evolution in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens, von der Biologie, über die Erkenntnis bis zur Kultur? Was können wir für Moral und Ethik von der Biologie lernen? Was ist die evolutionäre Erkenntnistheorie (die besonders auch in Österreich wichtige Vertreter hatte)? Wir blicken hier zurück auf Konrad Lorenz und Rupert Riedl.
Kann man der Philosophie in den Naturwissenschaften entkommen, oder holt sie uns immer ein?
»Man kann die Philosophie ignorieren, man kann ihr aber nicht entkommen«
Was ist der Unterschied zwischen unwissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Fragestellungen? Was ist metaphysischer Realismus, und warum lässt sich dieser wissenschaftlich nicht begründen. Welche Rolle spielt systemisches Denken in Ergänzung zum Reduktionismus für die komplexen Herausforderungen der Zeit und warum kann biologisches Denken ebenfalls hilfreich sein?
»Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.«,
Goethe, Faust I
Behaupten wir oft mehr zu wissen und zu verstehen als wir wirklich tun? Warum ist intellektuelle Bescheidenheit gerade heute von zentraler Bedeutung.
»Die Wissenschaft ist gewissermaßen Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden«
Gibt es Kränkungen der Menschheit durch Wissenschaft? Gibt es bei manchen oder gar vielen Menschen eine Art der Realitätsfurcht?
Was hat »Follow the Science« ausgelöst, also vor rund 100 Jahren Euthanasie und die Verbesserung der Erbsubstanz des Menschen als Stand des Wissens galt?
»Wann immer man Moral mit wissenschaftlichen Erkenntnissen letztbegründen will, wird es ganz gefährlich«
Frank erinnert dabei wieder an Kant:
»Es gibt kein Sollen in der Natur.«
Womit sich die Frage stellt, was ein naturalistischer Fehlschluss ist, und wie wir ihn vermeiden können?
»Wer zwingt uns natürlich zu sein?«
Oder wie es Hans Rosling ausdrückt:
»Have you heard people say that humans used to live in balance with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans lived in balance with nature. Humans died in balance with nature. It was utterly brutal and tragic.«
Kehren wir zurück zur Erkenntnis: was können wir aus der Biologie über Erkenntnisfähigkeit lernen? Konkreter gedacht am Beispiel der evolutionären Erkenntnistheorie sowie den Kant'schen a prioris.
»Das was im Idividuum a priori ist (also von Geburt an), ist eigentlich doch etwas erlerntes, aber nicht individuell erlernt, sondern evolutionär/stammesgeschichtlich. Das Kant'sche a priori wird in der evolutionären Erkenntnistheorie zu einem phylogenetischen oder evolutionären a posteriori.«
Nicht zuletzt diskutieren wir auch über die Bedeutung von Religion für die Menschen. Verschwindet Religion langsam, wenn unsere Erkenntnisse über die Welt zunehmen, oder passiert eher das Gegenteil?
Und damit reißen wir die Fragen die in Franks Buch aufgeworfen werden, nur an. Daher an alle Zuhörer dieser Episode, die Empfehlung, sich das Buch zu besorgen und weiterzulesen.
»Wir können mittlerweile Dinge beschreiben, die wir uns gar nicht mehr vorstellen können«
Referenzen
Frank Zachos
Andere Episoden
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
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Episode 98: Ist Gott tot? Ein philosophisches Gespräch mit Jan Juhani Steinmann
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Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
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Episode 85: Naturalismus — was weiß Wissenschaft?
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Episode 83: Robert Merton — Was ist Wissenschaft?
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Episode 75: Gott und die Welt, ein Gespräch mit Werner Gruber und Erich Eder
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Episode 55: Strukturen der Welt
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Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Erich Eder
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Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von Bertrand Russel und der Eugenik lernen können
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Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
Fachliche Referenzen
- Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781)
- Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783)
- Konrad Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, Piper (1996)
- Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)
- Rupert Riedl, Strukturen der Komplexität: Eine Morphologie des Erkennens und Erklärens, Springer (2000)
- Johann Wolfgang von Goethe, Faust I (1808)
- Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)
- Konrad Lorenz Artikel: Die Lehre Kants a priori im Lichte der modernen Biologie.
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Dave Grossman, On Killing, Back Bay Books (2009)

Thursday Apr 17, 2025
122 — Komplexitätsillusion oder Heuristik, ein Gespräch mit Gerd Gigerenzer
Thursday Apr 17, 2025
Thursday Apr 17, 2025
Auch heute freue ich mich wieder darüber, einen äußerst kompetenten und prominenten Gast vorstellen zu dürfen: Prof. Gerd Gigerenzer. Das Thema ist eines, das uns seit einiger Zeit begleitet, und auch noch weiter begleiten wird, denn es gehört zu den wesentlichsten Fragen der heutigen Zeit. Werden wir von der stetig steigenden Komplexität in unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft überrollt, oder gelingt es, Mechanismen zu entwickeln, trotzdem kluge und resiliente Entscheidungen zu treffen? Entscheidungen, die uns auch helfen, mit komplexen Risiken umzugehen?
Gerd Gigerenzer war unter anderem langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, ist Direktor des Harding Center for Risk Literacy an der Universität Potsdam, Partner von Simply Rational - The Institute for Decisions und Vizepräsident des European Research Council (ERC). Er ist ehemaliger Professor für Psychologie an der Universität von Chicago und John M. Olin Distinguished Visiting Professor, School of Law an der Universität von Virginia. Darüber hinaus ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Wissenschaften und der British Academy sowie Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences und der American Philosophical Society. Er hat unzählige Preise gewonnen sowie zahlreiche Bücher geschrieben, die nicht nur inhaltlich höchst relevant sondern zudem auch noch sehr zugänglich für eine breite Leserschicht sind.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen:
- Entscheidungen unter Unsicherheit und Zeitbeschränkung
- Risikokompetenz und Risikokommunikation
- Entscheidungsstrategien von Managern, Richtern und Ärzten
Und genau über diese Themen werden wir uns in der Episode unterhalten. Wie geht man in Situationen großer Unsicherheit mit Daten und Informationen um?
»Je größer die Unsicherheit ist, desto mehr Informationen muss man ignorieren.«
Was ist eine Heuristik, und welche Heuristiken wenden wir erfolgreich in welchen Situationen an?
»In Situationen von Unsicherheit, verlassen sich Menschen nicht auf die ganze Vergangenheit, sondern auf die jüngste Vergangenheit — das nennt man recency Heuristik.«
Warum führen mehr Daten nicht immer zu besseren Entscheidungen?
»Ein Datenpunkt, gut gewählt, erlaubt [in vielen Fällen] bessere Vorhersagen als Big Data«
Was ist Intuition und unter welchen Umständen ist intuitives sinnvoller als vermeintlich rationales Entscheiden?
»Intuition ist keine Willkür. Intuition ist gefühltes Wissen, das auf jahrelanger Erfahrung beruht.«
Was ist von den neuen Theorien der Rationalität, z. B. dem System 1 und 2 von Kahnemann zu halten?
»The abject failure of models in the global financial crisis has not dented their popularity among regulators.«, Mervyn King
Was ist defensives Entscheiden, und warum ist es eines der größten Probleme unserer modernen Welt?
»Der Arzt ist nicht in einer Situation, dem Patienten das Beste zu empfehlen. Viele Ärzte fürchten, dass die Patienten klagen, insbesondere, wenn etwas unterlassen wurde. Die Patienten klagen nicht, wenn unnötige Operationen vorgenommen wurden.«
Weniger kann oft mehr sein:
»Viele Menschen denken — auch in der Wissenschaft — mehr ist immer besser.«
Dabei gilt in den meisten Fällen, gerade auch dort, wo wir häufig versuchen, komplexe Modelle anzuwenden:
»Je größer die Unsicherheit ist, umso einfacher muss man die Regulierung [oder das Modell] machen.«
Eine Erkenntnis, die im Grunde jedem klar ist, der sich mit der Steuerung komplexer Systeme auseinandersetzt. Warum handeln wir stetig dagegen?
»Wir brauchen eine Welt, die den Mut hat zur Vereinfachung.«
Und dann gibt es noch den Aspekt der Rückkopplung von (schlechten) Modellen auf die Welt, die sie vermeintlich beschreiben oder vorhersagen, und wir kommen leicht in einen Teufelskreis der zirkulären und selbstverstärkenden Fehler. Wie lassen sich diese vermeiden?
Was wird die Folge sein, wenn diese Formen der Modellierung und Verhaltenssteuerung auf eine immer totalitärere und total überwachte Gesellschaft trifft?
Entwickeln wir uns aber in der Realität mit künstlicher Intelligenz, Large Language Models und IT-getriebener Automatisierung, aber nicht gerade ins Gegenteil? Eine Welt, deren Entscheidungen von immer komplexeren Systemen intransparent getroffen werden, wo niemand mehr nachvollziehen oder bewerten und in Wahrheit verantworten kann, ob diese Entscheidungen sinnvoll sind? Denken wir beispielsweise an Modelle, die Rückfallwahrscheinlichkeiten von Straftätern bewerten.
»Viele Menschen lächeln über altmodische Wahrsager. Doch sobald die Hellseher mit Computern arbeiten, nehmen wir ihre Vorhersagen ernst und sind bereit, für sie zu zahlen.«
Zu welcher Welt bewegen wir uns hin? Zu einer, in der wir radikale Unsicherheit akzeptieren und entsprechen handeln, oder einer, wo wir uns immer mehr der Illusion von Kontrolle, Vorhersagbarkeit und Steuerbarkeit verlieren?
»In einer Welt, in der Technik (vermeintlich) smart wird, brauchen wir vor allem eines, nämlich Menschen, die auch smart werden. Also Menschen, die mitdenken, die sich nicht zurücklehnen und konsumieren; die sich nicht auf das reduzieren lassen, was man ihnen empfiehlt.«
Und zum Ende macht Prof. Gigerenzer noch den wichtigsten Aufruf der heutigen Zeit:
Mitdenken!
Denn es gilt:
»The world is inherently uncertain and to pretend otherwise is to create risk, not to minimise it.«, Mervyn King
Referenzen
Andere Episoden
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Episode 121: Künstliche Unintelligenz
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Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
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Episode 112: Nullius in Verba — oder: Der Müll der Wissenschaft
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Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr
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Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg
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Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
-
Episode 99: Entkopplung, Kopplung, Rückkopplung
-
Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
-
Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion
-
Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson
Prof. Gerd Gigerenzer
Fachliche Referenzen
- Gerd Gigerenzer, Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, Goldmann (2008)
- Gerd Gigerenzer, Das Einmaleins der Skepsis: Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Piper (2015)
- Gerd Gigerenzer, Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft, Pantheon (2020)
- Gerd Gigerenzer, Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen, Bertelsmann (2021)
- Gerd Gigerenzer, Smart Management: Mit einfachen Heuristiken gute Entscheidungen treffen, Campus (2025)
- Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler Verlag (2012)
- Gerd Gigerenzer, The rationally wars: a personal reflection, BPP (2024)
- Konstantinos Katsikopoulos, Gerd Gigerenzer et al, Transparent modeling of influenza incidence: Big data or a single data point from psychological theory?, International Journal of Forecasting (2022)
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Mervyn King, John Kay, Radical Uncertainty, Bridge Street Press (2021)
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Rory Sutherland, Alchemy, WH Allen (2021)
- Peter Kruse, next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung, Gabal (2020)
- John P. Ioannidis, Forecasting for COVID-19 has failed, International Journal of Forecasting (2022)